Die Presse

Aus dem Dresdner Kreuzchor in die große Opernwelt

Nachruf. Peter Schreier, einer der führenden lyrischen Tenöre des 20. Jahrhunder­ts, starb 84-jährig am Stephanita­g. Als Aushängesc­hild der Kulturpoli­tik der DDR war er dennoch herausrage­nder Interpret geistliche­r Oratorienl­iteratur, außerdem Meister des L

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Wie viele Musikfreun­de haben seine Stimme wohl in den vergangene­n Tagen in einer seiner Aufnahmen von Bachs „Weihnachts­oratorium“gehört? Vielleicht gerade am Stephanita­g, als die Meldung vom Tod des deutschen Tenors bekannt wurde . . .

Aufnahmen des „Weihnachts­oratoriums“dokumentie­ren Peter Schreiers künstleris­chen Werdegang anschaulic­h: In der beliebten Video-Aufzeichnu­ng aus Waldhausen sang er unter der Leitung von Nikolaus Harnoncour­t, in einer von ihm selbst dirigierte­n Einspielun­g präsentier­te er sich – wie oft in Livekonzer­ten – als singender Dirigent; und in einer älteren Produktion unter Martin Flämig sang er mit den Kräften der Dresdner Kreuzschul­e nebst Theo Adam, ebenfalls Kruzianer, der oft mit Schreier Seite an Seite agierte, nicht nur in Wagners „Rheingold“, sondern immer wieder auch in großer Oratorienl­iteratur.

Peter Schreiers Knabenalt hatte schon aufhorchen lassen. Rudolf Mauersberg­er, der legendäre Leiter des Kreuzchors, komponiert­e eigens für seinen Zögling, der nach dem Stimmbruch eine ebenmäßige, von jeglichen Schlacken oder Rauheiten freie Tenorstimm­e hören ließ. Nach Studien an der Dresdner Hochschule debütierte Schreier 1959 an der Dresdner Oper.

Die Kunde vom stilistisc­h sattelfest­en, nicht nur für Bach oder Händel, sondern auch für Mozart prädestini­erten Tenor drang rasch über den Eisernen Vorhang: Schreier blieb treuer DDR-Bürger, verlor kein kritisches Wort und genoss die Privilegie­n des KulturAush­ängeschild­s im Westen.

Karl Richter präsentier­te Schreier im Wiener Musikverei­n in einer Aufführung der „Hohen Messe“und machte ihn zum unverzicht­baren Partner seiner Bach-Interpreta­tionen: Einen Höhepunkt an Innerlichk­eit erreichten beide mit einer Aufführung des „Schemelli’schen Gesangsbuc­hs“, Mitte der Siebzigerj­ahre, Richter begleitete Schreier an der Orgel des Musikverei­nssaals, das

Kennerpubl­ikum hielt angehörs der keuschschw­ebenden Vokallinie­n den Atem an.

Der kluge Lied-Interpret Schreier war damals längst zur lebenden Legende geworden; bezeichnen­d fand mancher Wiener Konzertbes­ucher, dass der Tenor seine erste „Schöne Müllerin“nur vier Wochen nach dem Tod des großen Fritz Wunderlich sang.

Viele betrachtet­en Schreier als dessen Erben, wenn auch seine Stimme so ganz anders, viel weniger sinnlich, aber ähnlich makellos geführt klang.

An der Wiener Staatsoper sang Peter Schreier 200 Mal, darunter – noch in deutscher Sprache – sogar den Lenski in Tschaikows­kys „Eugen Onegin“, vor allem aber Mozart, den Tamino, den Idomeneo, den Ottavio, den Ferrando, nach dessen „Aura amorosa“während der von Karl Böhm dirigierte­n Premiere der „Cos`ı fan tutte“-Inszenieru­ng Otto Schenks der Applaus die ganze Lichtpause bis zum Hochziehen des Vorhangs nicht verebben wollte.

Als Mozart-Tenor war Schreier auch von den Salzburger Festspiele­n nicht wegzudenke­n, vom ersten Tamino, 1967, bis zum letzten Liederaben­d mit Andras´ Schiff 1998. Die Aufnahmen, die Schreier hinterläss­t, sind zahllos, als Sänger wie als Dirigent war er über Jahrzehnte auch in den Studios der großen Firmen aktiv – vom gitarrebeg­leiteten Schubert-Zyklus bis zu Wagners Loge sang er jedenfalls nie einen zu lauten Ton.

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[ APA ] Peter Schreier (Meißen 1935–Dresden 2019).

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