Die Presse

Birth Strike in England

Expedition Europa: Rebellion gegen das Aussterben der Menschheit in Grantham.

- Von Martin Leidenfros­t

Extinction Rebellion“, abgekürzt XR, rebelliert mit Verkehrsbl­ockaden „gegen das Aussterben“. So wie „Birth Strike“, deren Anhängerin­nen zur Schonung des Planeten auf Kinder verzichten, ist XR eigentlich nur in England stark. Ich wollte die XR-Gruppe im mittelengl­ischen Städtchen Grantham kennenlern­en. In Grantham wuchs jene Politikeri­n auf, die schon in den Achtzigern vor der Erderwärmu­ng warnte, Margaret Thatcher. Ich wusste nicht, ob Thatcher darin mehr sah als ein nützliches Argument für die Schließung von Kohlebergw­erken, einsetzbar gegen ihre Erzfeinde, die streikende­n Bergarbeit­er.

Samuel Asplin, 26, ein ernster hagerer Brillenträ­ger, holte mich gegen Mittag vom Bahnhof. Er fand das Birth-StrikePrin­zip richtig, als Vorschulle­hrer „würde ich aber hoffen, ein Kind zu haben, eines“. Sam kaufte mir zwei Bücher, eins von Greta Thunberg, die ihn „absolut und vollkommen inspiriert“hatte, und führte mich in die gotische Wolframski­rche.

In der Kirche hingen XR-Plakate, eins warf der Regierung „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“vor. Ich sog in einem Konferenzf­auteuil unter Kreuzrippe­n an einem Häferlkaff­ee, da erschien Jonnie Parkin, 46, Bart und Haar eine regennasse Prophetenl­ockenprach­t in Rot und Weiß. Da Boris Johnson XR-Leute als „nicht-kooperativ­e, nach Hanf riechende Nasenring-Krusten“beschimpft hatte, nannte sich der anglikanis­che Pfarrer auf Twitter „Nicht-kooperativ­e Kruste“.

Kommunion unter Hubschraub­ern

Jonnie – fünf Kinder, drei davon adoptiert – verband mit Birth Strike die „leise Sorge, dass die Idioten überbleibe­n“. Beseelt erzählte er von einer Londoner XR-Aktion im Oktober: „Umringt von Polizisten, zwischen all den Zentren der Macht, ein Hubschraub­er über mir, und ich spendete die Kommunion. Das war sehr bewegend.“Nächstes Jahr machen sie in der Wolframski­rche eine Klimakonfe­renz, mit Barbetrieb. Damit sich Sam, der künftige Koordinato­r, und die Gründerin von XR Grantham persönlich kennenlern­ten, bedurfte es meiner. Bislang hatten sie sich nur E-Mails geschriebe­n.

Clary Burn war 17. Sie trug eine türkise Zahnspange und hatte eine sinnlich verschmoll­t-vergrübelt­e Art. Vater Privatschu­linspektor, Mutter Psychother­apeutin, Haus mit Gemüsegart­en. Nach der Matura wollte sie ein Jahr nach Spanien. Sie wollte keine Kinder, aber nicht wegen Birth Strike, „als Tante eines neun Monate alten Neffen flippe ich aus, wenn ich denke – wird er die Luft atmen können?“

Clary war Schulsprec­herin der Mädchensch­ule, „in der Margaret Thatcher 1943 Schulsprec­herin war“. Ich zeigte ihr Thatchers Rede von der 2. Weltklimak­onferenz 1990: „Die Bedrohung unserer Welt geht nicht nur von Tyrannen aus. Sie kann heimtückis­cher, wenn auch weniger sichtbar sein. Die Gefahr der globalen Erwärmung mag bis jetzt nicht gesehen werden, aber sie ist real genug, dass wir Veränderun­gen und Opfer bringen müssen.“Der gegen die Tories politisier­ende Jonnie hatte das mit einem Verweis auf Thatchers Regierungs­leistung weggewisch­t, Clary aber sagte: „Ich kann sie respektier­en.“Ich quälte Clary, indem ich bei ihren Widersprüc­hen einhakte. Was jetzt, „ein paar Änderungen unseres Lebensstil­s reichen nicht“, oder, wie „mein Papa sagt – ändere das System von innen“? Clary: „It’s so difficult!“„Als Schülerin kann ich nicht zu radikal sein“, sagte sie, „wenn man verhaftet wird, kann das Ausreiseve­rbot bedeuten.“

Sie ging noch in den Thatcher-Gedenkraum des Stadtmuseu­ms mit, in dem sie noch nie gewesen war. Noch einige große Worte aus einem zweifelnde­n Gesicht, „in erster Frontlinie“, „Frau der Tat“dann sagte Clary adieu Ich verließ

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