Festhalten des Augenblicks
Elegisch: Erich Wolfgang Skwaras Roman über die mögliche Dauer einer Leidenschaft.
Albert Camus hatte auf die Frage nach seinen zehn Lieblingswörtern unter anderem die Sonne und das Meer genannt. Diese könnten auch als Motto für Erich Wolfgang Skwaras Roman „Mare Nostrum oder ein Bahnhof für jene, die ankommen“gelten. Nach zehnjähriger Pause ist Skwara mit diesem Roman tatsächlich episch geworden, allerdings mit einem Hang zur Elegie und zu nuancierter Darstellung. Skwaras nahezu unstillbare Sehnsucht nach dem Süden, nach dem mediterranen Licht und dem Meer bildet den Hintergrund zu einer Geschichte, die die Themen Liebe, deren Vergänglichkeit, Vergeblichkeit und das Motiv des Todes als unumstößlichen Liebesbeweis miteinander verwebt.
Die Geschichte ist so einfach wie vielfältig. Der Protagonist, einst in Salzburg an der Akademie als Tonmeister tätig, und die italienische Pianistin sind einander damals nur flüchtig begegnet, um sich nun nach 27 Jahren wiederzutreffen. Das Wiedersehen soll in einer Grenzstadt am Meer zwischen Italien und Frankreich stattfinden, einem Ort, dessen Bahnhof eher für Ankünfte als für Abfahrten geschaffen scheint. Ein Ort, den der Protagonist aufgrund seiner Erinnerungen wählt, als er im Alter von 16 Jahren hierher durchbrannte. Seine weiteren Begegnungen, vor allem mit Frauen, bilden den Hintergrund der Reflexionen eines alternden Mannes hinsichtlich Zeit, Dauer und des Versuches des Festhaltens des Augenblicks. Seine Überlegungen münden in unbeantworteten Fragen: Lässt sich eine entflammte Leidenschaft festhalten, oder ist in allem physischen Einswerden das Alleinsein auch für die Zukunft schon enthalten?
Skwara erweist sich als Meister von Paradoxien und Ambivalenzen. Bei allem leidenschaftlichen Genießen der Nähe bleibt irgendetwas Unerfülltes: „Es gibt etwas zwischen ihnen, was es nicht gibt.“Diese Paradoxie durchzieht die Begegnung, die in drei Tagen nachholen möchte, was so viele Jahre versäumt worden, aber unwiederbringlich verloren ist.
„Richtige“oder „falsche“Liebe?
Offen bleibt, ob es am Protagonisten liegt, der bekennt, dass er sein ganzes Leben mit der Liebe zugebracht habe, diese Jahrzehnte aber als Vergeudung empfindet und unsicher ist, dass es so etwas wie eine „richtige“oder eine „falsche“Liebe geben könne, oder ob es an der Bindung der Klaviervirtuosin an ihre Schwester liegt, mit der sie durch ständige Telefonate die Tiefe der Augenblicke zwischen den Liebenden zerstört.
Der gemeinsame Besuch auf dem über der Stadt gelegenen Friedhof weckt das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, weckt die Einsicht, dass die Vergangenheit und die Zukunft ebenso vernichtend sein können wie die Gegenwart. Ein gemeinsamer Lebensweg ist hoffnungslos verbaut. Als Akt der Befreiung bliebe einzig der gemeinsame Tod. Die erlösenden Tabletten bleiben in seiner Reisetasche versperrt, trotz allen Ersuchens der Geliebten. Spätestens beim Sterben aber endet für den Protagonisten die Gemeinsamkeit. Dass sie nach seiner Weigerung jäh abreist, während er sich dem Genuss seiner geliebten Feigenmarmelade hingibt, ist für ihn wie ein Befreiungsschlag.
Skwaras stimmungsvolles Werk ist symbolträchtig wie kaum ein anderer seiner bisherigen Romane. Sein Stil ist reifer und schnörkelloser geworden. Einmal mehr erweist sich Skwara als einer der österreichischen Meister der leisen Töne und einer unaufgeregten, aber tiefgründigen Erzählkunst.