Der Wolf als Hirte
Sind Katholizismus und Nationalsozialismus vereinbar? Theoretisch wohl kaum, will man sich keiner groben kognitiven Dissonanz aussetzen; in der Praxis jedoch – wie zu sehen war – eventualiter. Symptomatisch dafür kann der Titularbischof von Ela, Alois Hudal, stehen. Der langjährige Leiter des Päpstlichen Instituts Santa Maria dell’Anima, dem Sitz der deutschsprachigen katholischen „Pfarrgemeinde“in Rom, verstand sich selbst als „Brückenbauer“zwischen Rom und Berlin. Tatsächlich war er, wie Johannes Sachslehner ihn im Titel seiner Biografie nennt: „Hitlers Mann im Vatikan“.
Wobei das Hudals Landsmann in der Reichskanzlei in Berlin gar nicht recht war. Nach einer Allianz mit der katholischen Kirche stand Hitler nie der Sinn. Sie interessierte ihn ausschließlich als Machtfaktor, den es sukzessive, aber systematisch auszuschalten galt. Umgekehrt war Hudal auch kein blinder Parteigänger der NSDAP. Er befürchtete etwa eine „Tyrannis des Haufens“. Der Bischof war aber beseelt von der deutsch-nationalen Idee und erhoffte sich vom Nationalsozialismus vor allem eine Abwehr des atheistischen Kommunismus. Die gegenseitige ambivalente Haltung wurde nach der Veröffentlichung seines Bands „Die geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus“(1936) unverkennbar: Der Papst meinte dazu nur lapidar: „Von Geist kann man in dieser Bewegung nicht sprechen.“Der „Führer“wiederum hielt die Verbreitung des Bands, den Hudal ihm persönlich hatte zukommen lassen, im Reich für „untragbar“.
Einer psychologischen Deutung enthält sich Johannes Sachslehner weitgehend, obwohl die Tatsache, dass Alois Hudal seinen slowenischstämmigen Vater gehasst und seine fromme Mutter geliebt hat, sicher eine Rolle spielte. Der Vater hatte nicht nur slawische Wurzeln, er war als Schuhmachermeister auch Proletarier und engagierte sich für die Sozialisten. Des Weiteren hielt der am 31. Mai 1885 geborene Sohn seinem Erzeuger auch vor, sich von seiner einfachen, bescheidenen und tiefreligiösen Mutter getrennt zu haben. Die „ungermanische“Herkunft musste Alois Carl Hudal in Graz, wo er geboren und aufgewachsen ist, offenbar durch ein besonderes Deutschtum überkompensieren. Sein Biograf führt diese Lebensverhältnisse alle an, enthält sich aber einer Interpretation der Auswirkungen. Stattdessen reichert er das Buch mit vielen Dokumenten und Selbstaussagen an. Posthum erschienen 1976 Hudals Memoiren unter dem Titel „Römische Tagebücher“.
Diese „Lebensbeichte eines alten Bischofs“, wie der Untertitel lautet, ist mehr eine auftrumpfende Rechtfertigung eines Unbelehrbaren denn ein demütiges Bekenntnis. Eines kann man Hudal demnach nicht vorwerfen: Er war kein Wendehals, seine Ehre hieß Treue – zu seiner Denkweise. Eine übliche Einstellung damals. Überraschend hingegen, dass jemand, der so offensichtlich (deutsch)nationalistisch war, in einer universalistischen Kirche nicht nur Karriere machen konnte, sondern im österreichischen Episkopat auch nach dem Krieg noch wohlgelitten war. Zu seinem 50. Priester- und 25. Bischofsjubiläum im Juni 1958 wird Alois Hudal von kirchlichen sowie steirischen Stellen in Graz groß gefeiert; zu einem Zeitpunkt also, zu dem er im Vatikan längst nicht mehr empfangen wurde.
Deshalb und wegen seiner Demontage als Direktor der „Anima“, die Pius XII. bereits 1952 in die Wege geleitet hatte, sann Hudal auf Rache. Mit besonderer Perfidie machte er den Vatikan für jene Dinge verantwortlich, die er selbst jahrelang betrieben hatte: nämlich Fluchthelfer für die schlimmsten Naziverbrecher zu sein. Auf seinem Alterssitz in Grottaferrata erzählte er Rolf Hochhuth von den „Rattenlinien“und der „Päpstlichen Hilfskommission“, die er
Hitlers Mann im Vatikan
Qdem Papst vorgeschlagen hatte und deren österreichischer Sektion er dann vorstand. Diese schleuste so manchen der übelsten Schreibtischtäter Nazideutschlands über Südtirol an einen italienischen Hafen, von dem aus sie in den Nahen Osten oder nach Südamerika flohen. Möglich wurde das mittels „Rot-Kreuz-Pässen“, Ersatzdokumenten, die von den Vereinten Nationen anerkannt worden waren, aber keine Identität feststellten. Man konnte darauf Fantasienamen angeben, wie zum Beispiel Ricardo Klement, hinter dem sich Adolf Eichmann verbarg.
Penibel listet Sachslehner die Fälle auf, in denen Alois Hudal als Schlepper höchst aktiv war, darunter SS-Hauptsturmführer Erich Priebke, dem Auftraggeber der „Gaswagen“, SS-Standartenführer Walther Rauff, den KZ-Kommandanten Franz Stangl et cetera. Begründet hat Hudal diese Aktionen perverserweise mit christlicher Nächstenliebe. Es sei die Pflicht eines katholischen Priesters, so Hudal, „verzeihender Vater und Hirte“zu sein und Verfolgte nicht an weltliche Behörden auszuliefern. Die Kirche dürfe keine „Schergendienste“für staatliche Stellen leisten. Eine totale Verkehrung von Opfern und Tätern. Die Gewissensnöte des Papstes in Bezug auf die Nazis, etwa die Tatsache, dass Pius XII. zu Razzien gegen Juden in Rom geschwiegen hat, obwohl er davon wusste, deutet Hudal im Gespräch mit Hochhuth um in ein Sympathisieren mit den Nazis. Das aber traf auf ihn selbst zu.
Man fragt sich bei der beklemmenden Lektüre von Johannes Sachslehners materialreichen Band: An welchen Gott glaubte Alois Hudal? Doch nicht an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Der aber ist nach katholischer Lehre der Vater Jesu Christi. Das hätte im Vatikan schon früher auffallen können. Ist es auch. Jedenfalls Männern wie dem ehemaligen Nuntius für die Weimarer Republik, Eugenio Pacelli, der bereits nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch vom November 1923 dem Vatikan vom antikatholischen Charakter des Nationalsozialismus berichtete und ihn später die „vielleicht gefährlichste Häresie unserer Zeit“nannte. Seit März 1939 saß dieser Herr als Pius XII. auf dem Stuhl Petri und erhielt von einem im vatikanischen Staatssekretariat tätigen Herrn namens Giovanni Montini, später bekannt unter dem Namen Paul VI., Nachrichten über die Aktivitäten des Titularbischofs von Ela.
Als Erklärung dafür, warum die Kirche trotzdem zugeschaut, geschwiegen, ja Kardinalfehler gemacht hat, fällt einem nur der Titel von Andreas Grubers Film über die „Mühlviertler Hasenjagd“ein: Vor lauter Feigheit gab es kein Erbarmen.