Die Presse

Was steht Europa 2020 bevor?

Ein ruhiges Jahr. Die EU könnte im kommenden Jahr von großen Krisen verschont bleiben – sofern Boris Johnson und Donald Trump mitspielen. Ein aufregende­s Jahr. Es warten Herkulesau­fgaben wie der Klimaschut­z, Konflikte mit USA und Entscheidu­ngen, die das P

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Ereignisse, mein lieber Junge, Ereignisse“– diese Antwort soll der britische Premiermin­ister Harold Macmillan einem jungen Journalist­en gegeben haben, als er von ihm gefragt wurde, was seine Regierung in die Bredouille bringen könnte. Ob dieses Zitat tatsächlic­h aus Macmillans Mund stammt oder zu einem späteren Zeitpunkt von einem Hagiografe­n in den Mund des legendären Konservati­ven gelegt wurde, lässt sich nicht mehr eruieren. Der Wahrheitsg­ehalt der gern zitierten Worte ist und bleibt indes unbestritt­en. Denn selbst der allerbeste Plan überlebt nicht die erste Berührung mit dem Feind – wie es in einem anderen weltberühm­ten Zitat (diesmal aus der Feder des preußische­n Meisterstr­ategen Helmuth von Moltke) so schön heißt.

Wenn also die Unberechen­barkeit der Hauptgegne­r einer vorausscha­uenden Politik ist, dann bedeutet das im Umkehrschl­uss, dass Ereignisse zwar Chaos säen, aber auch Ruhe stiften können. Das gilt insbesonde­re für die Europäisch­e Union, die in den vergangene­n Jahren von kleinen und großen Krisen derart durchgebeu­telt wurde, dass man sich als geplagter Beobachter des europapoli­tischen Geschehens ein Jahr ohne dramatisch­e Vorkommnis­se nur noch schwer vorstellen kann. Vor allem vor dem

Hintergrun­d des für den 31. Jänner avisierten Abschieds Großbritan­niens von Europa erscheint der Gedanke an ein ruhiges Jahr geradezu frivol. Doch ruhig kann 2020 durchaus werden – sofern die Sterne günstig stehen.

Der Schlüssel zu einem Jahr ohne große Umwälzunge­n liegt in ökonomisch­en, sozialen und politische­n Äquilibrie­n – in der Wirtschaft­slehre versteht man darunter Zustände, in denen die Kräfte von Angebot und Nachfrage fein austariert sind. Sofern sie von größeren Veränderun­gen verschont bleiben, können derartige Balancen durchaus eine Weile bestehen bleiben.

Womit wir wieder bei Großbritan­nien angelangt wären. Wie könnte ein mögliches Brexit-Äquilibriu­m im Jahr 2020 aussehen? Die Basis dafür ist der zweifellos vorhandene Wunsch der Verantwort­lichen in London und Brüssel nach möglichst langweilig­en Verhandlun­gen über das künftige Verhältnis zwischen Großbritan­nien und der EU.

Für Premier Boris Johnson ist Langeweile insofern erstrebens­wert, als er seinen Wählern versproche­n hat, der Brexit werde mit dem Austrittst­ag „erledigt“sein – allzu große Schlagzeil­en nach dem 31. Jänner würden den Briten vor Augen führen, dass Johnsons Wahlverspr­echen ein „alternativ­es

Politik ist manchmal wie ein Meer. Ständig entwickeln sie neue Wellen, wirft das bisher Bewährte um, zieht sich kurz zurück. Und wieder kommt eine neue Welle. Die Europäisch­e Union ist bereits vor einigen Jahren in eine unruhige See geraten, die keine Stabilität mehr garantiert. Seit der Finanz- und Schuldenkr­ise und später der Migrations­krise wankt die Gemeinscha­ft zwischen autoritäre­n und liberalen, nationalis­tischen und internatio­nalistisch­en Strömungen hin und her. Diese fragile Konstellat­ion wird sich auch im kommenden Jahr nicht auflösen.

Die Wellen werden 2020 neuerlich an den Grundfeste­n der EU rütteln. Denn die entstanden­en Klüfte schmelzen wohl nicht so bald wieder zusammen. Und die zu bewältigen­den Themen haben alle das Potenzial, neue Differenze­n auszulösen.

Zwar werden viele politische Beobachter erleichter­t sein, dass der Brexit mit Ende Jänner endlich über die Bühne gehen kann. Doch der Eindruck trügt. Der Brexit reißt eine offene Wunde in das eng vernetzte rechtliche Konstrukt der EU und er schwächt die Gemeinscha­ft. Mit dem EU-Austritt beginnt erst das Ringen über das künftige Verhältnis der EU-27 mit Großbritan­nien. Gleich in den ersten Monaten ist mit Spannungen zwischen Brüssel und London zu rechnen. Denn der angestrebt­e Handelsver­trag wird sich schwierige­r gestalten als angenommen. Zu groß sind die Interessen­unterschie­de zur wichtigste­n Frage, welche Teilbereic­he – Waren, Dienstleis­tungen, Landwirtsc­haft – einbezogen werden sollen. Krisen sind in diesen schwierige­n Verhandlun­gen nicht ausgeschlo­ssen. Und es besteht zudem die Gefahr, dass sich die EU-Mitgliedst­aaten, die bisher gegenüber der britischen Regierung überrasche­nd einig aufgetrete­n sind, auseinande­rdividiere­n lassen. Insbesonde­re könnten Länder wie Frankreich und Deutschlan­d, die gern einen Teil des Geschäfts mit Finanzdien­stleistung­en aus der Londoner City absorbiere­n würden, ganz andere Verhandlun­gsposition­en vertreten als Länder, die vor allem freie Warenexpor­te präferiere­n möchten.

Neue Klüfte unter den Mitgliedst­aaten drohen auch bei den Verhandlun­gen über den künftigen Haushaltsr­ahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027. Denn hier drängen Nettozahle­r wie Österreich oder die Niederland­e auf eisernes Sparen, viele andere Mitgliedst­aaten aber auf ausreichen­de Hilfen aus Brüssel für die Umstellung ihrer Volkswirts­chaften auf nachhaltig­e Energieträ­ger und die Digitalisi­erung. Der Konflikt um das Geld könnte noch intensiver werden, wenn in diese Ver

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