Die Reise der verpassten Möglichkeiten
Kyush¯u.¯ Natürlich kann man eine Japan-Reise nach einem acht Jahre alten Reiseführer planen. Man sollte es nur nicht tun. Und man sollte sich mehr Zeit nehmen, als er empfiehlt.
Man ist ja ach so ein JapanProfi. Vier Mal dort gewesen, Tokio, Kyoto, Hiroshima abgehakt und selbstredend den guten alten Fuji-san. Neue Reize braucht das Hirn. Auf nach Kyu¯shu¯!
Kyu¯shu¯ ist die südlichste der fünf großen japanischen Inseln. Knapp halb so groß wie Österreich, 13 Millionen Einwohner, bekömmliche 15 Grad selbst im November. Auf Kyu¯shu¯ wachsen Palmen.
Und es bietet viel. Städte, Burgen, Gärten, Vulkane und heiße Quellen, schwärmt der bewährte ziegeldicke Japan-Reiseführer. Zur eigenen Verteidigung: Vor der Reise war nicht viel Zeit zum Vorbereiten. Schnell gelesen, schnell eine Route zusammengestellt, ein bisschen gegoogelt. Und los.
Das Erste, was in Kumamoto auffällt, ist der Bär (siehe unten). Kumamon heißt er, ist pummelig, schwarz mit roten Bäckchen und war das Maskottchen, als 2010 die
Shinkansen-Strecke bis Kyu¯shu¯ verlängert wurde. Shinkansen, das sind die wunderbaren japanischen Hochgeschwindigkeitszüge mit der markanten Nase, welche die die 1200 Kilometer zwischen Tokio und Kumamoto in nur sechs Stunden schaffen. Da ist Umsteigen schon eingerechnet.
Kumamon, der nette schwarze Bär, lächelt einem in Kumamoto aus jeder Ecke entgegen. Die Japaner liebten ihn so sehr, dass sie ihn nach 2010 einfach behielten. Auch vor der Burg steht er, dem Wahrzeichen der Stadt, einer der drei prächtigsten Burgen Japans, wie der Reiseführer sagt.
Die Burg thront mitten in der Stadt, auf einem weithin sichtbaren Hügel. Natürlich will man sie sofort besichtigen, gleich nach der Ankunft. Doch statt der imposanten, streng geometrischen schwarzweißen Burg, wie man sie von den Internetfotos kennt, ist da nur eine riesige Baustelle mit vielen Kränen. Weil nämlich Teile der Burg beim großen Erdbeben 2016 einstürzten. Bebenstärke 7,0, googelt man, das Epizentrum nur zwölf Kilometer nördlich von Kumamoto. Tausende Häuser brachen zusammen, Hunderttausende Haushalte hatten tagelang weder Wasser noch Strom. Dem routinierten Umgang der Japaner mit Naturkatastrophen (Fukushima einmal ausgenommen) ist es zu verdanken, dass vergleichsweise wenige Tote und Verletzte zu beklagen waren.
Die Häuser waren schnell wieder aufgebaut. Die Burg wird laut Plan im kommenden Frühjahr wiedereröffnet. Unter der Woche wird emsig gearbeitet, nur am Wochenende dürfen Besucher in die unversehrten Teile der Burg. Doch leider – am Wochenende ist man längst weitergezogen.
Enttäuscht fährt man mit der entzückenden Straßenbahn (sie erinnert an die alte Wiener RingRund-Linie) zum Suizenji-JojuenPark. Der hat, wie alles in Japan, eine lange, sorgfältig erzählte Geschichte. Im 17. Jahrhundert ließ Fürst Hosokawa Tadatoshi dieses Gartenidyll aus Teich, künstlichen Hügeln und sorgsam gezähmter Vegetation anlegen. Man lustwandelt, sucht den „Brunnen des Wassers für ein langes Leben“und beobachtet Koi-Fische. Endgültig versöhnt ist man auf dem Weg zurück zur Straßenbahn, als man den Stand des freundlichen Antiquitätenhändlers Tadeshi entdeckt. Seine Antiquitäten sind leidlich alt, erschwinglich und kommen mit launigen Geschichten (auf Englisch) daher, wo Tadeshi denn dieses Stück ausgegraben hat.
Kumamoto hat noch eine Attraktion. Außerhalb der Stadt wartet die Reigan-do-Höhle, in der der Schwertkämpfer Mayamoto Musashi seine letzten Lebensjahre verbracht hat. Mushashi ist eine japanweite Berühmtheit. Als 13-Jähriger bezwang er zum allgemeinen Erstaunen einen der besten Shinto-Schwertkämpfer des Landes. Ungezählte Kriege, Kämpfe,
Schlachten und Duelle später war Mushashi noch immer unbesiegt. Er blieb es bis zuletzt. Als er „das Ende seines Lebens nahen spürte“(da war er 57 Jahre alt), erbat er den Schutz von Fürst Hosokawa Tadatoshi (richtig: dem Parkbauer), zog sich als Eremit in die Höhle im Wald zurück und schrieb das „Buch der fünf Ringe“. Streng genommen sind es fünf Bücher über Zen, die Kunst des Kampfs und den Sieg über jeden noch so starken Gegner. Fotos zeigen die Höhle und ihre Umgebung als berückend schönen Ort magischer Kontemplation – doch leider, der Besuch fällt ins Wasser. Buchstäblich: Es schüttet.
Der Reiseführer hat eine verflixt knappe Planung vorgeschlagen. Schon am nächsten Tag geht es weiter zum Aso-san. San, das heißt Vulkan auf Japanisch, ist aber auch die höfliche Anrede für alle. Respekt zollt man in Japan beiden.
Vulkan ist hier untertrieben. Der Aso-san besteht aus einer gigantischen bewohnbaren Caldera von 128 Kilometern Umfang. Sie entstand vor 90.000 Jahren nach einer Eruption, so gewaltig, dass man sie sich lieber nicht vorstellen will. An ihrem Rand schoben sich fünf weitere Vulkane hoch, vier schlafen, einer, der Nakadake, ist äußerst aktiv.
Die Vulkane sollen bis morgen warten, denkt man, heute kommt der Aso-Schrein dran, unbedingt sehenswert laut Reiseführer. Der Himmel ist blitzblau, warum nicht laufen? Die Strecke zieht sich, immer an der Hauptstraße entlang, neben einem endlosen Lastwagenstrom.
Am Schrein ist – nichts. Nur ein blickdichter Bauzaun mit Fotos, wie der Schrein einmal aussah. Vor den Erdbeben 2016. Das mächtige Hauptgebäude stürzte ein, die Nebenbauten sind wiederhergestellt, aber ge