Helfen statt Handy und Hängematte
Volunteers. Reisen und Gutes tun: Immer mehr Menschen entdecken den Voluntourismus für sich. Ö1-Moderatorin Sonja Watzka hat ein Kinderhilfe-Projekt in Indien unterstützt. Auch ihre 14-jährige Tochter Ava war als Volunteer mit dabei.
In Afrika verhungern die Kinder, und DU isst dein Jausenbrot nicht!“Mit diesen und ähnlichen Klagen und Anklagen wuchs man als Teenager in den 1970-er Jahren heran. Anno Zwanzigneunzehn hat die Anzahl der potenziellen Aufreger wohl zugenommen, denn man hört sich (mittlerweile selbst in der Elternrolle) plötzlich sagen: „Ich wünsche dir mal eine Zeit in Afrika! Ohne Handy, Netflix, Snapchat, Musikstreaming, ohne schicke Smoothies und superteure Markenkleidung! Und vor allem ohne diese schrecklichen, kabellosen Ohrenstöpsel!“
Liebes Afrika, entschuldige. Es wurde dann auch Indien. Und es ging auch nicht nur um die Handynutzung meiner Teenager-Tochter. Wenn sich Eltern „nur das Beste“für den Nachwuchs wünschen, so muss das nicht „das Teuerste“sein, sondern hat eher mit dem Versuch zu tun, achtsame, verantwortungsbewusste junge Menschen heranzubilden, die nicht nur an ihrem eigenen Glück, sondern auch an dem der Welt rundherum interessiert sind. Da kann es doch nur eine Bereicherung sein, wenn ein Kind einmal eine völlig andere Lebenswelt kennenlernt, mit der Möglichkeit, die eigene Situation, das eigene Land aus einer wirklich anderen Perspektive wahrzunehmen.
Ich dachte ursprünglich an eine Mutter-Tochter-Reise ans Meer, an gemeinsames Plastikmüll-Aufsammeln, Strände-Säubern oder an Mithilfe bei einem KlimaschutzProjekt. Dass wir dann das wunderbare „Zuki“-Kinderdorf kennenlernen durften, war eher einem Zufall zu verdanken, und – ironischerweise – meiner eigenen Handynutzung. Ich hatte auf Instagram gelesen, dass eine Studentin gerade von einem Freiwilligeneinsatz bei Zuki in Kolkata (früher: Kalkutta) zurückgekehrt war. Dieser österreichische Verein „Zuki – Zukunft für Kinder“unterstützt seit 2002 ein Schulprojekt, das Straßenkindern aus den Slums der
Stadt ein neues Zuhause und Schulbildung bietet. Die Obfrau des Vereins, meine langjährige Ö3-Kollegin Claudia Stöckl, hatte sich schon vor einigen Jahren dafür eingesetzt, dass im Zuki-Village ein Gästezimmer für Besucher und Volontäre eingerichtet wird.
Ein knappes Jahr – und einige Impfungen und Reiserückholversicherungen – später, saßen wir im Flugzeug Richtung Kolkata. Meine
Tochter war schnell überzeugt gewesen („Wir werden zwei Wochen mithelfen, und dann fahren wir noch für ein paar Tage ans Meer, wenn wir schon so weit gereist sind. Und du kannst beim Schnorcheln bunte Fische sehen!“), ihre Vorfreude galt aber sowieso eher dem Pfadfinderlager in Oberösterreich direkt nach Ferienbeginn. Wie banal und desillusionierend eigentlich, aber die Interessen eines Teenagers liegen einfach im Freundeskreis und nicht in der Familie; da darf man sich nichts vormachen. Von meinen (trotz immenser Vorfreude und Zuversicht dennoch vorhandenen) Zweifeln wusste sie natürlich nichts: Wie viel Armut und indische Hoffnungslosigkeit darf man einer Heranwachsenden zumuten? Ist es nicht das Privileg der Kindheit, die süße Unbeschwertheit und Leichtigkeit so lang wie möglich genießen zu dürfen? Weil Sorgen, Zweifel und Ängste beziehungsweise die harte Realität sowieso „später“einmal Thema werden? Was, wenn sie sich eine schreckliche Tropenkrankheit einfängt? Und können wir zwei Laien ohne jede pädagogische Ausbildung in einem Kinderheim überhaupt nützlich sein?
Unterstützung und Zuspruch erhielten wir jedenfalls von Avas Vater und dem Rest der Familie. Auch findet man „Freiwilligenarbeit im Ausland“als maßgebliche Säule einiger – sündteurer – Wiener Privatschulen. Das Konzept ist also nicht neu, warum es nicht selbst versuchen? Und als gemeinsames Eltern-Kind-Abenteuer anlegen? Und das wurde es auch: ein wunderbares Abenteuer!
Wir haben vor Ort gesehen, wie es gelingen kann, 270 Straßenkinder vor Armut, Hunger und Prostitution zu schützen, indem man ihnen ein neues Zuhause, Freundschaften, Wärme, Sicherheit und Ausbildung ermöglicht, dazu Englisch als zweite Sprache sowie Kontakte ins Berufsleben. Wir wurden von den Kindern mit übergroßer Herzlichkeit empfangen, man hat uns sofort an der Hand genommen, als wären wir schon lang Freunde gewesen. Wir haben kleineren Kindern aus englischen Büchern vorgelesen, mit den großen Workshops in Sachen Präsentation und Sprechtechnik veranstaltet, wir haben ihnen unsere persönlichen Lieblingsspiele gezeigt, mit ihnen getanzt, Brot gebacken, Volleyball gespielt, gemeinsam gesungen und gelacht.
Wir haben gesehen, wie aus 35 Euro monatlicher Spende aus Österreich ein Lehrerkollegium für Schüler von vier bis 18 Jahren finanziert wird, dazu Psychologen, Köche, eine Managerin und Schuldirektorin. Wir durften erleben, wie der großartige Leiter des Projekts, ein ehemaliger Mitarbeiter von Mutter Teresa, Xavier Raj, den Kindern eine liebevolle, verlässliche Vaterfigur abgibt.
Der jüngere Teil von uns hat bestaunt, wie die Mädchen und Burschen ohne Mobiltelefon auskommen, wie fantasievoll und lustig sie sind, und wie sie ihren Alltag nach der Schule ohne Ablenkungen aus dem Internet gestalten. Wir haben beide die extrem hohe Luftfeuchtigkeit der Monsunzeit überstanden, gemeinsam Bäche geschwitzt, wir haben unsere heimatlichen Hygienestandards vermisst, aber gesehen, dass man auch bei Stromausfällen und ohne fließendes Wasser vorübergehend überleben kann. Wir haben erfahren, dass man sich an den – nicht nur kolportierten, sondern tatsächlich vorhandenen – Gestank auf den Straßen Indiens gewöhnen kann, vor allem wenn er von den wunderbaren Gerüchen der indischen Küche besiegt wird; wir haben uns anderen Gepflogenheiten angepasst und auch in der ärgsten Hitze (laut Ava „gesittete“) lange Kleidung getragen. Und nicht zuletzt: wir wurden von Zuki auf Instagram und Facebook gefeiert und gelobt und haben zahlreiche Likes bekommen;-)
Jetzt, zwei Monate nach unserer Rückkehr stellt sich die Frage: Was hat diese Reise mit uns gemacht? Vor allem mit der 14-jährigen Debütantin in Sachen Freiwilligenhilfe, die ihre Sommerferien bisher ausschließlich mit Spiel, Sport und Spaß verbracht hat? Auf die Frage, ob sich dadurch in ihrer Denkweise oder ihrem Verhalten etwas verändert hat, kommt erst einmal die Antwort: „Keine Ahnung, ich bin zu jung dafür.“Danach spricht sie aber sehr wohl davon, dass es „spannend, interessant und lustig“gewesen sei, „eine Erfahrung fürs Leben.“Sie war überrascht, wie gut die Kinder Englisch sprechen und will versuchen, in ihrem Gymnasium BRG19, das mit „Merry Charity“ein eigenes Hilfsprojekt betreibt, beim nächsten Mal für Zuki Spenden zu sammeln. „Sonst waren es ganz normale Kinder. Ich finde es gut, dass sie kein Snapchat und Instagram haben und dass sie dadurch nicht so verseucht und süchtig werden wie ich zum Beispiel.“Na immerhin.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass ihre wesentlich ältere Begleitperson selbst noch nach Formulierungen für ein Resümee sucht, und mit Wortfetzen wie „Ich habe mich in 270 Kinder verliebt“verwirrt. Was man mit Gewissheit sagen kann: Es war eine großartige Erfahrung, die unsere Herzen sehr berührt hat, eine Fortsetzung wird angedacht.