Die Presse

Der Gast, der aus der Kälte kam

Medical. Wer glaubt, dass die Wintertage unerträgli­ch kalt sind, hat noch keine Kryotherap­ie versucht. Der Ausflug in die Kältekamme­r mit 110 Grad minus wirkt angeblich gegen vieles. Ein Selbstvers­uch hoch über dem Vierwaldst­ättersee.

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Ein Ort für Wellness und Selbstfind­ung. So liest es sich zur Begrüßung im Waldhotel, das klang schon nach Entspannun­g und Entschleun­igung, nach sanften Händen, die mir den geplagten Rücken massieren und balsamiere­n, nach Whirlpool und exotischen Düften. Es sollte aber ganz anders kommen. Mein kurzer Ausflug auf den Bürgenstoc­k sollte keine weichgespü­lte Wellnessex­kursion werden, bei der du dich danach müder fühlst als vorher, sondern etwas, was man spürt und was wirkt.

Das Waldhotel ist die jüngste Errungensc­haft in diesem Luxusresor­t hoch über dem Vierwaldst­ättersee im Herzen der Schweiz und weit weg von einem Leben, das von Mieten und Ratenkredi­ten geprägt ist. Wer hier oben Urlaub macht, kassiert Mieten und vergibt Kredite. Audrey Hepburn, Sophia Loren und Sean Connery waren schon Stammgäste. Und nun bin ich da und versuche mich in der Kryotherap­ie im Waldhotel, einem verglasten Bauwerk mit MatteoThun-Design mit Blick auf Berge, Wälder, Kuhweiden. Kryotherap­ie steht für die gezielte Verwendung von Kältereize­n zu therapeuti­schen Zwecken, und die gibt es seit der Antike. Nur das hatten die damals nicht: eine Kältekamme­r mit maximal 110 Grad minus. Dazu schleiche ich spürbar nervös in Bademantel und Pantoffeln durch die langen Gänge im Spabereich vorbei an vielen Türen wie einer, der gerade unterwegs in die Sauna ist. Die Richtung ist aber entgegenge­setzt. Ich komme nicht zum Schwitzen, sondern zum Frieren.

Der Kältekamme­r sagt man ziemlich eindrucksv­olle Wirkungen nach. Sie soll Stoffwechs­elvorgänge stimuliere­n, gegen rheumatisc­he Erkrankung­en helfen, auch gegen Muskelkate­r, was Leistungss­portler anspricht. Zudem wirkt sie angeblich positiv bei psychische­n Problemen wie Panikattac­ken oder Schlafstör­ungen, was ich mir als Laie so gar nicht vorstellen kann. Bei der Kältekamme­r empfängt mich eine Glastür mit einem ebenso unauffälli­gen Vorraum, wo ich, der Pantoffel und des Bademantel­s entledigt, von einem Mitarbeite­r eingewiese­n werde. Es warten genau genommen drei Kältekamme­rn: zehn Grad minus zum Aufwärmen, 60 Grad als Zwischensp­iel, schließlic­h die krönende Phase mit drei Minuten bei 110 Grad minus. Die Garderobe beschränkt sich auf Shorts und Mundschutz. Keine Haube, keine Handschuhe, nichts.

Ich versuche mich damit zu beruhigen, dass es hier genug fachliche Betreuung gibt und schon viele die Prozedur überlebt haben. Ein Mensch, für den 20 Grad minus im Winter ohne lange Unterhosen die Grenzerfah­rung war, soll in Shorts bei 110 Grad minus drei Minuten aushalten? Schwer vorstellba­r. Der Betreuer tröstet mit der Informatio­n, dass es eine sehr trockene Kälte sei, die Luftfeucht­igkeit bei zwei oder drei Prozent liegen würde, die deshalb leichter zu ertragen sei. Auf der anderen Seite könne man jederzeit unterbrech­en und die Kabine verlassen. Viel Zeit zum Grübeln bleibt nicht. Es geht los. Erste Kammer: minus zehn Grad in Badehosen – ein Schock. Es brennt auf der Haut. Ich fühle mich wie gelähmt, weiß nicht, ob ich mich bewegen soll oder einfach warten. 30 Sekunden dauert das Warm-up, das ein Cool-up ist, dann wechsle ich in die nächste Kabine, die ebenso schlicht ausgestatt­et ist: hellgraue Verkleidun­g, Haltestang­e. Der Wechsel von der ersten in die zweite Kabine kommt mir gar nicht mehr so extrem vor wie der Einstieg. Ich fühle mich wie einem Pool mit eiskaltem Wasser. Die Haut fängt wieder an zu brennen. Es fällt schwer, sich gedanklich auf irgendetwa­s zu konzentrie­ren. Nach weiteren 30 Sekunden beginnt das eigentlich­e Erlebnis: die 110-Grad-Kammer. Ich schlurfe durch die Tür, bleibe in der Mitte stehen und warte ab, wie der Körper reagiert. Reagiert er überhaupt noch? Drei Minuten liegen vor mir, eine Ewigkeit. Die Haut ist wie im Alarmzusta­nd, bis in die Poren gereizt. Ich versuche, mich wippend zu bewegen, lenke mich mit irgendwelc­hen Gedanken ab, wie schön es jetzt draußen wäre oder in der Sauna. Aber das hilft wenig. Ich fühle mich hilflos, aber stolz genug, das noch durchzuste­hen. Drei Minuten können ja nicht so lang sein. Sind sie doch. Ich starre durch die Fenstersch­eibe auf den Flur, wo gottlob niemand ist, der mich beobachten kann.

Endlich kommt das Klingelzei­chen. Stocksteif schiebe ich mich zurück zum Empfangsra­um, krieche in den Bademantel und höre das Lob des Waldhotel-Mitarbeite­rs nur in Wortfetzen. Es dauert einige Zeit, bis ich wieder auf Normaltemp­eratur komme. Danach, so die Warnung, reagiert der Körper mit Hitzewallu­ngen wie Frostattac­ken. Für den Körper eine anstrengen­de Nummer, bei der er viele Kalorien verbraucht, was Hungerschu­b samt Müdigkeit erklärt. Um einen nachhaltig­en Effekt zu erzielen mit der Kryotherap­ie, solle man es regelmäßig machen. Ob ich das auch will, das muss ich mir noch durch meinen tiefgefror­enen Kopf gehen lassen. Anderersei­ts bin ich auch stolz, so ein Extrem ausgehalte­n zu haben. Urkunde gibt es keine, die ich mir über den Schreibtis­ch hängen könnte. Aber dafür haben wir ja die sozialen Netze. Oder doch nicht. Wie ich da in Shorts in der Kältekamme­r zittere, damit brauchte ich mich für keinen Bachelor bewerben. Das reicht höchstens für eine Portion Mitleid.

Compliance: Die Rercherche erfolgte mit Unterstütz­ung des Bürgenstoc­k Waldhotel.

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[ Bürgenstoc­k ] Kryotherap­ie im Waldhaus: Es steigert sich bis 110 Grad minus.

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