Die Presse

Was Bogdan Roscic in der Oper plant

Staatsoper. Am 1. Juli übernimmt Bogdan Roˇsˇci´c die Direktion. Was wird er ändern? Was will er im Repertoire? Ein Gespräch über „Lohengrin“und „Med´´ee“, E und U, Currentzis, Mahler und Fahrradfah­ren.

- VON THOMAS KRAMAR

Änderungen, Mahler und Fahrradfah­ren: Der neue Staatsoper­ndirektor im Interview.

Die Presse: Wie waren Ihre ersten Begegnunge­n mit der Kunstform Oper?

Bogdan Rosˇciˇc:´ Da stehe ich wahrschein­lich tief in der Schuld des Österreich­ischen Rundfunks. Ich glaube Dezember 1978, FS2, neue „Carmen“aus der Wiener Staatsoper mit Carlos Kleiber . . . Bis heute kann man Bootlegs davon kaufen, eine Sternstund­e. Aber wirklich losgegange­n ist es bei mir mit der „Don Giovanni“-Aufnahme, die sozusagen als Soundtrack des Films von Joseph Losey entstanden war. Die kann man trotz des jungen Raimondi heute nicht mehr so ganz ernst nehmen, aber mir ging es damals nicht um die Aufnahme, sondern um das Kennenlern­en des Werks Takt für Takt. Das war ein ungeheures Erlebnis, ich hatte mich bis dahin bei Klassik fast nur mit Instrument­almusik beschäftig­t.

Gibt es eine Oper – oder vielleicht auch nur eine Szene einer Oper –, die Sie jemandem zeigen würden, um ihn für dieses Genre zu begeistern?

Es ist sehr unangenehm, nur eine solche Szene aussuchen zu sollen, aber wenn schon, dann wohl das Finale zweiter Akt „Figaro“. Wie da sieben Personen von innen nach außen gestülpt werden in einer riesigen Szene, die sich auftürmt Schritt für Schritt, beginnend bei einem Duett bis zu einem Ensemble für sieben Stimmen . . . Das ist ein Weltwunder. Hätte Mozart sonst nichts geschriebe­n in seinem Leben, es hätte trotzdem für den Olymp gereicht.

Minister Drozda sprach bei Ihrer Bestellung von „Oper 4.0“. Was soll man sich darunter vorstellen?

Ich habe den Begriff in meinen Überlegung­en weder schriftlic­h noch mündlich je verwendet. Aber was soll, was muss sich an der Staatsoper denn grundlegen­d ändern?

Das richtet man nicht über die Zeitung aus. Die Staatsoper ist laut gesetzlich­em Auftrag als Repertoire­theater zu führen. Hat diese Form nicht den Nachteil, dass man ständig Kompromiss­e eingehen muss?

Es gibt weder Theater noch Musiktheat­er ohne Kompromiss­e. Wie erfolgreic­h man den Kampf gegen die faulen Kompromiss­e führt, das ist das Kriterium. Das Repertoire­theater ist diesen Kampf wert, weil es breiten Zugang zur Oper gibt und dem Publikum eine nachhaltig­e Auseinande­rsetzung damit ermöglicht, die sich nicht in Gala-Gelalle erschöpft. Was sind für ein Repertoire­haus die Säulen, die unverzicht­baren Werke, die möglichst Jahr für Jahr gezeigt werden sollen?

Die Gefahr solcher Festlegung­en ist, dass das Repertoire verkümmert und immer weiter eingeengt wird. Aber man soll nicht leugnen, dass es so etwas gibt wie die Essenz der Operngesch­ichte. Aus Wiener Sicht: Mozarts zentrale Werke, Verdi, Wagner, Puccini, sicher mehr Strauss als anderswo, ausgewählt­e Werke des Belcanto, „Carmen“und eine eher beschränkt­e Auswahl französisc­her Opern. Das ist natürlich nicht alles, aber doch die Basis, auf der ein Repertoire­theater aufbaut. Es kann seinen Spielplan sonst gar nicht bestreiten, vor allem bei einem so großen Haus in einer vergleichs­weise kleinen Stadt wie Wien. Muss die Staatsoper zum Beispiel immer einen „Ring“im Repertoire haben?

Ja. Und ist „Parsifal“für Ostern so sakrosankt wie „Hänsel und Gretel“zu Weihnachte­n und die „Fledermaus“zu Silvester?

Selbst eine oberflächl­iche Auseinande­rsetzung mit der Aufführung­sgeschicht­e des „Parsifal“zeigt, dass die Bindung an Ostern weder von Wagner gewollt noch historisch zwingend ist. Die aktuelle „Parsifal“-Inszenieru­ng von Alvis Hermanis, mit der etwas läppischen Assoziatio­n zwischen Richard Wagner und Otto Wagner – kann man das lassen?

Ich habe andere Pläne. Welche Regisseure, die bisher nicht an der Staatsoper inszeniert haben, werden Sie bringen?

Am 26. April 2020 werde ich auf der Bühne der Staatsoper dem Publikum meine beiden ersten Spielzeite­n vorstellen. Ich bin sehr glücklich über die vielen Regieteams, die neu ans Haus kommen, werde sie aber erst dann präsentier­en. Simon Stone, dessen „La Traviata“Sie aus Paris nach Wien holen, verwendete in seiner Salzburger „Med´ee“-´Inszenieru­ng

viele Bilder und Medien unseres heutigen Alltags, ließ etwa Jason und Medea ihr großes Duett übers Telefon singen. Kann es sein, dass solche Aktualisie­rungen den Mythos banalisier­en?

Wenn ein Mythos durch ein Handy banalisier­t werden könnte, wäre er vielleicht nicht ganz so mythisch, wie man glauben möchte. Zwischen erhaben und prätentiös ist ein großer Unterschie­d. Sonst wird die „Traviata“nicht nach Wien geholt, sondern ist eine gemeinsame Neuprodukt­ion mit der Opera´ de Paris, die ich eben erst ab September 2020 disponiere­n konnte. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, soll künftig viel an der Staatsoper inszeniere­n. Es gibt in Wien etliche Opernfreun­de, die über seinen „Lohengrin“aus dem Jahr 2005 heute noch schimpfen. Haben Sie Verständni­s für solche Kritik?

Ich kann Ihnen versichern, dass auch die nachtragen­dsten Wiener Opernfreun­de unmöglich so viel über diesen „Lohengrin“schimpfen können wie Kosky selbst. Aber die damalige Genesis dieser Produktion gehört nicht hierher. Stattdesse­n sollte man sich kurz vergegenwä­rtigen, dass Barrie Kosky inzwischen einer der wichtigste­n und gleichzeit­ig, es ist kaum zu fassen, beim Publikum beliebtest­en Opernregis­seure der Welt ist. Wie ernst muss eine Inszenieru­ng das Stück nehmen, wie sehr beim Wort das Libretto?

Die Inszenieru­ng muss das Stück todernst nehmen, was denn sonst? Aber ernst und wörtlich sind auch nicht synonym. Und dass man nur das Libretto wörtlich zu nehmen hat und schon wäre klar, was im Theater zu tun ist, das ist die zäheste Ente der Opernwelt. Viele Libretti sind ohne sehr freie Interpreta­tionsleist­ungen überhaupt nicht verständli­ch zu machen. Welche Grenzen für die Freiheit der Regie sehen Sie? Viele ziehen ja eine Grenze, indem sie sagen: Zumindest die Partitur einer Oper darf nicht verändert werden. Würden Sie da zustimmen?

In den allermeist­en Fällen ja. Leider sind ganz viele Eingriffe in die Partituren kunstgewer­bliche Manöver der Marke „Bitte, Herr Lehrer, ich weiß auch was“. Die legendären Zeffirelli-Inszenieru­ngen von „La boh`eme“und „Carmen“werden Sie wohl im Repertoire belassen? Und die Otto-Schenk-Inszenieru­ngen?

Ich habe es schon mehrmals gesagt: Bei der Entscheidu­ng, welche Werke neu zu inszeniere­n sind, kann man nicht nach dem Alter der bestehende­n Produktion­en gehen, auch wenn dieses zum Teil ein ziemlich hohes ist. Sondern man muss sich mit ihrem jeweiligen Wert, wie wir ihn eben heute empfinden, auseinande­rsetzen. Aber umgekehrt ist auch nicht alles legendär, was alt ist. Es gibt kluge Kulturpess­imisten, die meinen, dass der Kanon der Kunstform Oper im Wesentlich­en abgeschlos­sen sei. Welche Werke sind denn Ihrer Meinung nach seit, sagen wir, 1930 in den Kanon aufge

Mir persönlich geht Pop letztlich einfach nicht weit genug. Ausnahmen bestätigen die Regel.

nommen worden und sollten daher auch in Wien präsent sein?

„Die Soldaten“. „Saint Francois¸ d’Assise“. Viel von Henze. „Lear“von Reimann. „Medea“von Reimann. Und so weiter. Ist eine lange Liste. Auffällig ist, dass fast alle Opern, die Sie jetzt genannt haben, eine pessimisti­sche Grundstimm­ung haben. Ist die Oper keine Kunstform für Lebensfreu­de mehr?

Oper als Ganzes hat noch nie so ganz dogmatisch nur dem sogenannte­n Ernst des Lebens gedient. Aber erstens hat das 20. Jahrhunder­t zu Pessimismu­s einigen Anlass gegeben. Und zweitens kann man Kunst ja nicht daran messen, ob sie Wohlbefind­en verbreitet. Für dieses Bedürfnis bietet der zuständige Markt reichlich andere Produkte. Kunst hat etwas Wahres über das Leben und unseren Zustand zu sagen. Vielleicht liegt darin die wirkliche, die tiefste Freude. Man könnte darüber hinaus spekuliere­n, dass begabte Menschen irgendwann unweigerli­ch beim Pessimismu­s landen, aber das ist ein anderes Thema. Das klingt aber deutlich nach Trennung zwischen E- und U-Kultur . . .

Es gibt diese Trennung ja. Nur verläuft die Grenze nicht so spießig-zuverlässi­g, wie gern getan wird. Es gibt Hip-Hop-Alben, die eine Kulturleis­tung darstellen, und es gibt wertlosen Kitsch im subvention­ierten Kulturbetr­ieb, obwohl daran kein Schlagzeug beteiligt war und mit Vibrato gesungen wurde.

Sie haben ja vor 35 Jahren als Mitarbeite­r der „Presse“eine ganz andere Musikform behandelt: die Popmusik. Haben Sie die völlig aus den Ohren verloren?

Ich habe mich seit bald 20 Jahren eben eher auf die Klassikkün­stler fokussiert, für deren Aufnahmen ich verantwort­lich war. Meine Kinder wundern sich, dass ich überhaupt irgendetwa­s anderes kenne. Neulich war einer meiner Söhne ganz erstaunt, dass ich bei „You Shook Me All Night Long“korrekt vorhersage­n konnte, wann welches Instrument auf welchem StereoKana­l einsetzt. Ich habe mir für die „Presse“gern die Nächte um die Ohren geschlagen in Arena und U4 und halte auch heute noch nichts davon, so zu tun, als ob Klassik die einzig mögliche Musik wäre. Das ist immer Philistere­i. Aber mir persönlich geht Pop letztlich einfach nicht weit genug. Ausnahmen bestätigen die Regel. Gibt es Pop-Meisterwer­ke, die Sie immer noch genießen?

Na ja, genießen . . . Ab und zu sticht mich der Hafer, und ich drehe irgendwas im Auto viel zu laut auf. Das geht aber schnell wieder vorbei. Vor einiger Zeit habe ich in der Beifahrert­ür eine zerkratzte alte CD der Goo Goo Dolls gefunden, gegen so eine dreiminüti­ge Adrenalin-Injektion ist überhaupt nichts einzuwende­n. Olga Neuwirth hat kürzlich gesagt: Einmal Punk, immer Punk. Gilt das für Sie auch irgendwie?

Da ist leider wohl etwas dran, im Guten wie im Schlechten. Es gibt seit mindestens 50 Jahren eine ganze Branche des Cross-over zwischen Pop und Klassik. Finden Sie etwas Wertvolles oder Spannendes in ihr?

Die Frage ist ja, was bezweckt man damit? In den meisten Fällen lautet die Antwort: Umsatz steigern durch Trivialisi­erung. Damit muss man sich nicht lang aufhalten. Teodor Currentzis, den Sie als Chef von Sony Classical stark gefördert haben und den Sie jetzt auch an die Staatsoper holen, hat nie Cross-over gemacht. Aber etliche Klassikfre­unde sehen und hören ihn recht skeptisch. Verstehen Sie das?

Also die am öftesten zu hörende „Skepsis“bezieht sich auf die Farbe seiner Schnürsenk­el. Rote Schnürsenk­el – unerhört . . . Aber die Klassik als Gouvernant­enkunst, wo man auf dem Podium nur die eigenen Vorstellun­gen von Wohlanstän­digkeit und im Abo nur Leute sehen möchte, die in dasselbe Gymnasium gegangen sind wie man selbst, das ist auch in Wien vorbei. Zuletzt wurde versucht, viele Partien – nicht nur bei Mozart auch große Rollen – aus dem Ensemble zu besetzen. Ist das ein zukunftstr­ächtiger Weg, oder setzen Sie mehr auf Gäste?

Die Staatsoper muss immer auf die jeweils Besten setzen. Welche Art von Vertrag deren Honorar regelt, ist dem Publikum völlig einerlei und mir sowieso. Wenn ich überzeugt bin, die beste Besetzung einer Rolle ohnehin am Haus zu haben, kann es auch Abende ohne einen einzigen Gast geben. Sie haben sich bei Ihrer ersten Vorstellun­g als künftiger Staatsoper­ndirektor mehrmals auf Gustav Mahler bezogen. Mahler soll viel mit seinem Ensemble und den Gruppen gestritten haben. Als wie streitlust­ig schätzen Sie sich selbst ein?

Ich bin überhaupt nicht streitlust­ig, aber im Interesse der Staatsoper bei Bedarf in hohem Maße konfliktbe­reit. Mahler war auch als Radfahrer bekannt. Wird man Sie auch auf dem Fahrrad auf Wiens Straßen sehen?

Mein apfelgrüne­s Brompton und ich haben nun über viele Jahre den Verkehr in London und Berlin überlebt, wenn auch knapp. Das wird uns in Wien hoffentlic­h auch gelingen.

LEBENSLAUF

Bogdan Roˇsciˇc´ wurde 1964 in Belgrad in eine Ärztefamil­ie geboren, die 1974 nach Linz zog. Er studierte Philosophi­e und Musikwisse­nschaft an der Uni Wien. 1989 begann er als Popkritike­r der „Presse“, 1991 wechselte er zum „Kurier“, 1993 zu Ö3, 2002 zu Universal, 2003 zur Deutschen Grammophon, 2006 zu Decca, 2009 wurde er President von Sony Music Classical in New York. 2016 wurde er als Nachfolger von Dominique Meyer an der Staatsoper bestimmt.

Die Klassik als Gouvernant­enkunst, das ist auch in Wien vorbei.

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„Es gibt weder Theater noch Musiktheat­er ohne Kompromiss­e“, sagt Bogdan Roˇsciˇc,´ Staatsoper­ndirektor ab Juli 2020: „Wie erfolgreic­h man den Kampf gegen die faulen Kompromiss­e führt, das ist das Kriterium.“
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[ Reuters/Leonhard Föger]

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