Die Jugend verliert die Geduld
Revolte. Die Schüler streiken für das Klima, doch Fridays for Future war erst der Anfang. Die Jungen sehen sich im demokratischen Prozess nämlich ausgebootet: Es gibt einfach zu viele wahlberechtigte Alte.
Eigentlich dachten wir ja, der Generationskonflikt sei ein Thema von vorgestern. Nicht wenige fanden das sogar irgendwie bedenklich: Allzu brav seien die Jungen, verblüffend angepasst und pragmatisch. „Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben“, betitelte etwa Bernhard Heinzlmair 2013 ein Sachbuch. Und die Soziologen schienen ja recht zu haben: Die Generationen Y und Z planten keine Revolten, stürzten die Altvorderen nicht von ihren Sockeln, sie lebten bis in ihre Zwanziger zu Hause und schienen sich im Schoß der Familie generell fast schockierend wohlzufühlen.
Nicht einmal in der Pubertät flippten sie richtig aus. Wieso auch? Die Eltern boten ja kaum Angriffsfläche.
Dann kam Fridays for Future, und so mancher musste die Einschätzung der heutigen Jugend revidieren. Die Töchter, sie mögen sich immer noch am Kleiderschrank ihrer Mütter bedienen, doch mit Mamas Stiefeln ziehen sie jetzt in den Streik. Die Söhne, sie rechnen beim gemeinsamen Abendessen ihren Vätern die CO2-Bilanz des geplanten Familienurlaubs vor. Die angeblich so strebsamen beziehungsweise hedonistischen Kinder nehmen unentschuldigte Fehlstunden in Kauf und fahren mit dem Zug von Wien nach Madrid zur Weltklimakonferenz. Und Greta Thunberg avancierte zum Feindbild für viele Erwachsene.
Ein Drittel der Wähler sind über 60
Es ist kein Zufall, dass diese Bewegung von einer Altersgruppe ausging, die großteils vom demokratischen Entscheidungsprozess noch ausgeschlossen ist: Die Schüler können sich schließlich nur mithilfe von Streiks und Demonstrationen Gehör verschaffen. Das Problem: Daran wird sich auch nichts ändern, wenn sie mit 16 (Österreich und Malta) oder 18 Jahren (im Rest Europas) an die Wahlurnen gebeten werden. Die Generationen Y und Z werden feststellen müssen: Die demografische Entwicklung arbeitet gegen sie. Es gibt einfach nicht genug von ihnen. Und es gibt zu viele Alte: 1987 war in Deutschland ein Viertel der Wähler über 60 Jahre alt, 2017 schon ein Drittel, 2040 wird es fast die Hälfte sein. Dazu kommt: Sie wählen anders als die Jungen.
Das Wahlverhalten der Generationen driftet weltweit auseinander – und die Jungen drohen dabei zu verlieren. Nur 35 Prozent der unter 24-Jährigen stimmten für Trump. Nur 20 Prozent in dieser Altersgruppe waren für den Brexit. Boris Johnson mag am 12. Dezember triumphal gewonnen haben, aber von den Jungen wählten ihn nur 21 Prozent. Zwei Jahre früher kam die glücklose Theresa May auf 27 Prozent. Und schon damals zeigte sich der „New Statesman“besorgt. So groß sei die Kluft zwischen Alt und Jung noch nie gewesen, seit es dazu Befragungen gibt, also seit den 1970er-Jahren.
In Österreich ist die Entwicklung anders, wir haben schließlich kein Mehrheitswahlrecht, aber sie verläuft ähnlich prägnant. Hierzulande profitierten die Grünen davon, dass die Umwelt bei den Jungen Thema Nummer eins ist: 27 Prozent erreichten sie bei den unter 30-Jährigen. Bei den über 60-Jährigen: nur fünf Prozent.
Die Babyboomer, die letzten, die noch so richtig rebellierten, konnten allein kraft Masse politische Veränderungen durchsetzen. Das geht heute nicht mehr. Mit dem Ergebnis, dass die Jungen allmählich die Geduld verlieren. Der Ton wird zunehmend rauer. Den Anfang machte der abwertende Begriff „alter weißer Mann“für Vertreter konservativer Geisteshaltungen. An Generationskonflikt dachte da noch niemand, irgendwie schien die Betonung auf dem Wort „Mann“zu liegen. Doch dann machte heuer eine Phrase weltweit Karriere, die keinen Zweifel mehr übrig ließ, dass es auch um das Geburtsdatum ging: „Ok Boomer“, meinte etwa die neuseeländische Abgeordnete Chloe Warwick knapp, als sie bei ihrer Rede zum Klimawandel durch einen älteren Abgeordneten unterbrochen wurde. Der Spruch fasst die Ungeduld der Jungen am knappesten zusammen: Sie haben keine Lust mehr auf lange Erklärungen. Er markiere „das Ende der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Generationen“, schrieb dazu die „New York Times“.
Auch die eigentlich durch ihr höfliches Auftreten bekannte Bewegung Fridays for Future wurde zuletzt rüde. Kurz vor Weihnachten sorgte ein Tweet aus Deutschland für Empörung: „Warum reden uns die Großeltern eigentlich immer noch jedes Jahr rein? Die sind doch eh bald nicht mehr dabei.“Das sei satirisch gemeint gewesen, beteuerten die Aktivisten und schoben umgehend eine Entschuldigung nach.
„Schaut, was ihr uns hinterlassen habt!“
Ein verunglückter, aber auch erhellender Tweet. Der Protest der Schüler richtet sich heute weniger gegen die eigenen Eltern, sondern vielmehr gegen Oma und Opa. Gegen eine Generation, die zwar den demokratischen Prozess dominiert, mit den Konsequenzen der politischen Entscheidungen aber zum Teil nicht mehr wird leben müssen. Die Folgen von Wirtschaftskriegen, Brexit oder versäumten Maßnahmen gegen die Klimakrise treffen vor allem die Jungen.
In Australien wurde eine 13-Jährige zum Gesicht des Protests, als sie gegen die Regierung demonstrierte, die den Klimawandel trotz Rekordhitze und Buschbränden weiter leugnet. Auf ihrem Schild stand: „Schaut, was ihr uns hinterlassen habt!“Die Antwort vieler Erwachsener: Eine Welt, in der weniger Kinder sterben als je zuvor, in der mehr Mädchen lesen und schreiben lernen, in der weniger Menschen Hunger leiden, als das in der Geschichte der Menschheit jemals der Fall war. Die Antwort der Jungen: Eine Welt, die bedroht ist von mörderischer Hitze und Artensterben, in der Küsten versinken und Milliarden auf der Flucht sein werden, wenn sich nicht bald etwas bewegt. Ihr habt versagt, rufen sie. Ihr seid undankbar, sagen die Erwachsenen.
Manchmal ist Ungeduld auch eine Tugend.
Sie tauschen zwar mit den Eltern Kleidung, aber sie nehmen den Kampf auf. Der Konflikt zwischen den Generationen eskaliert.