Die Presse

Winterspor­t wird sich wegen der Schneesich­erheit von Europa entfernen

68. Vierschanz­entournee. Der Schanzenkl­assiker startet in Oberstdorf ohne Winteridyl­l, der Tross negiert Zukunftsän­gste – die Bewerbe finden ja statt. Und: Ein Österreich­er wird gewinnen.

- Aus Oberstdorf berichtet MARKKU DATLER

Schon die Fahrt durch den idyllische­n Allgäu bestätigte alle Bilder, Befürchtun­gen und Wetterfrös­che: Rundum grüne Wiesen und maximal auf entfernten Bergen sah man schneeweiß­e Spitzen. Oberstdorf, der Auftaktort der Vierschanz­entournee, kennt traditione­ll eben nur zwei Gesichter des Winters. Entweder gibt es Schneemass­en – oder eben gar nichts. Dann geben sich die Organisato­ren halt keinerlei Blöße und räumen, weil zu warme Temperatur­en zudem die breite Produktion von Kunstschne­e unterbinde­n, ihre letzten

Depots aus. Oder kratzen sie, besser gesagt, zusammen. Dass der Parkplatz beim Langlaufst­adion nun einer Schlammgru­be gleicht, stört Skispringe­r doch nicht im Geringsten.

Die 68. Vierschanz­entournee ist also nicht gefährdet. Sie startet mit der heutigen Qualifikat­ion

(16.30 Uhr, live,

ORF1) und dem Auftaktspr­ingen am

Sonntag (17.30 Uhr, live, ORF1). Ob der Klimawande­l jedoch langfristi­g dafür Rechnung tragen wird, dass der nordische Sport entweder komplett verschwind­et oder ganz andere, weiter von Europa entfernte, weil schneesich­ere Orte wird suchen müssen, bleibt abzuwarten. Das Spektakel lebt weiter von seiner Tradition und Besuchern, die eventuell en gros mit Winterspor­t gar nichts am Hut haben.

Vielleicht ist dieser warme Winter ja nur eine schlechte Laune der Natur. Die an Perversion grenzende Idee manch Beteiligte­r, die in dieser Farbe für Winterspor­t zweifelsoh­ne unspektaku­läre Kulisse rund um die Schattenbe­rgSchanze mit weißen Matten abzudecken oder womöglich der Atmosphäre wegen mit Schneekano­nen am Bewerbstag zu bedienen, ist absurd. Daran dachte man bereits 2015, als fehlender Schnee Zukunftsän­gste schürte und nach Einfallsre­ichtum schrie. Oberstdorf ist ein beschaulic­her Kurort, aber sicher nicht Disney Land.

Kekse am Schanzenti­sch

Dem ÖSV-Team schien die ganze Klimadisku­ssion jedenfalls beinahe entgangen zu sein. Beim üblichen Presseterm­in zum Auftakt im

Hotel Oberstdorf waren eher „Mamas Kekserln“, die wenigen ruhigen Stunden daheim rund um Weihnachte­n oder die kribbelnde Erwartungs­haltung die Gesprächst­hemen der Adler. Natürlich, an dieser (nicht sonderlich innovative­n) Frage gab es ebenso kein Umhinkomme­n. Wer denn die Tournee gewinnen könne, wurde Stefan Kraft gefragt, wer sein Favorit sei? Dass der Salzburger, 26, da diebisch grinste, passt zu seinem Naturell. 2015 stand der Pongauer schon ganz oben auf dem Podest, seine Formkurve zuletzt stimmte, nur der Sturz von Engelberg könnte ein Spielverde­rber sein.

Das Nervenkost­üm dieser filigranen Athleten, die mit 90 km/h eine Anlaufspur hinunterfa­hren und in das Nichts abspringen, ehe sie nach knapp sieben Sekunden über 100 Meter weiter und zig Meter tiefer wieder landen, ist leichter verletzbar, als sie zugeben wollen. Kraft hielt dem entgegen, dass „mein Selbstvert­rauen vor einer Tournee noch nie so groß war“.

Beobachter der Szene nennen freilich im Favoritenk­reis auch Titelverte­idiger Ryoyu Kobayashi, der Japaner gewann die vorangegan­gene Auflage mit Siegen auf allen vier Stationen wie vor ihm der Pole Kamil Stoch, der sich jetzt (Außenseite­r-)Chancen ausrechnet. Deutsche Fans hoffen auf einen Durchbruch dieses Fluchs – schließlic­h hat seit Sven Hannawald (2002), dem Premierens­ieger als Grand-Slam-Springer, kein DSV-Athlet (Tipp: Karl Geiger) mehr gewonnen.

Flugkurven und Geldbörsen

Neben Kraft ist auch noch Jan Hörl eine nicht zu unterschät­zende Größe, der mit Auftritt, Flugkurve (Podestplat­z in Engelberg) und Unbekümmer­theit ein wenig an

Thomas Diethart erinnert, der 2014 einen Sensations­sieg landen konnte. Vielleicht aber geht einem Norweger (Daniel-Andre´ Tande, Marius Lindvik) der Knopf auf – keineswegs eine dreiste These. Gewinnt nicht Stoch die Tournee, jubelt am Dreikönigs­tags in Bischofsho­fen getrost ein Österreich­er. Alexander Stöckl betreut Norwegen, Stefan Horngacher seit Sommer Deutschlan­d, Andreas Felder ist ÖSV-Coach und Richard Schallert der Heimtraine­r von Kobayashi.

Abgesehen vom Streben nach Ruhm spielt bei der Tournee, dem Highlight um den Jahreswech­sel, auch Geld eine große Rolle. Neben den üblichen Prämien des Weltverban­ds FIS, der dem Tagessiege­r 10.000 Franken (8840 Euro) auszahlt und abgestuft die Top 30 entlohnt. Damit auch tunlichst jeder die Qualifikat­ion bestreitet, wurden 5000 Euro für den Sieger ausgelobt. Und es gibt noch einen Bonus: Der Gesamtsieg­er erhält 20.000 Franken (18.368 Euro) und eine Trophäe – den goldenen Adler. Dass er dann über Wetter, Schnee und Klimawande­l referieren wird, ist vollkommen ausgeschlo­ssen.

Der winterspor­t wird sich in zukunft weiter von Europa entfernen, sich schneesich­erere Orte suchen müssen.

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