Wahlen und Aufstände: Ausblick auf eine Welt im Fieber
Geopolitik. Das magische Datum ist der 3. November, wenn die USA ihren Präsidenten wählen: Bleibt der Unruhestifter Trump im Amt? Als ob die Welt keine anderen Probleme hätte − von Autokraten, sozialen Rebellionen bis zu einem drohenden Rüstungswettlauf.
Der Sozialismus wird im Jahr 2020 in den Vereinigten Staaten eine spektakuläre Auferstehung erleben. Nicht der Sozialismus an sich, sondern das Wort Sozialismus wird ständig in allen Fernsehnachrichten und allen Zeitungsberichten wiederholt werden. Donald Trump sei Dank. Denn der US-Präsident, der am 3. November wiedergewählt werden will, wird jeden (oder jede) demokratischen Herausforderer als Sozialisten anprangern, verspotten, diffamieren. Sozialismus oder auch die Sozialdemokratie haben in weiten Teilen der US-Gesellschaft immer noch einen ganz üblen Geruch, und Donald Trump wird das im Wahlkampf weidlich nutzen.
Auch die Prognose, dass der Wahlkampf 2020 der schmutzigste wird, den es in den USA je gegeben hat, ist nicht wirklich gewagt. Selbst wenn die Demokraten sich auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen, die bei der Wählerschaft nicht mit Angriffen auf Trump und seine Politik, sondern mit Sachthemen und gut durchdachten Vorschlägen für Reformen des Gesundheitsund Bildungswesens und eine Überwindung der inneramerikanischen Gräben punkten will – Donald Trump wird das tun, was bei seinen Anhängern bestens ankommt: beleidigen, anschwärzen, demütigen.
Trump wird sich natürlich auch bemühen, so viele seiner 2016 gegebenen Wahlversprechen so gut wie möglich einzuhalten. Der heftig kritisierte Bau beziehungsweise Ausbau einer Mauer zu Mexiko schreitet voran, wenn auch nicht Mexiko, sondern der US-Steuerzahler für die Kosten aufkommt. Das Nafta-Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada ist neu ausgehandelt worden. China hat er den Handelskrieg erklärt, und 2020 könnte es tatsächlich ein neues Handelsabkommen zwischen den beiden stärksten Wirtschaftsnationen der Welt geben. Aus internationalen Verträgen wie dem UNOKlimaschutzabkommen, dem Atomvertrag mit dem Iran oder dem INF-Atomabrüstungsvertrag mit Russland ist Trump ausgestiegen – sauberer und sicherer ist die Welt dadurch aber nicht geworden.
Trumps Flirt mit dem nordkoreanischen Diktator, Kim Jong-un, hat das Regime in Pjöngjang bisher keinen Millimeter von seinen Atom- und Raketenaufrüstungsplänen abgebracht. Trump wird weiter versuchen, einen seiner berüchtigten „Deals“mit Kim zu machen. Aus Afghanistan wird er die USTruppen zum größten Teil abziehen – Motto: „Hinter uns die Sintflut“. Die wird kommen – in Form einer neuerlichen Machtübernahme der Taliban und ihrer blutigen Abrechnung mit allen Widersachern.
Entschieden wird die amerikanische Präsidentenwahl aufgrund des sonderbaren USWahlsystems wieder in Florida, Ohio, Michigan, Wisconsin und Pennsylvania. Um diese Staaten wird der Kampf zwischen Republikanern und Demokraten am heftigsten toben. Sollte Trump am 3. November tatsächlich wiedergewählt werden, prophezeien USA-Kenner, dass er sich noch weniger als in der ersten Amtszeit an präsidiale Gepflogenheiten und Regeln halten wird. Der Elefant wird noch mehr im globalen Porzellanladen herumtrampeln.
China/USA: Das Ringen der beiden Giganten auf der globalen Bühne wird an Schärfe zunehmen.
Eine existierende und eine aufstrebende Supermacht – das kann nur Probleme geben, sagen die Experten und verweisen auf historische Beispiele. Tatsächlich spürt die ganze
Welt das zunehmend heftiger werdende Kräftemessen zwischen den USA und China. Ihr Handelsstreit hat bereits negative Auswirkungen auf die Weltkonjunktur. Ihre militärische Rivalität könnte eine neue Runde des globalen Wettrüstens einläuten. Ihr
Werben um Partner und Verbündete im globalen Rahmen wird Staaten dazu zwingen, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Die wichtigste Arena der Konfrontation ist dabei die Pazifikregion.
Pekings langfristiges Ziel ist es, die USA aus dem westpazifischen Raum hinauszudrängen. In einem ersten Schritt hat die KPFührung trotz der Proteste anderer Anrainerstaaten das Südchinesische Meere praktisch zum mare nostrum erklärt. Die USA wollen das nicht akzeptieren, schicken immer wieder Kriegsschiffe durch diese Gewässer. Sie ärgern die chinesische KP auch immer wieder mit harscher Kritik an der Repressionspolitik in Xinjiang und Tibet sowie am Druck, den Peking auf die Demokratiebewegung in Hongkong ausübt.
Am 11. Jänner finden Präsidentenwahlen in Taiwan statt. Alles deutet da
Der Präsidentschaftswahlkampf 2020 wird der schmutzigste der US-Geschichte werden. Dafür wird Donald Trump sorgen.
rauf hin, dass die in Peking verhasste Amtsinhaberin, Tsai Ing-wen, wiedergewählt werden wird. Die USA haben bereits angekündigt, dass sie Taiwan wieder verstärkt modernes Kriegsgerät liefern wollen – auch das kommt in der Volksrepublik China gar nicht gut an. Sie wird versuchen, Taiwan auf der Weltbühne noch mehr zu isolieren und der Inselrepublik auch die allerletzten diplomatischen Verbündeten abspenstig zu machen.
Was sogenannte weiche Macht (Soft Power) betrifft, also das Werben um die Herzen und Hirne der Menschen in aller Welt, ist die schwerfällige kommunistische Propaganda und Agitation Pekings der leichtfüßigen Hollywood-Werbetechnik Washingtons noch immer hoffnungslos unterlegen. Donald Trump tut freilich viel, um diesen Vorsprung der USA zu minimieren.
Die Autokraten in aller Welt haben aufgrund der Selbstausschaltung der USA weiterhin Oberwasser.
Die USA haben schon unter Präsident Barack Obama ihren Rückzug von diversen Konfliktschauplätzen angetreten. Präsident Trump hat das fortgesetzt – und er hat überdies kein Interesse, die Rolle als liberale Führungsmacht fortzusetzen. Clevere Autokraten wie Russlands Präsident Wladimir Putin haben den Rückzug der USA geschickt genutzt, um die eigene Position zu stärken. Im Nahen Osten, in Afrika und in Südamerika ist Russland wieder sehr präsent. Putin wird diese Präsenz 2020 ausbauen. Er wird auch alles unternehmen, um die seit Trumps Amtsantritt immer tiefer werdende transatlantische Kluft zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten weiter zu vertiefen und so die Nato zu schwächen.
Putins neuer Partner am Schwarzen Meer, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ wird seine eigenmächtigen Spielchen in Nordsyrien, in Libyen oder in zypriotischen Gewässern fortsetzen. Ob er deshalb aus der Nato fliegen wird, wie viele bereits fordern, ist ungewiss. Zu groß ist die Angst, dass Erdogan˘ dann sofort darangehen würde, Atomwaffen zu erwerben. Möglicherweise wäre die Türkei selbst imstande, solche zu entwickeln, vielleicht aber könnte sie auch Kernwaffen wie die S-400-Luftabwehrraketen einfach in Russland zu kaufen versuchen.
In Indien zeigt Regierungschef Narendra Modi Ansätze zum Autokraten, zumindest zum eisernen Hindu-Nationalisten. Seine Politik ist ausgesprochen islamfeindlich, was sich vor allem in Kaschmir gezeigt hat. Bei den eigenen 180 Millionen Muslimen im Land wie in der gesamten islamischen Welt macht sich Modi damit keine Freunde. Auch der Umgang mit Frauen in der indischen Gesellschaft wird im neuen Jahr wieder für weltweite Schlagzeilen sorgen.
Autokraten im arabischen Raum wie Saudiarabiens Mohammed bin Salman, Ägyptens Abdel Fattah al-Sisi oder der syrische Diktator Bashar al-Assad sorgen mit brutaler Unterdrückungspolitik dafür, dass ihre Machtposition nicht durch Aufstände herausgefordert wird und sie ihre korrupten Geschäfte weiterführen können. Andere Autokraten wie Brasiliens Jair Bolsonaro oder Rodrigo Duterte auf den Philippinen haben es bis jetzt verstanden, mit einer Mischung aus Populismus und Kampagnen große Teile der Wählerschaft auf ihrer Seite zu halten.
Unter der Oberfläche vieler Gesellschaften brodelt es weiter. Auch 2020 kann es zu Volksaufständen kommen.
Nach neun Jahren dürfte es Bashar al-Assad gelingen, Syrien weitgehend wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Aber wenn die Waffen wieder schweigen sollten, wird das eine Friedhofsruhe sein. 2011 brachte ein Aufstand der Sunniten das Assad-Regime ins Wanken, nichts hat sich in den vergangenen Jahren für sie gebessert, im Gegenteil.
Heuer zogen sich Rebellionen der Unzufriedenen und Geknechteten von Hongkong über Teheran, Bagdad, Beirut, Khartum, Algier über Quito bis nach Santiago de Chile.
Nur in Chile und Khartum scheinen Aufständische und Machthaber Kompromisse gefunden zu haben. Überall anders sind die Aufstände erlahmt – aber die Probleme, die sie ausgelöst haben, existieren weiter. Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Korruption, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit sind in vielen Ländern die Antriebsfedern der Volkswut. Aber in den meisten Fällen reicht sie nicht aus, um den Regierungskurs zu ändern, also wird es zu neuen Aufständen kommen. In Venezuela hält der Widerstand gegen Maduro schon seit längerer Zeit an. Solange sein Regime aber von kubanischen und russischen „Sicherheitsspezialisten“und der eigenen Armee gestützt wird, scheint weitere Rebellion aussichtslos.
Schwerter werden nicht zu Pflugscharen: Die Welt schlittert in einen neuen Rüstungswettlauf hinein.
Der Vertrag über die Vernichtung aller atomaren Mittelstreckenraketen (INF-Abkommen) gilt nicht mehr, die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa gilt als überholt, gezielte Verhandlungen über die Verlängerung des Neuen Start-Abkommens über die Reduzierung strategischer Atomwaffen (er läuft Anfang 2021 aus) werden zwischen den USA und Russland bisher keine geführt. Dafür entwickeln und testen beide Länder ständig neue Raketen – noch schneller, noch schwerer abzufangen, noch zielgenauer. Auch China macht bei diesem Wettkampf um Zerstörungswaffen mit.
Vieles deutet darauf hin, dass es 2020 eine neue Runde eines globalen Wettrüstens geben wird. Der Iran wird die Entwicklung eigener Atomwaffen nach dem Ausstieg Trumps aus dem Atomabkommen und dem „maximalen Druck“der USA wieder voll aufnehmen. Die Türkei und Saudiarabien schielen ebenfalls nach Kernwaffen. Schlechte Aussichten also für den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPT), der am 5. März 2020 fünfzig Jahre alt wird. Es wird wohl schon bald nicht weniger, sondern mehr Atommächte geben.