2020 wird ein Schicksalsjahr für die Sozialdemokratie
Schicksalswahl. Die SPÖ ist 2019 in eine Krise geraten. Die könnte sich im nächsten Jahr fortsetzen und noch verschärfen.
Im Augenblick sind alle Scheinwerfer auf die Regierungsverhandlungen gerichtet. Schaffen Türkis und Grün eine Koalition, kommen die Grünen erstmals in eine Regierung? Das Ergebnis wird zweifellos Österreich im kommenden Jahr prägen. Aber abseits dieses Themas spielt sich eine nicht minder weitreichende Entwicklung ab: Wie geht es mit der SPÖ weiter? Die Sozialdemokraten sind einer der Wahlverlierer bei der Nationalratswahl, sie sind weit von jeder Regierungsbeteiligung entfernt und liegen in
Umfragen nur noch bei
18 Prozent. Geht der
Trend so weiter, könnten sie sogar auf Platz vier hinter den Grünen und der FPÖ abrutschen.
Entscheidend wird aber die Wien-Wahl im kommenden Jahr. Lang schien es undenkbar, aber: Es ist nicht in
Stein gemeißelt, dass die SPÖ immer den
Wiener Bürgermeister stellen muss. Die FPÖ stellt schon länger (bislang allerdings erfolglos) den Führungsanspruch in der Bundeshauptstadt, die ÖVP wird diesmal selbiges tun. Und die Neos wären durchaus bereit, einen nicht sozialdemokratischen Bürgermeister zu unterstützen. Auch bei den Grünen ist das nicht ausgeschlossen, so sie nicht eine Koalition mit der FPÖ eingehen müssten. Wien kann für die Sozialdemokraten durchaus verloren gehen. Und wenn Wien verloren geht: Was bleibt dann noch übrig von der SPÖ?
Inhaltliche und personelle Probleme
Die Rahmenbedingungen sind jedenfalls nicht gut, die SPÖ ist sowohl inhaltlich als auch personell schlecht aufgestellt. Inhaltlich ist die Partei in Richtungskämpfe der unterschiedlichen Lager verstrickt: Wie soll man mit dem Siegeszug der türkisen Konkurrenz, die mit einem rechtspopulistischen
Kurz Erfolg hat, umgehen? Ebenfalls auf einen strikten rechten Kurs in Migrationsfragen setzen, wie das beispielsweise der burgenländische Landeshauptmann, Hans Peter Doskozil, will? Das löst einen Konflikt mit dem linken Parteiflügel aus. Und: Die SPÖ hat genau dieses Konzept seit Beginn der 1990er-Jahre schon mehrmals erfolglos versucht. Oder nach dem Vorbild der deutschen Sozialdemokratie eine Rückkehr zu linken Kernthemen versuchen und soziale Themen und Reichensteuern in den Mittelpunkt stellen? Auch das ist in der Partei nicht mehrheitsfähig. Geklärt werden sollen diese Fragen im Zuge der Neuaufstellung der Partei, die von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner eingeleitet wurde. Bis zum 1. Mai soll dieser Prozess abgeschlossen sein.
Allerdings ist die Parteichefin selbst stark unter Druck. Als sie vor etwas mehr als einem Jahr nach dem überraschenden Rücktritt von Christian Kern die Führung der SPÖ übernahm, war sie von Anfang an umstritten. Die Steirer traten offen gegen die neue Chefin auf, weil sie es gewagt hatte, den Posten des Bundesgeschäftsführers mit einer Vertrauensperson zu besetzen und den Steirer Max Lercher abzulösen. Andere, wie die Wiener oder Burgenländer, sagten ihr auf geradezu aufreizend herablassende Art gönnerhafte Unterstützung zu – was eigentlich viel schlimmer ist als offener Widerstand. Mit der verlorenen Wahl und den darauffolgenden Turbulenzen rund um die Kündigungen in der SPÖ-Zentrale ist die SPÖ-Chefin zunehmend in Bedrängnis geraten. Es wäre überraschend, wenn sie in einem Jahr immer noch in dieser Position verbliebe.
Was heißt das nun für die entscheidende Schlacht der SPÖ um Wien? Da sind die Probleme der Bundespartei zweifellos eine Belastung, und der Wiener Bürgermeister und
Landesparteichef, Michael Ludwig, wird alles daransetzen, dass die parteiinternen Konflikte nicht vor der Wahl voll ausbrechen. Aber die Ausgangslage ist für die Wiener SPÖ doch um einiges besser als für die Bundespartei. Alle Landtagswahlen in den vergangenen Jahren haben gezeigt: Der Amtsinhaber hat einen Bonus, der bei der Wahl viel bringt. Und Michael Häupl hat seinen Posten früh genug geräumt, sodass Nachfolger Michael Ludwig in diese Rolle hineinwachsen konnte. Zu sicher sollte man sich da aber auch nicht sein: Man denke nur an Franz Voves, Waltraud Klasnic, Gabi Burgstaller, Franz Schausberger, Christoph Zernatto oder Peter Ambrozy – lauter Landeshauptleute, die ihren Bonus nicht nutzen konnten.
Viel wird jetzt von Taktik geprägt sein, vor allem die Frage, ob die Wahl wirklich erst im Herbst oder schon im Frühjahr stattfindet. Für eine rasche Neuwahl spricht der derzeitige Zustand der FPÖ, die bei vergangenen Wahlen der SPÖ schon recht nahe gekommen ist. Nach den internen Turbulenzen und der Abspaltung der Strache-Vertrauten sind die Freiheitlichen auf einem Tiefststand angelangt. Das könnte sich bis zum Herbst aber schon wieder ändern.
Fraglich ist aber, wie sich die neue Regierung auswirkt. Kommt es tatsächlich zu Türkis-Grün, könnte das für diese beiden Parteien einen Hype in den Anfangsmonaten auslösen – der wiederum bis zum Herbst wieder verflogen sein kann. Bei den letzten Wahlen hat Michael Häupl den Wahlkampf auf ein angebliches Duell mit der FPÖ zugespitzt und war damit erfolgreich. Diesmal wird die SPÖ davor warnen, dass ein nicht sozialdemokratischer Bürgermeister droht – und diesmal stimmt das sogar.
2020 wird zum Schicksalsjahr für die Sozialdemokratie.