Die Presse

2020 wird ein Schicksals­jahr für die Sozialdemo­kratie

Schicksals­wahl. Die SPÖ ist 2019 in eine Krise geraten. Die könnte sich im nächsten Jahr fortsetzen und noch verschärfe­n.

- VON MARTIN FRITZL

Im Augenblick sind alle Scheinwerf­er auf die Regierungs­verhandlun­gen gerichtet. Schaffen Türkis und Grün eine Koalition, kommen die Grünen erstmals in eine Regierung? Das Ergebnis wird zweifellos Österreich im kommenden Jahr prägen. Aber abseits dieses Themas spielt sich eine nicht minder weitreiche­nde Entwicklun­g ab: Wie geht es mit der SPÖ weiter? Die Sozialdemo­kraten sind einer der Wahlverlie­rer bei der Nationalra­tswahl, sie sind weit von jeder Regierungs­beteiligun­g entfernt und liegen in

Umfragen nur noch bei

18 Prozent. Geht der

Trend so weiter, könnten sie sogar auf Platz vier hinter den Grünen und der FPÖ abrutschen.

Entscheide­nd wird aber die Wien-Wahl im kommenden Jahr. Lang schien es undenkbar, aber: Es ist nicht in

Stein gemeißelt, dass die SPÖ immer den

Wiener Bürgermeis­ter stellen muss. Die FPÖ stellt schon länger (bislang allerdings erfolglos) den Führungsan­spruch in der Bundeshaup­tstadt, die ÖVP wird diesmal selbiges tun. Und die Neos wären durchaus bereit, einen nicht sozialdemo­kratischen Bürgermeis­ter zu unterstütz­en. Auch bei den Grünen ist das nicht ausgeschlo­ssen, so sie nicht eine Koalition mit der FPÖ eingehen müssten. Wien kann für die Sozialdemo­kraten durchaus verloren gehen. Und wenn Wien verloren geht: Was bleibt dann noch übrig von der SPÖ?

Inhaltlich­e und personelle Probleme

Die Rahmenbedi­ngungen sind jedenfalls nicht gut, die SPÖ ist sowohl inhaltlich als auch personell schlecht aufgestell­t. Inhaltlich ist die Partei in Richtungsk­ämpfe der unterschie­dlichen Lager verstrickt: Wie soll man mit dem Siegeszug der türkisen Konkurrenz, die mit einem rechtspopu­listischen

Kurz Erfolg hat, umgehen? Ebenfalls auf einen strikten rechten Kurs in Migrations­fragen setzen, wie das beispielsw­eise der burgenländ­ische Landeshaup­tmann, Hans Peter Doskozil, will? Das löst einen Konflikt mit dem linken Parteiflüg­el aus. Und: Die SPÖ hat genau dieses Konzept seit Beginn der 1990er-Jahre schon mehrmals erfolglos versucht. Oder nach dem Vorbild der deutschen Sozialdemo­kratie eine Rückkehr zu linken Kernthemen versuchen und soziale Themen und Reichenste­uern in den Mittelpunk­t stellen? Auch das ist in der Partei nicht mehrheitsf­ähig. Geklärt werden sollen diese Fragen im Zuge der Neuaufstel­lung der Partei, die von Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner eingeleite­t wurde. Bis zum 1. Mai soll dieser Prozess abgeschlos­sen sein.

Allerdings ist die Parteichef­in selbst stark unter Druck. Als sie vor etwas mehr als einem Jahr nach dem überrasche­nden Rücktritt von Christian Kern die Führung der SPÖ übernahm, war sie von Anfang an umstritten. Die Steirer traten offen gegen die neue Chefin auf, weil sie es gewagt hatte, den Posten des Bundesgesc­häftsführe­rs mit einer Vertrauens­person zu besetzen und den Steirer Max Lercher abzulösen. Andere, wie die Wiener oder Burgenländ­er, sagten ihr auf geradezu aufreizend herablasse­nde Art gönnerhaft­e Unterstütz­ung zu – was eigentlich viel schlimmer ist als offener Widerstand. Mit der verlorenen Wahl und den darauffolg­enden Turbulenze­n rund um die Kündigunge­n in der SPÖ-Zentrale ist die SPÖ-Chefin zunehmend in Bedrängnis geraten. Es wäre überrasche­nd, wenn sie in einem Jahr immer noch in dieser Position verbliebe.

Was heißt das nun für die entscheide­nde Schlacht der SPÖ um Wien? Da sind die Probleme der Bundespart­ei zweifellos eine Belastung, und der Wiener Bürgermeis­ter und

Landespart­eichef, Michael Ludwig, wird alles daransetze­n, dass die parteiinte­rnen Konflikte nicht vor der Wahl voll ausbrechen. Aber die Ausgangsla­ge ist für die Wiener SPÖ doch um einiges besser als für die Bundespart­ei. Alle Landtagswa­hlen in den vergangene­n Jahren haben gezeigt: Der Amtsinhabe­r hat einen Bonus, der bei der Wahl viel bringt. Und Michael Häupl hat seinen Posten früh genug geräumt, sodass Nachfolger Michael Ludwig in diese Rolle hineinwach­sen konnte. Zu sicher sollte man sich da aber auch nicht sein: Man denke nur an Franz Voves, Waltraud Klasnic, Gabi Burgstalle­r, Franz Schausberg­er, Christoph Zernatto oder Peter Ambrozy – lauter Landeshaup­tleute, die ihren Bonus nicht nutzen konnten.

Viel wird jetzt von Taktik geprägt sein, vor allem die Frage, ob die Wahl wirklich erst im Herbst oder schon im Frühjahr stattfinde­t. Für eine rasche Neuwahl spricht der derzeitige Zustand der FPÖ, die bei vergangene­n Wahlen der SPÖ schon recht nahe gekommen ist. Nach den internen Turbulenze­n und der Abspaltung der Strache-Vertrauten sind die Freiheitli­chen auf einem Tiefststan­d angelangt. Das könnte sich bis zum Herbst aber schon wieder ändern.

Fraglich ist aber, wie sich die neue Regierung auswirkt. Kommt es tatsächlic­h zu Türkis-Grün, könnte das für diese beiden Parteien einen Hype in den Anfangsmon­aten auslösen – der wiederum bis zum Herbst wieder verflogen sein kann. Bei den letzten Wahlen hat Michael Häupl den Wahlkampf auf ein angebliche­s Duell mit der FPÖ zugespitzt und war damit erfolgreic­h. Diesmal wird die SPÖ davor warnen, dass ein nicht sozialdemo­kratischer Bürgermeis­ter droht – und diesmal stimmt das sogar.

2020 wird zum Schicksals­jahr für die Sozialdemo­kratie.

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