Der tückische Rückflug ins Glück
Vierschanzentournee. Am Neujahrstag muss Stefan Kraft durchstarten, damit sein Traum vom Gesamtsieg nicht platzt. Die Szene erwartet allerdings die nächste Flugshow von Ryoy¯u¯ Kobayashi.
Eine „SauLandung“später war Stefan Kraft tatsächlich klüger. Der Salzburger hatte mit einem „Kacherl“seinen Podestplatz im Auftaktspringen der 68. Vierschanzentournee verspielt. Die Haltungsnoten bescherten ihm 13,9 Punkte Rückstand auf den allen davongeflogenen Japaner Ryo¯yu¯ Kobayashi, der sich somit anschickt, beim Neujahrsspringen am Mittwoch in Garmisch-Partenkirchen (14 Uhr, live ORF1) den sechsten Sieg in Folge zu schaffen und der Titelverteidigung entgegenzufliegen.
Die Weiten hätten an sich gepasst, nur der fehlende Telemark warf Kraft zurück. Das sind knapp sieben Meter, die der Pongauer, 26, nun aufholen muss. Die ersten Verfolger des Japaners sind der Deutsche Karl Geiger (+ 9,2 Punkte) sowie der Pole Dawid Kubacki (10,4). Nur deutsche SchanzenFans glauben noch an eine Sensation, im Auslauf wird der Asiate – hinter vorgehaltener Hand – als unschlagbar eingestuft.
Das Unterfangen, seinen zweiten Tourneesieg nach 2015 zu bewerkstelligen, wird für Stefan Kraft somit durchaus knifflig. Denn jetzt wartet die Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen, und mit ihr, so sehr er auch seine neu entdeckte Liebe zu ihr auszudrücken versuchte, kam er zuletzt nicht wirklich zurecht. Zweimal scheiterte er auf diesem Bakken kläglich, im Vorjahr war sogar nach dem verpassten Finaleinzug auch der Tournee-Zug für ihn abgefahren. Der Blick zurück mag quälend sein, auch haben sich alle Vorzeichen nach dem Engelberg-Sturz gewandelt, doch seine Form ist wieder bestechend – nur, negative Erlebnisse am Neujahrstag vergessen, das gelingt selbst mit Kater nicht jedem.
Kraft, er ist der einzige ÖSVAdler, der weiterhin ernsthaft davon sprechen darf, um den Tourneesieg mitzuspringen, wirft gern mit kindlich-plakativen Ausdrücken wie „Attacke“oder „Raketen zünden“um sich. Das mag seinem Naturell geschuldet sein, auf der Schanze jedoch kennt der Salzburger kein anderes Credo: Angriff, maximales Risiko – nur so ist dem beim Absprung derart überlegen auftretenden Japaner auch beizukommen.
Dass Kobayashi allerdings im Vergleich zu allen anderen prompt an Höhe und Fahrt gewinnt, irritiert. Seine stilistisch einwandfreie Skiführung − es gibt in der Luftphase überhaupt keine Turbulenz oder „Wackler“− ist das zweite Instrument, das er in seiner Vorreiterrolle nutzt. Kein anderer versteht es, Knie und Hüfte beim Absprung derart zu strecken und im Zusammenspiel mit Wind in Weiten umzumünzen. In einem Moment, der keinerlei Verspätung duldet, ist Kobayashi immer pünktlich: beim Absprung.
Es ist höchste Präzisionsarbeit, binnen einer Sekunde, gelenkt auf Skiern, die mit knapp 90 km/h eine schmale Eis- bzw. Keramikspur hinunterfahren, immer den gleichen Punkt stets mit der nötigen Kraft optimal zu treffen. Dazu kommen (mentale) Spielereien und Tricks mit Anzügen, Stabbindungen oder Schuhen. Der 23-Jährige hat allen anderen etwas voraus – doch es fehlt nicht viel.
Kraft scheut den Vergleich mit Kobayashi freilich nicht. An seinem Selbstvertrauen kann es also nicht liegen. Es liegt am letzten Quäntchen Glück, und der sauberen Landung. Besinnt er sich und behält die Nerven, ist der Rückstand durchaus noch aufzuholen. Nur, in Garmisch muss er jetzt ohne Wenn und Aber liefern. Zugleich müsste Kobayashi nun auch Schwächen zeigen, was eigentlich nicht zu erwarten ist. Das ist die Kehrseite jedes Oberstdorf-Besuches: Man kann die Tournee im Allgäu nie gewinnen, aber bereits nach zwei Sprüngen verlieren.
Der schweigsame Japaner, der laut Heimtrainer Richard Schallert „sehr wohl gutes Englisch“sprechen könnte, wenn er denn wollte, wird sich die Blöße eines flatternden Nervenkostüms kaum geben. Warum auch: Er ist Titelverteidiger, gewann 16 Springen und landete 25 Mal auf dem Podest. „Eigentlich macht er nichts Besonderes“, sagt ÖSV-Cheftrainer Andreas Felder, „er macht nur das richtig, was er richtig machen muss“. Dazu erspart er sich all die PR-Arbeit, Interviews gibt es keine. Also muss er den Begriff einer „Sau-Landung“erst gar nicht bemühen. Sie ist dem Schweiger, der auf der Schanze das Sagen hat, ohnehin fremd.