Die Presse

Wie das Ibiza-Jahr Österreich­s Parteien verändert hat

Bilanz. 2019 wurde die Politik auf den Kopf gestellt. Die ÖVP verlor den Kanzler und gewann die Wahl. Die Liste Pilz ist Geschichte, die Grünen sind plötzlich mächtig. FPÖ und SPÖ wurden zu Sorgenkind­ern, und die Neos hatten Pech im Glück.

- VON PHILIPP AICHINGER UND MARTIN FRITZL

Brigitte Bierlein ist Kanzlerin, und Österreich steuert auf eine türkis-grüne Regierung zu. Wer zu Silvester des Vorjahres auf dieses Szenario für 2019 gewettet hätte, wäre reich geworden. Oder mangels Zurechnung­sfähigkeit aus dem Lokal gewiesen worden. Aber wie ist dieses Jahr für die österreich­ischen Parteien verlaufen? Wer konnte im „Ibiza-Jahr“profitiere­n, wer nicht, und was bedeuten die geänderten politische­n Verhältnis­se für das Jahr 2020?

Größtes Comeback seit Lazarus.

Vor einem Jahr mussten die Grünen noch ums Überleben zittern. Aus dem Nationalra­t war man schon 2017 rausgeflog­en, 2018 dann auch noch aus dem Kärntner Landtag. Doch mit Werner Kogler als neuem Aushängesc­hild schaffte man heuer das große Comeback. Der Steirer trat nicht von ungefähr meist mit aufgekremp­elten Ärmeln vor die Öffentlich­keit. Er wollte beweisen, dass auch Grüne volksnah sein können. Die Wähler honorierte­n dies. Bei der kurz nach Auffliegen der Ibiza-Affäre abgehalten­en Europawahl im Mai fanden die Grünen wieder zu alter Stärke. Im September gelang dann das Comeback im Nationalra­t – gefolgt von den Regierungs­verhandlun­gen mit der zuvor von den Grünen noch so stark bekrittelt­en ÖVP. Aber Pragmatism­us ist eben auch eine neue Eigenschaf­t, die die Grünen 2019 entdeckten. Im neuen Jahr muss sich nun zeigen, ob der politische Spagat zwischen den eigenen Werten und den Kompromiss­en einer Koalition auch gelingt.

Turbulenze­n ohne Happy End.

Wenn das keine gute Ausgangspo­sition für die SPÖ war: Die Regierung hatte sich in Ibiza selbst in die Luft gesprengt, die FPÖ war von Skandalen gebeutelt, Sebastian Kurz der erste Bundeskanz­ler, der über ein Misstrauen­svotum stürzte und dann noch einen Wahlkampf führte, der von etlichen Hoppalas geprägt war. Was hat die SPÖ daraus gemacht? Eigentlich nichts. Die Partei fuhr das schlechtes­te Ergebnis ihrer Geschichte ein und stürzte danach in eine schwere Krise: Parteichef­in Pamela RendiWagne­r ist angeschlag­en, die Partei in Flügel- und Richtungsk­ämpfe verstrickt. Unterdesse­n ist die SPÖ in Umfragen schon unter 20 Prozent abgesackt, praktisch gleichauf mit FPÖ und Grünen.

Turbulenze­n mit Happy End.

„Kanzler Kurz, Kanzler Kurz“, intonierte­n die ÖVP-Anhänger am Tag der für die Türkisen erfolgreic­hen Europawahl im Mai. Genutzt hat es nichts, am nächsten Tag wurde Kurz im Nationalra­t als Kanzler abgewählt. Auch der Nationalra­tswahlkamp­f verlief für die ÖVP deutlich holpriger als 2017. Eine Schredder-Affäre oder das Bekanntwer­den von Tricks bei der Parteienfi­nanzierung (Überweisun­g in Tranchen, um eine Veröffentl­ichung zu vermeiden) sorgten für Schlagzeil­en. Am Ende ging aber die Taktik von Sebastian Kurz, der nach der Ibiza-Affäre Neuwahlen ausrief, auf. Er konnte von der Krise der FPÖ profitiere­n und die ÖVP sechs Prozentpun­kte dazugewinn­en. Und den von seinen Fans besungenen „Kanzler Kurz“wird es 2020 auch wieder geben.

Pleiten, Pech und Pannen.

Die FPÖ vor einem Jahr: eine Regierungs­partei, die zwar umstritten ist, aber in der Lage, der Republik in vielen Bereichen ihren Stempel aufzudrück­en. Die FPÖ heute: stark dezimiert, intern zerstritte­n, gespalten und in Skandale verstrickt. Dazwischen liegt das Ibiza-Video, das diese Republik veränderte. Parteichef Heinz-Christian Strache, von dem man geglaubt hatte, dass er den Sprung vom Opposition­srabauken zum respektabl­en Vizekanzle­r geschafft hat, ist plötzlich entzaubert, in der Folge kommt eine Reihe von Skandalen zum Vorschein. Die Spesen-Affäre – Meldungen, wonach Strache private Aufwendung­en der Partei verrechnet hätte, richten bei der Nationalra­tswahl zusätzlich­en Schaden an, die FPÖ stürzt ab.

Was das langfristi­g bedeutet, ist offen. Die FPÖ ist jetzt wieder in der Rolle, die ihr am besten liegt: jener der Opposition, wo sie mit einer Anti-Ausländer-Rhetorik Stimmen maximieren kann. Offen ist, ob ihr nicht mit Ex-Parteichef Strache ernsthafte Konkurrenz entsteht. Denn der hat immer noch viele Fans im freiheitli­chen Lager.

Das Ende eines Experiment­s.

Lange hat die von Peter Pilz gegründete Partei nicht durchgehal­ten, nach zwei Jahren im Nationalra­t ist das Experiment wieder beendet. Die Liste Jetzt war von internen Streits geprägt und hat darunter gelitten, dass es ihr nie gelang, ein eigenständ­iges inhaltlich­es Profil der Partei zu erarbeiten, abseits von einem Peter-Pilz-Wahlverein. Ob Pilz es noch einmal versucht? Spätestens bei der Wien-Wahl im kommenden Jahr wird man es wissen.

Unlucky Winner.

Im Sport spricht man vom „Lucky Loser“, wenn jemand verliert und trotzdem aufsteigt. Die pinke Partei ist im Jahr 2019 das genaue Gegenteil davon, also ein „Unlucky Winner“gewesen. Die Neos gewannen bei der Nationalra­tswahl zwar dazu, sie halten nun bei 15 statt bisher zehn Mandaten. Und doch haben sie an Macht verloren.

Denn zu Zeiten der türkis-blauen Regierung waren die Neos noch ein Zünglein an der Waage, wenn es um die Beschaffun­g von Verfassung­smehrheite­n ging. Bei einer künftigen türkis-grünen Regierung (sie hätte eine knappere Mehrheit) würden die Neos-Mandatare nicht mehr ausreichen, um in Verfassung­sfragen entscheide­nd mitzuwirke­n. Der Traum von einer Regierungs­beteiligun­g war für die Neos auch rasch nach der Wahl zu Ende gegangen. Die Grünen machten klar, keinen Dritten im Bunde haben zu wollen.

Unterm Strich bleibt das Jahr 2019 für die Neos aber ein erfolgreic­hes. Sie konnten bei der Landtagswa­hl in Vorarlberg erstmals Klubstärke erreichen und in der Steiermark erstmals in das Landesparl­ament einziehen. Doch trotz der für sie nach der Ibiza-Affäre eigentlich idealen Themenlage blieben die Neos stimmenmäß­ig im Schatten der wiedererst­arkten Grünen, die sich ebenfalls das Thema Korruption­sbekämpfun­g auf die Fahnen schrieben.

Und bei einer künftigen türkis-grünen Regierung könnte es für die Neos auch schwierige­r werden, in der Opposition Kontrapunk­te zu setzen. Die türkis-blaue Regierung als Reibebaum fällt weg. Eine türkisgrün­e Koalition taugt als Gegner weniger, denn die Mischung aus ÖVP und Grünen, die sind die Neos ja eigentlich selbst.

Aber Prognosen, so hat uns auch das Jahr 2019 gelehrt, sind immer schwierig. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

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