Wie das Ibiza-Jahr Österreichs Parteien verändert hat
Bilanz. 2019 wurde die Politik auf den Kopf gestellt. Die ÖVP verlor den Kanzler und gewann die Wahl. Die Liste Pilz ist Geschichte, die Grünen sind plötzlich mächtig. FPÖ und SPÖ wurden zu Sorgenkindern, und die Neos hatten Pech im Glück.
Brigitte Bierlein ist Kanzlerin, und Österreich steuert auf eine türkis-grüne Regierung zu. Wer zu Silvester des Vorjahres auf dieses Szenario für 2019 gewettet hätte, wäre reich geworden. Oder mangels Zurechnungsfähigkeit aus dem Lokal gewiesen worden. Aber wie ist dieses Jahr für die österreichischen Parteien verlaufen? Wer konnte im „Ibiza-Jahr“profitieren, wer nicht, und was bedeuten die geänderten politischen Verhältnisse für das Jahr 2020?
Größtes Comeback seit Lazarus.
Vor einem Jahr mussten die Grünen noch ums Überleben zittern. Aus dem Nationalrat war man schon 2017 rausgeflogen, 2018 dann auch noch aus dem Kärntner Landtag. Doch mit Werner Kogler als neuem Aushängeschild schaffte man heuer das große Comeback. Der Steirer trat nicht von ungefähr meist mit aufgekrempelten Ärmeln vor die Öffentlichkeit. Er wollte beweisen, dass auch Grüne volksnah sein können. Die Wähler honorierten dies. Bei der kurz nach Auffliegen der Ibiza-Affäre abgehaltenen Europawahl im Mai fanden die Grünen wieder zu alter Stärke. Im September gelang dann das Comeback im Nationalrat – gefolgt von den Regierungsverhandlungen mit der zuvor von den Grünen noch so stark bekrittelten ÖVP. Aber Pragmatismus ist eben auch eine neue Eigenschaft, die die Grünen 2019 entdeckten. Im neuen Jahr muss sich nun zeigen, ob der politische Spagat zwischen den eigenen Werten und den Kompromissen einer Koalition auch gelingt.
Turbulenzen ohne Happy End.
Wenn das keine gute Ausgangsposition für die SPÖ war: Die Regierung hatte sich in Ibiza selbst in die Luft gesprengt, die FPÖ war von Skandalen gebeutelt, Sebastian Kurz der erste Bundeskanzler, der über ein Misstrauensvotum stürzte und dann noch einen Wahlkampf führte, der von etlichen Hoppalas geprägt war. Was hat die SPÖ daraus gemacht? Eigentlich nichts. Die Partei fuhr das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und stürzte danach in eine schwere Krise: Parteichefin Pamela RendiWagner ist angeschlagen, die Partei in Flügel- und Richtungskämpfe verstrickt. Unterdessen ist die SPÖ in Umfragen schon unter 20 Prozent abgesackt, praktisch gleichauf mit FPÖ und Grünen.
Turbulenzen mit Happy End.
„Kanzler Kurz, Kanzler Kurz“, intonierten die ÖVP-Anhänger am Tag der für die Türkisen erfolgreichen Europawahl im Mai. Genutzt hat es nichts, am nächsten Tag wurde Kurz im Nationalrat als Kanzler abgewählt. Auch der Nationalratswahlkampf verlief für die ÖVP deutlich holpriger als 2017. Eine Schredder-Affäre oder das Bekanntwerden von Tricks bei der Parteienfinanzierung (Überweisung in Tranchen, um eine Veröffentlichung zu vermeiden) sorgten für Schlagzeilen. Am Ende ging aber die Taktik von Sebastian Kurz, der nach der Ibiza-Affäre Neuwahlen ausrief, auf. Er konnte von der Krise der FPÖ profitieren und die ÖVP sechs Prozentpunkte dazugewinnen. Und den von seinen Fans besungenen „Kanzler Kurz“wird es 2020 auch wieder geben.
Pleiten, Pech und Pannen.
Die FPÖ vor einem Jahr: eine Regierungspartei, die zwar umstritten ist, aber in der Lage, der Republik in vielen Bereichen ihren Stempel aufzudrücken. Die FPÖ heute: stark dezimiert, intern zerstritten, gespalten und in Skandale verstrickt. Dazwischen liegt das Ibiza-Video, das diese Republik veränderte. Parteichef Heinz-Christian Strache, von dem man geglaubt hatte, dass er den Sprung vom Oppositionsrabauken zum respektablen Vizekanzler geschafft hat, ist plötzlich entzaubert, in der Folge kommt eine Reihe von Skandalen zum Vorschein. Die Spesen-Affäre – Meldungen, wonach Strache private Aufwendungen der Partei verrechnet hätte, richten bei der Nationalratswahl zusätzlichen Schaden an, die FPÖ stürzt ab.
Was das langfristig bedeutet, ist offen. Die FPÖ ist jetzt wieder in der Rolle, die ihr am besten liegt: jener der Opposition, wo sie mit einer Anti-Ausländer-Rhetorik Stimmen maximieren kann. Offen ist, ob ihr nicht mit Ex-Parteichef Strache ernsthafte Konkurrenz entsteht. Denn der hat immer noch viele Fans im freiheitlichen Lager.
Das Ende eines Experiments.
Lange hat die von Peter Pilz gegründete Partei nicht durchgehalten, nach zwei Jahren im Nationalrat ist das Experiment wieder beendet. Die Liste Jetzt war von internen Streits geprägt und hat darunter gelitten, dass es ihr nie gelang, ein eigenständiges inhaltliches Profil der Partei zu erarbeiten, abseits von einem Peter-Pilz-Wahlverein. Ob Pilz es noch einmal versucht? Spätestens bei der Wien-Wahl im kommenden Jahr wird man es wissen.
Unlucky Winner.
Im Sport spricht man vom „Lucky Loser“, wenn jemand verliert und trotzdem aufsteigt. Die pinke Partei ist im Jahr 2019 das genaue Gegenteil davon, also ein „Unlucky Winner“gewesen. Die Neos gewannen bei der Nationalratswahl zwar dazu, sie halten nun bei 15 statt bisher zehn Mandaten. Und doch haben sie an Macht verloren.
Denn zu Zeiten der türkis-blauen Regierung waren die Neos noch ein Zünglein an der Waage, wenn es um die Beschaffung von Verfassungsmehrheiten ging. Bei einer künftigen türkis-grünen Regierung (sie hätte eine knappere Mehrheit) würden die Neos-Mandatare nicht mehr ausreichen, um in Verfassungsfragen entscheidend mitzuwirken. Der Traum von einer Regierungsbeteiligung war für die Neos auch rasch nach der Wahl zu Ende gegangen. Die Grünen machten klar, keinen Dritten im Bunde haben zu wollen.
Unterm Strich bleibt das Jahr 2019 für die Neos aber ein erfolgreiches. Sie konnten bei der Landtagswahl in Vorarlberg erstmals Klubstärke erreichen und in der Steiermark erstmals in das Landesparlament einziehen. Doch trotz der für sie nach der Ibiza-Affäre eigentlich idealen Themenlage blieben die Neos stimmenmäßig im Schatten der wiedererstarkten Grünen, die sich ebenfalls das Thema Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen schrieben.
Und bei einer künftigen türkis-grünen Regierung könnte es für die Neos auch schwieriger werden, in der Opposition Kontrapunkte zu setzen. Die türkis-blaue Regierung als Reibebaum fällt weg. Eine türkisgrüne Koalition taugt als Gegner weniger, denn die Mischung aus ÖVP und Grünen, die sind die Neos ja eigentlich selbst.
Aber Prognosen, so hat uns auch das Jahr 2019 gelehrt, sind immer schwierig. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.