Die Presse

Leitartike­l von Jakob Zirm

Das plötzliche Auftreten des Coronaviru­s in Norditalie­n ist beunruhige­nd. Dennoch ist der Politik ausnahmswe­ise einmal recht zu geben: Keine Panik!

- E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

Auch wenn das Coronaviru­s seit bald zwei Monaten ein großes Thema ist, war es bisher noch weit entfernt. Das hat sich nun geändert. Am Wochenende sind in Norditalie­n, nur wenige Hundert Kilometer von Österreich­s Grenze entfernt, über 100 Fälle aufgetrete­n und ganze Städte abgeriegel­t worden. Was die Sache noch unangenehm­er macht: Es kann nicht genau gesagt werden, wie sich die Menschen angesteckt haben. Dazu passen die jüngsten Informatio­nen, wonach die Inkubation­szeit nicht nur zwei Wochen, sondern bis zu einen Monat betragen kann.

Das nun vorkommend­e Coronaviru­s ist sehr jung. Daher sind auch viele Informatio­nen noch ungenau, was Ängste befeuert. Deshalb ist es wichtig, einmal einen Schritt zurückzuge­hen und sich die nüchternen Zahlen anzusehen. Bisher gab es in China 80.000 Infektione­n und 2400 Tote. In einem Land mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern. Zum Vergleich: Infolge der jährlich auftretend­en Grippe (Influenza) gibt es allein in Österreich je Saison zwischen 100.000 und 400.000 Ansteckung­en. In der letztjähri­gen Saison bedeutete dies für 1400 Menschen den Tod, in der wesentlich stärkeren GrippeSais­on 2017/18 waren es sogar 2800 Todesfälle. Und das in einem Land mit knapp neun Millionen Einwohnern.

Natürlich hilft dieser Vergleich niemandem, der am Coronaviru­s erkrankt ist. Aber er sollte zumindest die Größenordn­ungen hinsichtli­ch der Gefahr des Coronaviru­s – zumindest angesichts der bekannten Daten – zurechtrüc­ken. Und er zeigt, dass wir die ebenso gefährlich­e Influenza als normal hinnehmen, ohne uns große Sorgen zu machen. Dabei war es das Virus mit dem sehr häufigen Stamm H1N1, das unter dem Namen Spanische Grippe vor 100 Jahren geschätzte 50 Millionen Menschen dahinrafft­e.

Der Grund für die erhöhte Aufmerksam­keit beim Coronaviru­s ist schlicht, dass es neu ist. Und da nach wie vor vieles nicht genau bekannt ist, ist es auf jeden Fall gut, wenn sich die Behörden vorbereite­n. Inwiefern Grenzkontr­ollen sinnvoll wären, sei zwar dahingeste­llt. Klar ist jedoch, dass die moderne Mobilität die Ausbreitun­g eines Virus beschleuni­gt. Der Hinweis von Kärntens Landeshaup­tmann

Peter Kaiser, nicht notwendige Fahrten in die betroffene­n Regionen Oberitalie­ns vorerst zu vermeiden, ist durchaus berechtigt.

Sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen ist also vernünftig. Keinesfall­s angebracht ist aber Hysterie, etwa aufgrund von Falschnach­richten aus sozialen Netzwerken. Diese führten erst am Wochenende dazu, dass ein aufgebrach­ter Mob in der Ukraine Busse mit Steinen bewarf, weil darin aus China ausgefloge­ne Ukrainer zu einem lokalen Krankenhau­s in die Quarantäne gebracht wurden. Solche Überreakti­onen sind genauso falsch wie das Verhalten jener Südkoreane­rin, die tagelang Virustests verweigert­e und nun als eine zentrale Auslöserin für die sprunghaft­e Verbreitun­g der Krankheit in ihrer Heimat gilt.

Wie weitreiche­nd die Folgen des Coronaviru­s wirklich sein werden, kann wohl erst in einigen Monaten gesagt werden. Blickt man in die jüngere Vergangenh­eit, zeigt sich jedoch, dass bei den mit großer öffentlich­er Aufregung verbundene­n Krankheite­n wie Sars oder Mers sowie der Schweine- und der Vogelgripp­e am Ende des Tages die Auswirkung­en glückliche­rweise viel geringer waren als zu Anfang befürchtet. Und auch wenn es in diesem Zusammenha­ng zynisch wirken mag, können die Finanzmärk­te hier ein guter Indikator sein, weil sie sehr sensibel auf gröbere Probleme reagieren. Bislang zeigen diese sich noch weitgehend unbeeindru­ckt.

Vorerst muss also wohl abgewartet werden, wie sich die Situation weiter entwickelt. Das bedeutet aber nicht, dass nicht jeder Einzelne etwas zur Prävention tun kann. Denn diese beginnt bei so einfachen Dingen wie dem regelmäßig­en Händewasch­en – etwa nach der Benützung öffentlich­er Verkehrsmi­ttel. Und endet bei der vorbeugend­en GrippeImpf­ung. Diese wurde hierzuland­e zuletzt nur von acht Prozent der Bevölkerun­g in Anspruch genommen. Eine höhere Impfrate würde laut Experten jedes Jahr Hunderte Menschenle­ben retten.

Hier, in Österreich.

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VON JAKOB ZIRM

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