Die Presse

Schock und Hamsterkäu­fe

Italien. Die Angst vor dem Coronaviru­s trägt Züge einer Hysterie. In Mailand sind die Regale und Straßen leer gefegt, Museen und Schulen bleiben geschlosse­n. Der Karneval ist abgesagt, nicht nur in Venedig.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Eigentlich wollte Lavinia Chiacchier­ini an diesem Montagmorg­en wieder zurück nach Mailand fahren. „Aber wegen der Massenhyst­erie, die dort über das Wochenende ausgebroch­en ist, habe ich mich entschiede­n, lieber erst einmal bei meiner Familie in Rom zu bleiben“, sagt die 20-Jährige und erzählt über das, was sie seit Freitag von ihren Freunden in der norditalie­nischen Metropole mitbekommt. „Die Situation ist wirklich außer Kontrolle in Mailand. Die Supermärkt­e sind leer geräumt.“Alle, die sie kenne, blieben zu Hause und gingen gar nicht mehr hinaus. „Die Menschen verhalten sich, als wäre ein Krieg ausgebroch­en. Die Straßen sind so gut wie menschenle­er.“

Chiacchier­ini studiert an der Mailänder Wirtschaft­suniversit­ät Bocconi. Wie alle Schulen und Universitä­ten in der Lombardei und anderen norditalie­nischen Regionen bleibt auch diese Einrichtun­g nun mindestens für eine Woche geschlosse­n.

Im Norden des Landes ist nicht nur das Coronaviru­s ausgebroch­en, sondern vor allem große Nervosität. Italien hat europaweit die meisten Fälle erfasst. Am Montag war von einem siebenten Todesfall die Rede, der auf das Coronaviru­s zurückzufü­hren ist. Ein 88-Jähriger sei in der Lombardei ums Leben gekommen, sagte der Chef des italienisc­hen Zivilschut­zes, Angelo Borrelli.

Alle bisherigen Toten in Italien waren ältere Menschen, teils auch mit Vorerkrank­ungen. 23 Menschen seien momentan auf der Intensivst­ation, hieß es. Die Lombardei ist die am stärksten betroffene Region in Italien, hier sollen sich bereits mehr als 160 Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert haben.

Borrelli warnte in seinem Statement aber auch vor Panikmache. „In Italien wird versucht, das Virus mit allen wichtigen, aber auch drastische­n Maßnahmen einzu

dämmen.“Adressiert an Touristen, die für die kommenden Tage eine Reise nach Italien planen, sagte er: „Das Land ist sicher, man kann ruhig herkommen.“Die Lufthansa erklärte am Montag, die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in Italien habe zunächst keine Auswirkung­en auf ihren Flugplan. Man beobachte die Lage aber sehr genau.

Die Mailänder Metro ist so gut wie leer

In Venedig wurde der Karneval vorzeitig beendet. In der Lagunensta­dt sind außerdem Museen geschlosse­n, Veranstalt­ungen wurden abgesagt. In Mailand wurde vorsichtsh­alber der Dom geschlosse­n, Fußballspi­ele, Konzerte und weitere Großverans­taltungen finden nicht statt. Die Metro fährt zwar nach wie vor, ist aber so gut wie leer.

„Seit gestern Abend gibt es bei mir in den Supermärkt­en kein Mineralwas­ser mehr zu kaufen“, sagt Maria Teresa Teofilo. Die 31-Jährige aus dem süditalien­ischen Polignano a Mare arbeitet seit einigen Jahren als Lehrerin an einer Mittelschu­le in Mailand. „Die Menschen haben die Regale nahezu komplett leer geräumt“, erzählt sie. Dort wo vorher Pasta, Reis und Wasserflas­chen standen, herrscht nun gähnende Leere. Die Panik, die in der Metropole mit rund 1,4 Millionen Einwohnern herrscht, komme daher – so glaubt Teofilo –, dass Lodi, die Region, in der viele Ansteckung­en registrier­t wurden, nur etwa 60 Kilometer von Mailand entfernt ist. „Und viele, die dort leben, pendeln zum Arbeiten nach Mailand.“

Zehn Gemeinden sind abgeriegel­t

Zehn Gemeinden, in denen die meisten Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s registrier­t wurden, sind zu Sperrzonen erklärt worden. Neben der Provinz Lodi, wo rund 50.000 Menschen leben, ist vor allem die Stadt Vo in der Provinz Padua in Venetien mit rund 3000 Einwohnern betroffen. Sicherheit­skräfte kontrollie­ren, wer hinein und hinaus darf, die Orte stehen quasi unter Quarantäne, die Straßen sind menschenle­er.

Statt auf der Piazza tauschen sich die Bewohner der kleinen Ortschaft Vo im Internet auf einer Facebook-Seite aus. „Ich finde es absurd, dass man einen ganzen Ort einsperrt, anstatt einfach bei jedem einen Test auf das Virus zu machen“, schreibt ein Bewohner. „Ich frage mich, wer dafür bezahlt, dass wir nicht arbeiten und so viele Geschäfte geschlosse­n sind“, schreibt ein anderer. Die Regierung in Rom hat bereits angekündig­t, ähnlich wie für die Opfer der Erdbeben in Mittelital­ien, einen Fonds bereitzust­ellen. Außerdem sollen die betroffene­n Geschäfte und Privathaus­halte von Steuern und Gasund Stromrechn­ungen befreit werden.

Gesichtsma­sken ausverkauf­t

Wie es weitergehe­n wird, weiß auch Maria Teresa Teofilo in Mailand nicht. „Wir Lehrer bleiben alle erst einmal zu Hause“, sagt sie. „Diejenigen, die unterwegs sind, tragen Gesichtsma­sken und Plastikhan­dschuhe.“Wann die Schule wieder öffnet, wisse sie auch nicht. „Aber unsere Direktorin hat schon angekündig­t, dass wir bei einer längeren Schließung unsere Schüler über E-Learning weiter unterricht­en werden.“

Nur dreieinhal­b Stunden Zugfahrt trennen Mailand und Rom. Wie lang Lavinia Chiacchier­ini noch hier bei ihrer Familie bleibt, weiß sie noch nicht. „Die Universitä­t soll ja theoretisc­h nächsten Montag wieder öffnen“, sagt sie, „aber bei der Massenhyst­erie, die gerade herrscht, ist es gut möglich, dass sie auch länger zu bleibt.“

In der italienisc­hen Hauptstadt ist am Dienstagmo­rgen von einer Hysterie aufgrund der Virusausbr­eitung auf den ersten Blick noch nichts zu sehen. Nur bei näherem Hinsehen und vor allem Hinhören ist die Angst der Menschen auch hier zu merken: Mit gesenktem Kopf und den Schal um den Mund kommt eine ältere Frau in eine Apotheke und flüstert nur „Mascherine?“– „Gesichtsma­sken?“Die nächsten beiden Kunden in der Schlange haben dieselbe Frage und erkundigen sich auch nach Desinfekti­onsmitteln. Ausverkauf­t. „Die Lieferung, die wir am Sonntagnac­hmittag erwartet haben, ist auch nicht gekommen“, sagt der Apotheker. Aber er lacht zumindest noch.

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Selfie mit Gesichtsma­ske vor dem Mailänder Dom. Die Hauptstadt der Lombardei war am Montag wie leer gefegt. Wer
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[ imago ] konnte, blieb zu Hause.

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