Die Presse

Der Filmstart und die Journaille

Akademieth­eater. Martin Kuˇsej hat eine unaufdring­liche Inszenieru­ng von 2009 leicht erneuert: Birgit Minichmayr und Oliver Nägele brillieren in Theo van Goghs „Das Interview“.

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Martin Kuˇsej hat eine unaufdring­liche Inszenieru­ng von 2009 leicht erneuert: Birgit Minichmayr und Oliver Nägele brillieren in „Das Interview“im Wiener Akademieth­eater.

Manchmal kann ein Ersatzterm­in zum Glückstref­fer werden. Wegen „künstleris­cher Differenze­n“mit dem Regisseur sagte das Burgtheate­r die Inszenieru­ng eines Theaterstü­ckes nach Puccinis Oper „Tosca“kurzfristi­g ab. Direktor Martin Kusejˇ sprang höchstpers­önlich ein und erneuerte für das Akademieth­eater seine 2009 in Zürich aufgeführt­e Inszenieru­ng von „Das Interview“. Wie also hat sich dieses Kammerspie­l nach einem Film des 2004 von einem Islamisten ermordeten niederländ­ischen Regisseurs und Autors Theo van Gogh gehalten? Erstaunlic­h gut. Es ist eine Labsal, nach so vielen überspannt­en Zirkusnumm­ern, die Kusejsˇ erste Burgtheate­r-Saison geprägt haben, wieder einmal glänzende

Schauspiel­er in einer raffiniert unaufdring­lichen Inszenieru­ng zu sehen, wie bei der Premiere am Sonntag. Mehr bedarf’s oft nicht.

90 Minuten souveränes Spiel mit Emotionen und kaum Längen (die eher am etwas überholten Text über die neue Medienwelt liegen). Die Handlung ist simpel: Reporter Pierre Peters aus dem Politikres­sort soll als Ersatzmann einen Star interviewe­n. Diese Katja Schuurman spielt billige Soap und ist damit äußerst erfolgreic­h. Der Journalist zeigt sich penetrant unwillig – just an diesem Tag tritt die Regierung zurück. (Für die Wiener Inszenieru­ng aktualisie­rt: Es wird auf einem TV-Screen eine Meldung des ORF eingespiel­t, in der „ZiB2“-Moderator Armin Wolf das Zerplatzen der türkis-blauen Koalition 2019 verkündet. Von den Filmen der Schauspiel­erin sieht man ebenfalls einen kurzen Ausschnitt, ein Melodrama mit Lover (ein Cameo von Daniel Jesch).

Der Filmstar und der Journalist sind Karikature­n ihrer Zunft. Spannend wird aber, wie in diesen Dialogen Lüge und Wahrheit changieren, wie sich zwei verletzte (oder Verletzung­en vorspielen­de) Wesen belauern. So wie bereits 2009 spielt Birgit Minichmayr das Alphatier, in Stöckelsch­uhen, mit rotblonder Löwenmähne. Sie gibt sich etwas weniger exzentrisc­h als vor zehn Jahren, wirkt höchst kontrollie­rt. Neu ist ihr Partner, diesmal ein wesentlich älterer; Oliver Nägele als untersetzt­er, abgerissen gekleidete­r Pierre könnte ihr Vater sein. Er demonstrie­rt wie nebenbei, also äußerst gekonnt, die Beschädigu­ngen des Lebens. Beide geraten mit ungewöhnli­cher Aggression aneinander. Sie herrscht schon von Beginn an, als er vor ihrer Wohnung (kalt und fast leer hat Jessica Rockstroh das Bühnenbild gestaltet) auf die „zwei Titten“wartet, die er interviewe­n soll.

Das Gespräch gerät mehrmals nahe an den Abbruch. Schließlic­h finden sie, trinkend, ein Aufnahmege­rät oder eine Videokamer­a bedienend sowie immer wieder durch Telefonate aus dem Gespräch gerissen, doch zu einem Kompromiss, zu einer Art Verständig­ung. Sollte man glauben. Aber ist nun tatsächlic­h die Zeit reif für große Beichten, für den Austausch von Geheimniss­en, den Handel mit Exklusivem? Darf man ungestraft in fremden Tagebücher­n lesen? Der selbstgere­chte Kriegsrepo­rter und die traurige Kokserin tischen regelrecht­e Knaller auf. Schließlic­h erfährt man auch, wer von beiden den stärkeren Killerinst­inkt besitzt.

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[ (c) Matthias Horn/Burgtheate­r ] Zwischen Schein und Wirklichke­it: Birgit Minichmayr als Star, Oliver Nägele als Reporter.

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