Offener Kampf um Merkels Erbe
Deutschland. Europas mächtigste Volkspartei wankt. Auch eine offene Führungsfrage belastet die CDU, die nun am 25. April geklärt werden soll. Dann kommt es zum großen Showdown in Berlin.
Julia Klöckner muss absagen. Die CDU-Vizechefin schickt via Twitter Grüße an die „Ranzengarde“in Mainz. Erstmals nach „vielen Jahren“lässt sie die Umzüge am Rosenmontag in ihrer Heimat aus. Für den zelebrierten Frohsinn gibt es in der CDU auch keinen Anlass. Und von Narrheiten haben viele in der Partei, Stichwort Thüringen, wohl auch genug.
Klöckner muss zur Krisensitzung ins Konrad-Adenauer-Haus. Es ist Tag eins nach dem „schweren Schlag“(Jens Spahn) von Hamburg, wo die Partei auf 11,2 Prozent abgestürzt ist. Die Hansestadt war für die Christdemokraten zwar die meiste Zeit ein hartes Pflaster. Aber erstens ist das kein Naturgesetz; CDU-Mann Ole von Beust hat Hamburg noch in den Nullerjahren zwischenzeitlich mit absoluter Mehrheit regiert. Und zweitens ist das Ergebnis auch für Hamburger Verhältnisse desaströs. Man muss schon 69 Jahre und ins kleine Bremen zurückgehen, um ein schwächeres CDU-Ergebnis aufzustöbern.
Und in der CDU denken sie diese Wahlpleite zusammen mit dem Fiasko in Thüringen, den schwachen Umfragewerten im Bund und den Personalnöten: Es brodelt in Europas mächtigster Volkspartei. Sie „irrlichtert“und gibt ein „Bild der Führungslosigkeit“ab, wie das die CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und Tobias Hans formulieren. Doch dieses Bild soll korrigiert werden. Und zwar viel schneller als geplant.
Auftritt der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) kurz vor 14 Uhr im Atrium der Parteizentrale: Vor zwei Wochen hatte sie an selber Stelle ihren Rückzug angekündigt und erklärt, dass über ihre Nachfolge und die Kanzlerkandidatur der Union zeitgleich gegen Jahresende abgestimmt werden soll. Der Zeitplan ist tot. Die Noch-CDU-Chefin wird schon in acht Wochen ihr Spitzenamt los sein. Ein Sonderparteitag am 25. April soll ihren Nachfolger küren. Alles läuft auf eine Kampfabstimmung hinaus, die viele führende CDU-Politiker unbedingt vermeiden wollten. Sie drängten mögliche Bewerber, sich doch hinter den Kulissen auf ein Team zu einigen. Aber jeder wollte Kapitän sein.
Und deshalb steuert die Partei auf einen offenen Machtkampf zu, in dem es auch um Angela Merkels Erbe geht. Denn die Wahl des CDU-Chefs sei jedenfalls ein „klares Signal“, wer CDU und CSU in die nächste Wahl, regulär im Herbst 2021, führen soll, sagt AKK. Wobei die Bayern da noch ein Wörtchen mitreden wollen.
Im Kampf um den CDU-Vorsitz hat sich nur Ex-Umweltminister Norbert Röttgen aus der Deckung gewagt. AKK führte in der Vorwoche aber Gespräche mit drei möglichen Bewerbern, wie sie das formuliert. Sie meinte drei Katholiken aus Nordrhein-Westfalen, also Gesundheitsminister Jens Spahn, ExFraktionschef Friedrich Merz und
Ministerpräsident Armin Laschet. Alle drei hätten ihr Interesse am Vorsitz bekundet und zugesagt, sich diese Woche öffentlich festzulegen.
AKK wirkt am Montag angegriffen. Sie teilte zwischen den Zeilen kräftig aus. „Wir haben aus den vergangenen zwölf Monaten gelernt“, sagt sie an einer Stelle. Alle möglichen Kandidaten hätten ihr zugesichert, eine Niederlage zu akzeptieren und sich in einem Team „sichtbar“einzubringen. Ein deutlicher Hinweis, dass sie sich von Merz und dessen Lager im Stich gelassen fühlte, nachdem sie ihn im Kampf um den CDU-Vorsitz im Dezember 2018 besiegt hatte.
Wer auch immer ihr nachfolgt, erbt auch ein Dilemma, das sich Ämtertrennung nennt. AKK stand stets im Schatten von Angela Merkel. Dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft nicht in einer Hand sind, führte die Noch-CDU-Chefin als Ursache für ihr Scheitern an. Die
Ereignisse in Thüringen waren dann nur der Auslöser. Wie berichtet, hatte sich die Landes-CDU über alle Warnungen der Parteizentrale hinweggesetzt und einen FDP-Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD ins Amt gehievt.
Der FDP-Mann ist längst zurückgetreten, da kündigt sich der nächste Tabubruch an: Die Landes-CDU will eine rot-rot-grüne Regierung dulden, auch wenn man das nicht so nennt. Denn Thüringens CDU fürchtet sich mehr vor Neuwahlen als vor dem Zorn der Parteizentrale, die entrüstet auf den Unvereinbarkeitsbeschluss verweist, der Kooperationen mit AfD und Linkspartei untersagt.
Das Thüringen-Fiasko sät auch Zwietracht in der Großen Koalition. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil stichelt, die CDU habe ein ungeklärtes Verhältnis zur AfD. Kramp-Karrenbauer rief die Sozialdemokraten am Montag auf, diese „Diffamierungs- und Schmutzkübelkampagne“zu beenden oder die Koalition zu verlassen.