Die Presse

Vier Lehren aus der Wahl im hohen Norden

Hamburg. Die SPD kann Wahlen gewinnen, die CDU steckt im strategisc­hen Dilemma, die FDP in einer existenzie­llen Krise.

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Hamburg tickt anders als der Rest der Republik. Das Bürgertum tendiert in der Hansestadt seit jeher nach links. Und dem Ersten Bürgermeis­ter, Peter Tschentsch­er (SPD), fliegen die Herzen zu. Auch deshalb gab es keine Wechselsti­mmung an der Elbe. Stattdesse­n wurde Rot-Grün am Sonntag mit einer Zweidritte­lmehrheit in der Bürgerscha­ft versehen. Vier Lehren, die sich trotzdem aus Hamburg ziehen lassen.

Der Zeitgeist mag kein Sozialdemo­krat sein, aber er belohnt populäre Persönlich­keiten, zu denen

Hamburgs Bürgermeis­ter zählt. Die SPD kann Wahlen gewinnen: Das ist die gute Nachricht für die linke SPD-Doppelspit­ze im WillyBrand­t-Haus, für Norbert WalterBorj­ans und Saskia Esken.

Die schlechte: Tschentsch­er ging auf Distanz zur Parteiführ­ung in Berlin. Er machte sozusagen den Hans Peter Doskozil. Auftritte des Duos im Wahlkampf waren unerwünsch­t. Tschentsch­er zählt zu den Verfechter­n einer wirtschaft­sfreundlic­heren Politik und der Schuldenbr­emse. Er steht damit in einer Tradition mit seinem Vorgänger, Finanzmini­ster Olaf Scholz, der zu den heimlichen Gewinnern der Hamburg-Wahl zählt. Denn der pragmatisc­he Flügel in der SPD wurde gestärkt. Bundesweit dümpelt die SPD weiter zwischen 13 und 16 Prozent.

Rückenwind aus Berlin gab es nicht. Stattdesse­n klagte CDUSpitzen­kandidat Marcus Weinberg in Anspielung auf Thüringen und die Führungskr­ise in Berlin (siehe Artikel oben) über einen „Sturm von vorne“.

Das desaströse Ergebnis – 11,2 Prozent – zeigt bei allen Hamburger Eigenheite­n auch das große Dilemma der CDU: Die westdeutsc­hen Metropolen ergrünen. Zugleich laufen die Wähler im ländlichen Osten zur AfD über.

Im Herbst 2019 erreichten im ostdeutsch­en Sachsen Linksparte­i,

Grüne und SPD zusammen 20,7 Prozent. In schärfstem Kontrast dazu vereint das linke Lager in Hamburg mehr als 70 Prozent der Stimmen auf sich. Die innerdeuts­chen Fliehkräft­e nehmen zu. Auch die AfD ist ein ostdeutsch­es Phänomen. Schon das EU-WahlErgebn­is deutete einen Abwärtstre­nd an. Mit elf Prozent blieben die Rechtspopu­listen hinter ihrem Bundestags­wahl-Ergebnis.

Im Westen war man gar einstellig. In Hamburg schaffte man nun nur hauchdünn den Verbleib in der Bürgerscha­ft (5,3 Prozent). Der sanfte Abwärtstre­nd der AfD wurde aber von drei Wahlen in Ostdeutsch­land überlagert, wo die Partei allerorts auf Platz zwei und über 20 Prozent kletterte.

Umgekehrt gilt: Die Grünen blieben im Osten Kleinparte­i, während sie in Westdeutsc­hland (ohne Bayern) mit der CDU um Platz eins kämpfen und im Biotop Hamburg auf 24,2 Prozent hinaufklet­terten.

Das Fiasko von Thüringen schadet der FDP. Die Liberalen drohen in eine existenzie­lle Krise zu schlittern. In Hamburg sind sie das jedenfalls schon. Der Wähler schickte die Liberalen in Richtung außerparla­mentarisch­er Opposition.

2013 war die FDP aus dem Bundestag geflogen. Die Wiederaufe­rstehung hatte dann just in Hamburg begonnen, wo 2015 kleine Zugewinne glückten. Nun geht die Angst um, die Hansestadt könnte auch diesmal wieder Vorbote sein.

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