Der junge Freud im dunklen Wien
Serie. Kokain und Hysterie, Schmisse und ein Mord: Marvin Kren reißt in „Freud“– Weltpremiere war nun bei der Berlinale – viele Themen an. Das funktioniert erstaunlich gut.
Eine Taschenuhr pendelt im schwarzen Nichts. „Sie hören meine Stimme, Sie sehen das Pendel. Nur meine Stimme und das Pendel. Alles andere verschwindet“, sagt eine dunkle Stimme. Das Gesicht eines jungen Mannes kommt zum Vorschein, durchdringende Augen, gepflegter brauner Bart. Die Hypnosesitzung scheint erfolgreich zu sein: Eine ältere Frau wird zurückversetzt an den Unfallort ihrer kleinen Tochter. Man hört Kindergelächter, klappernde Pferdehufe, sieht ein gequältes Gesicht im Kerzenschein. Dann steht die Frau abrupt auf und zieht die Vorhänge auf. Licht strömt in das geräumige Zimmer. Und Sigmund Freud bittet seine Haushälterin: „Sagen Sie, könnten Sie ein bisschen weinen am Schluss?“
Der Erfinder der Psychoanalyse als Schwindler? Schon die erste Szene der Serie „Freud“macht klar: Heiliggesprochen wird Freud hier nicht. Er steht aber auch noch am Anfang seiner Karriere. Der knapp 30-Jährige hat die Hypnose für sich entdeckt, doch sie gelingt ihm noch nicht, wann er es will. Für ein Referat vor der Wiener Ärzteschaft, die ihn ohnehin nicht ernst nimmt, will er das Kunststück daher lieber vortäuschen.
Der Wiener Regisseur Marvin Kren, der davor die Mafiaserie „4 Blocks“über libanesische Clans in Neukölln gedreht hat, nutzt Freuds Biografie aber ohnehin nur als Gerüst für eine schillernde Fiktion: Das Geheimnisvolle, das seine Person und seine Lehren umgibt, funktioniert als Basis für eine anregende Mystery-Geschichte um ein blutiges Mordkomplott im Wien von 1886.
Wo die Wissenschaft endet und die Mystik beginnt, bleibt zunächst offen. Der entschlossene Freud (Robert Finster) lernt die junge Fleur Salome´ (Ella Rumpf) kennen, die die Wiener Gesellschaft in Geisterstunden als „Medium“verzückt, selbst aber von Visionen geplagt wird, in denen sie Opfer unsäglicher Grausamkeiten wird. Diese passen zu den Ermittlungen des Inspektors Kiss (Georg Friedrich als wortkarger Kriegsveteran) und dessen Kollegen Poschacher (Christoph Krutzler als Wiener Original mit massivem Schnauzer). Keine Freude an Freuds Analysen haben eine ungarische Gräfin (Anja Kling) und ihr Neffe (exaltiert: Philipp Hochmair mit viel Kajal), die mit dekadenten Partys ihren sozialen Aufstieg vorantreiben.
„Freud“spielt in keinem nostalgisch verklärten Wien. Auch wenn mit dem geselligen Arthur Schnitzler, der Freud gern in die Oper und zu den Seancen´ im Haus der Gräfin mitnimmt (in Wahrheit hatten die beiden kaum Kontakt), ein lebensfroher Künstler gezeigt wird: Der Rest ist hier düster. Prostituierte kauern am Gehsteig, Bettler und teuflische Gestalten in der Kanalisation. Der Wind pfeift gespenstisch durch die Gassen, nachts erklingen makabre Heurigenlieder.
Triste Stimmung herrscht auch in den kalkweißen Gängen des Krankenhauses, wo die Gangbetten mit Netzen überspannt sind. Ein Duell am Linienwall im Morgengrauen scheint völlig normal zu sein. In den Kellern feiern die Burschenschaftler mit Schmiss im Gesicht fröhliche Trinkgelage: „Die halberte Stadt schaut so aus“, sagt der Polizeidirektor, als es darum geht, einen Verdächtigen mit einschlägiger Narbe zu finden. Und Freud nuckelt munter am Kokainflascherl.
Kren hat eine Freude damit, Räusche und andere veränderte Bewusstseinszustände zu inszenieren –, Robert Finster als Freud spielt angeregt mit: Da zucken die Brauen, während sich das Bild blutrot färbt; an anderer Stelle bewegt sich Fleur während einer Vision durch eine spiegelnde Albtraumwelt, in der grell beleuchtete Figuren stehen wie eingefroren. Sieht so unser Unbewusstes aus?
Es ist erstaunlich, wie viele Themen diese Serie anreißt – die Lehren Freuds, die zum Zeitpunkt der Handlung noch längst nicht gefestigt sind, natürlich nur sehr oberflächlich, genauso wie die damaligen medizinischen Lehrmeinungen über psychische Krankheiten und „Hysterie“– eine Diagnose, die hier praktisch jeder Frau gestellt wird, deren Leiden sich die Ärzteschaft nicht erklären kann. Auch von Freud: Fräulein Salome´ ist für ihn ein „Paradebeispiel einer Hysterikerin“; ihre Halluzinationen, die die Mordermittlungen stets weiterbringen, überfordern den jungen Arzt, der sich zu dem „Medium“eindeutig hingezogen fühlt (die Entdeckung, die den historischen Freud schließlich von der Hypnose abbringen sollte, nämlich dass sich Hypnosepatientinnen oft in ihren Therapeuten verlieben, wird in der Serie ebenfalls vorweggenommen).
Doch es geht auch um den Reiz des Mystizismus, der sogar Kronprinz Rudolf erfasst, um die Konflikte zwischen Österreichern und Ungarn, um Antisemitismus und andere gesellschaftliche Abgründe. All das wird zu einem spannenden Plot vermengt: Das Drehbuch lässt in den drei Folgen, die bisher zu sehen waren, genug im Dunkeln, um eine Aura des Mysteriösen aufzubauen, und liefert genug Gewissheiten, um die Handlung voranzutreiben. Wiener Schmäh („Schas mit Quasteln“) trifft auf die affektierte Ausdrucksweise der höheren Gesellschaft, surreale, schlafwandlerische Momente treffen auf eine opulente historische Noir-Show – und mittendrin sucht Freud seine Thesen: „Freud“will viel, und die ersten Folgen sind vielversprechend. Bleibt zu hoffen, dass der Rest der Staffel dem Anspruch gerecht wird.