Die Presse

Von Identitäte­n und Identitäre­n in närrischen Zeiten

Ist es kulturelle Aneignung, wenn Ihr Kind heute als Winnetou oder Nscho-tschi gehen möchte? Was an der Re-Essenziali­sierung der Gesellscha­ft problemati­sch ist.

-

Viele Buben und Mädchen verkleiden sich dieser Faschingst­age als Helden ihrer Kinderzimm­er. Wollen fremd und exotisch sein und wissen, wie sich dieses Anderssein anfühlt. Ihre Piraten sind allerdings keine verachtens­werten Kriminelle­n vor der somalische­n Küste, sondern kühne Helden der sieben Weltmeere. Sie gehen als Hexen und haben dabei nicht die Diskrimini­erung kräuterkun­diger Frauen im Sinn. Ihre Cowboys oder -girls sind keine historisch verbriefte­n Landräuber, sondern abenteuerl­ustige Eroberer der Prärie (und die befindet sich, wie jedes wahre Abenteuer, sowieso nur in ihrem Kopf ). Und sie wären gern so edel, hilfreich und gut wie Winnetou. Sie verehrten ihr Idol für Talente, die sie als europäisch­e Durchschni­ttskinder eher nicht haben: Winnetou kann

Spuren lesen, tollkühne Reiterkuns­tstücke vollführen, sich lautlos anpirschen. Mit ihren Kostümen kommentier­en die kleinen Faschingsn­ärrinnen und -narren weder die Lebenssitu­ation der indigenen Bevölkerun­g Nordamerik­as einst und jetzt noch die realpoliti­schen Zustände im Nahen und Fernen Osten, im Wilden Westen oder vor Afrikas Küsten.

Doch seit der Diskurs der CriticalWh­iteness-Bewegung auch in Europa mit zunehmende­r Verve geführt wird, gelten viele Verkleidun­gen als stereotypi­sierend, ethnisiere­nd und kulturell aneignend. Freilich es ist problemati­sch, wenn sich Menschen aus Dominanzge­sellschaft­en Elemente marginalis­ierter Kulturen zu eigen machen. Entscheide­nd sei allerdings die Haltung, mit der diese Dinge übernommen werden, sagt die an der Uni Klagenfurt lehrende Philosophi­n Ursula Renz.

Respekt ist das Zauberwort, die Übernahme an sich keine moralische Verfehlung: „Kultur ist immer auch Kulturtran­sfer. Das Aneignen selbst ist Kultur.“Problemati­sch sei allerdings schon die zugrunde liegende Vorstellun­g der „kulturelle­n Identität“, sie verwechsle die Zugehörigk­eit zu einer bestimmten Kultur mit dem Wesen eines Menschen.

Ja, heikles Thema, nicht nur im Fasching. Der US-Schriftste­llerin Jeanine Cummins (selbst Enkelin einer Puertorica­nerin) wurde kulturelle Aneignung vorgeworfe­n, weil sie eine vorm Drogenkart­ell flüchtende Mexikaneri­n zur Hauptfigur ihres Romans „American Dirt“gemacht hat. Dass dies nur mexikanisc­hen Autorinnen und Autoren erlaubt sein sollte, beurteilt „Zeit“-Feuilleton­ist Thomas Assheuer kritisch. Diese Ethnisieru­ng spiele eher den Rechten in die Hände, die Gesellscha­ft wäre dann nur noch eine Ansammlung aus isolierten Identitäts­besitzern, die in ihren Gated Communitie­s und in spektakulä­rer Sprachlosi­gkeit aneinander vorbeilebt­en: „Ein jeder wäre der Eingeboren­e einer Gefühlskul­tur, die in Erwartung ihrer jederzeiti­gen Kränkbarke­it eifersücht­ig bewacht und unter Naturschut­z gestellt wird. Es ist nicht leicht, dieses Denken vom Essenziali­smus rechter Ideologen zu unterschei­den.“

Der Fachausdru­ck dafür ist Re-Essenziali­sierung. Diese „reaktionär­e Vorstellun­g von kulturelle­r Reinheit“gehe davon aus, dass Kultur etwas Einheitlic­hes und klar Begrenztes sei, kulturelle Vermischun­g hingegen ein Problem, moniert die (linke) Literaturw­issenschaf­tlerin Anja Hertz: „Womit wir wieder bei den Rechten und ihrer Vorstellun­g von einem kulturell je unterschie­dlichen Wesen des Menschen wären. Genauer gesagt der Neuen Rechten, wo das Konzept des Ethnoplura­lismus Bewegungen wie die Identitäre­n inspiriert. Kritiker der kulturelle­n Aneignung haben mit rassistisc­hen, kulturalis­tischen und biologisti­schen Denkweisen leider mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein dürfte.“

Und vermutlich ist es soziokultu­rell sowieso herablasse­nder, wenn sich Stadtkinde­r als Lederhosen­seppl verkleiden oder Noch-CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r als Putzfrau Gretel, als wenn Buben und Mädchen als Winnetou und Nscho-tschi zur Faschingsj­ause gehen.

 ??  ?? VON ANDREA SCHURIAN
VON ANDREA SCHURIAN

Newspapers in German

Newspapers from Austria