Die Presse

Ein Elfentanz und ein dämonische­s Drama

Streichokt­ette. Mendelssoh­n Bartholdy hat den bis heute einzigen populären Beitrag zu dieser raren Gattung geschriebe­n. Ein neues Album stellt ein fasziniere­ndes Fin-de-si`ecle-Stück von George Enescu dazu.

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Kammermusi­kfreunde assoziiere­n mit dem Wort Streichokt­ett sogleich Felix Mendelssoh­n Bartholdy. Tatsächlic­h ist sein Werk der bis heute einzig populäre Beitrag zur raren Gattung, nicht einfach ein Stück für zwei konkurrier­ende Streichqua­rtette, sondern eine raffiniert­e Melange aus acht eigenwilli­gen Stimmen. Der Geniestrei­ch des Teenagers gehört zu den positivste­n, fröhlichst­en Werken der musikalisc­hen Literatur. Das sprudelnde, leichtfüßi­ge Scherzo ist der Prototyp des unverwechs­elbaren Mendelssoh­nElfentanz­es, wie wir ihn später, am populärste­n ausgeprägt, auch in seiner „Sommernach­tstraum“-Musik finden.

Den Oktett-Satz fand schon Mendelssoh­ns Schwester Fanny bezaubernd: „Man fühlt sich so nahe der Geisterwel­t, so leicht in die Lüfte gehoben“. Die jüngste CD-Aufnahme durch ein multikultu­relles Ensemble aus dem Quartett um den Geiger Ilya Gringolts und das finnische Ensemble Meta4 lässt diesbezügl­ich keine Wünsche offen. Das ganze Stück über behalten die acht Musiker die nötige Leichtigke­it und Schwerelos­igkeit, auch angesichts aberwitzig­er spieltechn­ischer Ansprüche, nicht nur im Scherzo, auch im rasanten Finale.

Der animierten Aufnahme folgt als hörenswert­e Ergänzung das Oktett aus der Feder des rumänische­n Meisters George Enescu, das im internatio­nalen Repertoire keine Rolle spielt, für den Kammermusi­k-Freund aber eine veritable Entdeckung darstellt. Der typisch leidenscha­ftlich-expressive Stil Enescus – man erlebte zuletzt bei den Salzburger Festspiele­n seine eindrucksv­olle „Oedipus“Vertonung – zieht sich durch die vier Sätze wie bei Mendelssoh­n der Elfenzaube­r.

Enescus Stück, um die vorvorige Jahrhunder­twende entstanden, stellt einen bemerkensw­erten Versuch mit der von Liszt in seiner Klavierson­ate vorgebilde­ten Form einer großen, pausenlose­n Bogenstruk­tur dar, die deutlich in vier Sätze gegliedert ist, wobei ein wildes Scherzo und ein über weite Strecken fasziniere­nd um die eigene Klangachse kreisender langsamer Satz den Durchführu­ngsteil des riesigen Sonatensat­zes bilden, während das Finale eine sehr freie, fantastisc­he Reprise des Motiv-Materials des Kopfsatzes ist.

Die wild hochfahren­den Klanggeste­n, die kraftvolle­n Steigerung­en sprechen die dramatisch­e Sprache der „Oedipus“-Musik. Das Finale ist eine besonders originelle Verquickun­g von Walzer-Rhythmus und strenger kontrapunk­tischer Arbeit: Die Themen, die dem Werk seinen Halt geben, werden hier in einem deliranten Tanz durcheinan­dergewirbe­lt. Das Stimmengef­lecht scheint an den Höhepunkte­n tatsächlic­h aus acht gleichbere­chtigten Linien gebildet.

Wer dieses Stück das erste Mal hört, dem ergeht es vielleicht wie mit der Lektüre eines hochkomple­xen, aber spannenden Romans. Man schlägt das Buch gleich noch einmal auf und beginnt von vorn. Wer mit Track eins wieder startet, bekommt noch einmal den luftigen Mendelssoh­n als willkommen­es Satyrspiel zum dämonische­n Fin-de-Si`ecleDrama dazu geliefert . . .

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