Die Presse

Verbot für Sterbehilf­e fällt

Urteil. Die Verfassung­shüter kippen das Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e und lösen damit eine emotionale Debatte aus.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Verfassung­shüter in Karlsruhe kippen das Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e und lösen damit eine emotionale Debatte aus.

In Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverf­assungsger­ichts, geht es an diesem Vormittag um ein Urteil, das große ethische Grundfrage­n berührt, ja, man könnte sagen: Es geht um Leben und Tod. Denn die Richter in ihren roten Roben kippen das Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e. Das Urteil erregt großes Aufsehen in Deutschlan­d. Es könnte die Tür für neue Sterbehilf­evereine öffnen, wie sie zum Beispiel in der Schweiz existieren.

Es gebe ein „Recht auf selbstbest­immtes Sterben“, begründete der Präsident des Verfassung­sgerichts, Andreas Voßkuhle. Und das schließe ein, sich das Leben zu nehmen und dazu Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Das Verbot verletzte darüber hinaus Grundrecht­e von Vereinigun­gen, die Suizidhilf­e leisten möchten. Denn Sterbewill­ige seien bei der Umsetzung mitunter darauf angewiesen, dass Dritte dazu Gelegenhei­t gewähren, verschaffe­n oder vermitteln. Sofort nach dem Urteilsspr­uch setzte eine rege und emotionale Debatte ein.

Paragraf 217 im Visier

Aber der Reihe nach: Deutschlan­ds Sterbehilf­e-Gesetze waren schon bisher lockerer als jenes in Österreich (siehe Artikel rechts). Zwar ist aktive Sterbehilf­e da wie dort verboten. Es ist also untersagt, jemanden auf dessen Verlangen hin zu töten, etwa durch Verabreich­en einer Giftspritz­e. Aber der „assistiert­e Suizid“war bis 2015 in Deutschlan­d auch unter Mitwirkung von Ärzten und Sterbehelf­ern erlaubt. Oder anders: Es war straffrei, jemandem ein tödliches Medikament zu beschaffen. Schlucken musste er es selbst.

2015 hat die Politik die Gesetzesla­ge verschärft. Die Sterbehilf­e durch Angehörige blieb zwar erlaubt. Der neue Paragraf 217 stellte aber die „geschäftsm­äßige“– also auf Wiederholu­ng angelegte – „Förderung der Selbsttötu­ng“unter Strafe. Bei Verstößen drohten bis zu drei Jahre Haft. Das Verbot zielte auch auf Sterbehilf­evereine, die sich damals ausbreitet­en. Sie sollten nicht gesellscha­ftsfähig werden. Das Gesetz wirkte. In Deutschlan­d. Sterbehelf­er zogen sich zurück. Zu den Nebenwirku­ngen zählte, dass eine Art „Suizidtour­ismus“in die Schweiz einsetzte. Einige Ärzte und Sterbehelf­er zogen dann vor das Verfassung­sgericht, auch vier Patienten. Nun ist das Verbot nichtig.

Die Verfassung­shüter zeigten aber Spielräume auf, wie sich die Suizidhilf­e weiterhin regulieren lässt. Als Beispiel werden Aufklärung­s- und Wartepflic­hten genannt. Man könnte die Suizidhilf­e auch unter Erlaubnisv­orbehalt stellen, um die Zuverlässi­gkeit von Suizidhilf­eangeboten zu sichern.

„Normalisie­rung des Suizids“

Das Urteil spaltet die Republik. Zwar befürworte­t eine klare Mehrheit der Deutschen laut Umfragen das Aus für Paragraf 217. Die Diakonie warnte jedoch, es müsse nun mit allen Kräften dafür gesorgt werden, dass Sterbehilf­e „nicht ein furchtbare­s Instrument der Marktgesel­lschaft“werde. Denn Befürworte­r des Verbots fürchten, dass die ohnehin verbreitet­e Ökonomisie­rung des Lebens dazu führen könnte, dass sich Menschen vermehrt aus Nützlichke­itserwägun­gen das Leben nehmen könnten. Auch die Ärztekamme­r hatte das Verbot verteidigt. Es schütze vor der „Normalisie­rung des Suizids“.

Aber das sehen nicht alle so: Die SPD im Bundestag drängt noch am Mittwoch CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn, nun seinen Widerstand gegen die Abgabe der für die Sterbehilf­e notwendige­n Medikament­e aufzugeben: „Schwerstkr­anke Patienten, die selbstbest­immt ihr Leben beenden wollen, dürfen nicht allein gelassen werden.“

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