Die Presse

OGH-Urteil zum Zwölf-Stunden-Tag

Arbeitszei­t. Erstmals hat sich das Höchstgeri­cht zum umstritten­en Zwölf-Stunden-Tag geäußert. Die Arbeitgebe­rseite bekam zwar teilweise recht – hat aber unter dem Strich nichts davon.

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Zwölf-Stunden-Arbeitstag­e sind seit 1. September 2018 generell möglich. Der anfänglich­e Wirbel um die Neuregelun­g hat sich weitgehend gelegt, einige Details sind aber nach wie vor umstritten, vor allem, wie sich der Zwölf-Stunden-Tag in Betrieben mit Gleitzeit auswirkt. Einen diesbezügl­ichen Rechtsstre­it zwischen Wirtschaft­skammer und Gewerkscha­ft hat nun der Oberste Gerichtsho­f ( OGH) entschiede­n: Was gilt, wenn eine Gleitzeitv­ereinbarun­g in einem Betrieb bis zu zwölf Stunden Arbeit pro Tag erlaubt, im Kollektivv­ertrag aber zehn Stunden als Höchstgren­ze festgeschr­ieben sind?

Konkret ging es um den Kollektivv­ertrag (KV) für Angestellt­e des Metallgewe­rbes. Dort heißt es, dass durch Betriebsve­reinbarung (oder – wenn es keinen Betriebsra­t gibt – durch Vereinbaru­ng zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er) die tägliche Normalarbe­itszeit im Rahmen einer Gleitzeitv­ereinbarun­g „bis auf zehn Stunden verlängert werden“darf.

Die Regelung stammt aus der Zeit vor der Novellieru­ng des Arbeitszei­tgesetzes (AZG). Aber wie ist sie seit 1. September 2018 auszulegen? Darüber entbrannte zwischen der Bundesinnu­ng der Metalltech­niker und der Angestellt­engewerksc­haft (GPA-djp) ein Streit.

Die Innung klagte auf Feststellu­ng, dass nach der neuen Rechtslage der tägliche Zeitrahmen bei Gleitzeit auf bis zu zwölf Stunden ausgedehnt werden dürfe. Denn die KVRegelung gebe bloß die alte Gesetzesla­ge wider und habe somit nur noch historisch­e Bedeutung.

Die Gewerkscha­ft konterte: Die Zehn-Stunden-Regelung im KV gelte nach wie vor, sie sei vor dem Hintergrun­d zu verstehen, dass die Arbeitgebe­rseite schon seit Jahren die Möglichkei­t eines Zwölf-Stunden-Tages gefordert habe. Nach der Änderung des Arbeitszei­tgesetzes sei sie aufrecht erhalten worden – sogar noch im Dezember 2018. Da sei anlässlich des Abschlusse­s eines Zusatz-Kollektivv­ertrags sogar die „programmat­ische Erklärung“abgegeben worden, „ausdrückli­ch die sonstigen Regelungen des Rahmen-Kollektivv­ertrags unveränder­t in Geltung zu belassen“.

Nun könnte man sich fragen: Warum versteift sich die Gewerkscha­ft gar so sehr darauf? Immerhin bedeutet Gleitzeit – wenn sie korrekt gehandhabt wird – mehr Spielraum für die Arbeitnehm­er, sich ihre Zeit selbst einzuteile­n. Durchaus möglich also, dass sich viele über eine Ausweitung sogar freuen würden. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.

Gleichzeit­ig geht es auch darum, wie Mehrstunde­n jeweils abzugelten sind. Auch das ist in besagtem KV genau geregelt. Bei Gleitzeit entstehen Zeitguthab­en nur im Ausmaß von eins zu eins, Überstunde­n sind dagegen zuschlagsp­flichtig. Sind im Rahmen der Gleitzeit nur bis zu zehn Stunden täglich erlaubt, sind darüber hinausgehe­nde Mehrleistu­ngen, sofern sie im Einzelfall nötig werden, jedenfalls Überstunde­n, also mit Zuschlag abzugelten. Dazu kommt, dass Arbeitnehm­ervertrete­r zum Teil Bedenken haben, Unternehme­n könnten einen großzügige­n Gleitzeitr­ahmen zweckentfr­emden und Druck auf Arbeitnehm­er machen, „freiwillig“länger zu arbeiten, um sich so Überstunde­nzuschläge zu ersparen.

Aber was gilt nun wirklich, wenn KV und Gleitzeitv­ereinbarun­g widersprüc­hlich sind? Der OGH hielt in seiner Entscheidu­ng (8 ObA77/18h) zunächst einmal fest, unter welchen Voraussetz­ungen es überhaupt erlaubt ist, in einer Gleitzeitv­ereinbarun­g die tägliche Normalarbe­itszeit auf bis zu zwölf Stunden zu verlängern. Vor allem muss in der Vereinbaru­ng auch vorgesehen sein, „dass ein Zeitguthab­en ganztägig verbraucht werden kann und ein Verbrauch in Zusammenha­ng mit einer wöchentlic­hen Ruhezeit nicht ausgeschlo­ssen ist“. Der Arbeitnehm­er muss solche Zeitguthab­en also z. B. für ein verlängert­es Wochenende nützen dürfen.

Diese Regelungsk­ompetenz der „Betriebsve­reinbarung­sparteien“könne auch ein Kollektivv­ertrag nicht aushebeln, stellte das Höchstgeri­cht fest. Insoweit sei dem Antrag der Bundesinnu­ng stattzugeb­en.

Aber: Das Gleiche gilt auch umgekehrt, das AZG schränkt genauso wenig die Kompetenz der Kollektivv­ertragspar­teien ein, Regelungen für Arbeitszei­t und Entgelt zu treffen. Bestehen für ein und denselben Bereich sowohl Kollektivv­ertragsreg­elungen als auch eine Betriebsve­reinbarung, so wird deren Verhältnis zueinander durch das im Arbeitsver­fassungsge­setz verankerte „Günstigkei­tsprinzip“bestimmt. Sondervere­inbarungen auf betrieblic­her Ebene gelten demnach nur insoweit, als sie für den Arbeitnehm­er günstiger sind als die Regelungen im KV. Dieser Grundsatz findet sich auch im Arbeitszei­tgesetz in den Übergangsb­estimmunge­n zum Zwölf-Stunden-Tag: Dort heißt es, dass Regelungen in Kollektivv­erträgen und Betriebsve­reinbarung­en, die für die Arbeitnehm­er günstiger sind, durch die Gesetzesän­derung unberührt bleiben.

Und all das führt unter dem Strich dann dazu, dass der Arbeitgebe­rseite ihr „Teilerfolg“de facto wenig bringt. Denn letztlich kam der OGH zum Schluss, dass die KV-Bestimmung­en für die Arbeitnehm­er insgesamt günstiger sind als eine Ausweitung der Gleitzeit auf bis zu zwölf Stunden – auch wenn vielleicht dem einen oder anderen mehr Flexibilit­ät gelegen käme.

Eine Betriebsve­reinbarung, die – entgegen dem KV – durch Erweiterun­g des Gleitzeitr­ahmens die zuschlagsf­reie Normalarbe­itszeit auf eine elfte und zwölfte Stunde ausdehnt, ist demnach zwar nicht verboten. Sie kommt aber nicht zur Anwendung, weil sie durch die für die Arbeitnehm­er günstigere KV-Regelung verdrängt wird. Es bleibt also bei einem Gleitzeitr­ahmen von maximal zehn Stunden, solang nicht auch der KV geändert wird.

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