MeToo kämpft in Paris gegen Polanskis Sieg
Kunst und Moral. Triumphiert der Film „J’accuse“des erneut der Vergewaltigung beschuldigten Roman Polanski´ am Freitag? Der Filmpreis C´esar ist zum erbitterten Kampfplatz geworden, zum Testfall für den nationalen Umgang mit MeToo.
J’accuse“ist ein fabelhafter Film über die Dreyfus-Affäre. Dass er ein würdiger Favorit für Frankreichs wichtigsten Filmpreis ist, würde wohl niemand bestreiten. – Wäre da nicht die Person des Regisseurs: Im Streit um den polnisch-französischen Filmemacher Roman Polan´ski ist die Verleihung der Cesars´ am Freitag in Paris zum Kampfplatz geworden: Wird Polan´skis zwölffach nominierter Film siegen oder nicht?
Die Entscheidung kommt keine vier Monate nach einem neuen Vergewaltigungsvorwurf. Am 8. November vorigen Jahres, fünf Tage, bevor „J’accuse“in die französischen Kinos kam, hatte die Fotografin Valentine Monnier in einem Interview gesagt, sie sei 1975, im Alter von 18 Jahren, in dessen Schweizer Chalet von Polan´ski geschlagen und vergewaltigt worden. Damit sind es mittlerweile zehn Frauen, fünf davon anonym, die Polan´ski beschuldigen, sie zwischen 1972 und 1983 vergewaltigt zu haben. Wegen Vergewaltigung der damals 13-jährigen Samantha Geimer 1977 wird Polan´ski bis heute von Interpol verfolgt; er kann sich nur in seinem Heimatland Polen, in Frankreich und der Schweiz frei bewegen.
Auch wegen Polan´ski war die Cesa´rsAkademie noch am Mittwochmorgen führungslos: Nach Kritik unter anderem an den zwölf Nominierungen für den Film war der gesamte Vorstand (dessen Präsident, Alain Terzian, überhaupt ein „diktatorischer“Führungsstil vorgeworfen wurde) im Februar zurückgetreten. Zwei Tage vor der Verleihung wurde nun am gestrigen Mittwoch zumindest eine neue Übergangspräsidentin ernannt, vielleicht nicht zufällig eine Frau: die Produzentin Margaret Men´egoz.´ Sie hat mit ihrer Gesellschaft Les films du losange unter anderem Michael Hanekes Film „Cache“´ produziert.
Längst geht es in der Debatte, ob man „J’accuse“nun auszeichnen dürfe oder nicht, um viel mehr als den Fall Polan´ski – das sagen auch jene ganz offen, die gegen eine Auszeichnung kämpfen. Es geht um den Umgang mit sexueller Belästigung in Frankreichs Filmbranche – und überhaupt um den Umgang mit MeToo in einem Land, in dem etliche prominente Künstlerinnen, vor allem der älteren Generation, die Debatte für überzogen halten. Schauspielerin Catherine Deneuve etwa hatte einen offenen Brief Hunderter Frauen mitunterzeichnet, in dem eine Dämonisierung des Mannes kritisiert und eine „Freiheit, zu belästigen“gefordert wurde.
Es ist auch eine Generationenfrage. So hat etwa die 31-jährige Schauspielerin und zweifache Cesar-´Preisträgerin Ad`ele Haenel viel dazu beigetragen, die bevorstehende Entscheidung zum Testfall zu machen. Im November erzählte sie in einem Interview, wie sie drei Jahre hindurch, im Alter von zwölf bis 14, von Christophe Ruggia, dem Regisseur ihres ersten Films, sexuell belästigt worden sei: mit ständigen Berührungen, darunter Schenkeltätscheln und Küsse auf den Hals. Frankreich habe die Diskussion „völlig verschlafen“, kritisierte sie am Montag. Polan´skis Film auszuzeichnen bedeute, „den Opfern ins Gesicht zu spucken“, zu signalisieren, es sei „eh nicht so schlimm, Frauen zu vergewaltigen“.
Andere – wie offenbar viele in der Akademie – beharren auf der Trennung von Werk und Regisseur: Der Film stehe für sich und müsse allein aufgrund seiner künstlerischen Qualität beurteilt werden. In gewisser Weise haben sie es leichter als jene, die den Literaturnobelpreis für Peter Handke verteidigten. Handkes Serbien-Texte waren ein
Teil jenes literarischen Werks, das mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Das machte es noch schwieriger, in der Diskussion über die Preiswürdigkeit die Frage der Moral auszuklammern.
Doch auch im Fall Polan´ski ist die „pure“Entscheidung nach künstlerischen Kriterien schwer zu rechtfertigen. Und zwar nicht nur, weil es in MeToo-Zeiten und noch dazu nur kurz nach einem neuen Vergewaltigungsvorwurf gegen Polan´ski fast unmöglich ist, diese Entscheidung nicht als Statement dazu zu interpretieren; und nicht nur, weil Opfer sich vor den Kopf gestoßen fühlen werden. Auf der Grenze zwischen Film und Filmemacher zu beharren ist auch deswegen schwierig, weil Roman Polan´ski höchstpersönlich diese Grenze niedergerissen hat. Er tat dies explizit, indem er in einem Interview (wenn auch zarte) Parallelen zwischen seinem und dem Fall Dreyfus zog.
Im ursprünglichen Dossier zum Film, das vor dem Filmstart am 13. November an die Journalisten verteilt wurde, war diese Passage noch zu lesen: „In dieser Geschichte habe ich Momente gefunden, die ich zuweilen selbst erlebt habe“, sagte Polan´ski da auf eine Frage. „Ich kann dieselbe Entschiedenheit sehen, die Fakten zu leugnen, und mich für Dinge zu verdammen, die ich nicht getan habe.“Wenige Tage nach den neuen Anschuldigungen durch Valentine Monnier wurde diese Passage stillschweigend aus dem Dossier gestrichen.