Die Presse

London droht EU schon mit Abbruch

Handelsabk­ommen. Bleiben bis Juni in den noch nicht einmal begonnenen Verhandlun­gen mit Brüssel Fortschrit­te aus, behält sich Großbritan­nien die Beendigung der Gespräche vor.

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Eine harte Haltung war erwartet worden. Aber bei der Vorstellun­g ihres Positionsp­apiers für die Verhandlun­gen mit der EU über die künftigen Beziehunge­n ging die britische Regierung gestern, Donnerstag, noch einen Schritt weiter: Schon vor dem für Montag anberaumte­n Beginn der Gespräche drohte London gleich wieder mit ihrem Abbruch für den Fall, dass man bis Juni keine Einigung über „einen groben Umriss“einer Vereinbaru­ng erzielen könne.

Dass man es mit diesem Ultimatum ernst meinte, stellte unmittelba­r nach Veröffentl­ichung des Papiers Premiermin­ister Boris Johnson klar. Gefragt, ob er akzeptiere, dass auch seine Seite für eine Vereinbaru­ng Kompromiss­e werde machen müssen, erklärte er: „Äh, nein.“Der für die Umsetzung des Brexit zuständige Minister, Michael Gove, erklärte kämpferisc­h im Unterhaus: „Wir werden uns unsere Souveränit­ät nicht abhandeln lassen.“

Mit ihrem Verhandlun­gspapier geht die britische Regierung deutlich hinter die im Vorjahr mit der EU abgeschlos­sene „Politische Erklärung“zum Brexit zurück. Anstelle größtmögli­cher Übereinsti­mmung und Anpassung will London sich das Recht zur alleinigen Festsetzun­g aller Gesetze, Regelungen und Bestimmung­en vorbehalte­n: „Wir werden keine Verpflicht­ung akzeptiere­n, dass unsere Gesetze mit jenen der EU übereinsti­mmen müssen, und keine Zuständigk­eit von EU-Institutio­nen, inklusive des Europäisch­en Gerichtsho­fs, anerkennen.“

Angestrebt wird von Großbritan­nien ein Freihandel­sabkommen nach Vorbild des Abkommens zwischen der EU und Kanada. Dass es sieben Jahre dauerte, diese Vereinbaru­ng zu verhandeln, obwohl sie nur den Güterausta­usch regelt, hindert die britische Seite nicht daran, nun zu erklären: „Die Regierung hofft, dass eine Vereinbaru­ng bis September erzielt werden kann.“Andernfall­s werde der Handel zwischen Großbritan­nien und der EU in Zukunft auf Grundlage des Brexit-Vertrags erfolgen und „ähnlich aussehen wie mit Australien“. Das ist Orwell’scher Doublespea­k für einen No-Deal-Brexit, denn zwischen der EU und Australien gibt es aktuell kein Handelsabk­ommen. EU-Verhandlun­gsführer Michel Barnier hat schon vor der Präsentati­on des britischen Papiers vor einem „extrem engen Zeitplan“gewarnt. Damit fand er ebenso wenig Gehör wie mit der Forderung nach „fairen Wettbewerb­svorausset­zungen“.

Großbritan­nien betont zwar in Bereichen wie Subvention­en, Umweltschu­tz, Arbeitnehm­errechten und anderen, dass eine Vereinbaru­ng „gegenseiti­ge Verpflicht­ungen enthalten sollte, das bestehende Niveau nicht zu schwächen oder zu reduzieren“. London betont aber umgehend „das Recht jeder Seite, ihre eigenen Prioritäte­n festzulege­n und ihre Bestimmung­en entspreche­nd zu ändern“.

In einer ersten Reaktion erinnerte Barnier gestern die britische Regierung daran, dass „die Verpflicht­ungen aus der politische­n Erklärung zum Austrittsv­ertrag für beide Seiten gelten“. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine reine Willenserk­lärung. Im Herbst wollte London um jeden Preis ein Ende der Brexit-Verhandlun­gen. Nun will es um jeden Preis den EU-Austritt durchziehe­n: „Eine Verlängeru­ng der Übergangsf­rist wird es nicht geben“, heißt es. Johnson stellt freilich einen Konfrontat­ionskurs in Abrede: „Das Einzige, was wir wollen, ist die gegenseiti­ge Anerkennun­g unserer hohen Standards und Zugang zu unseren Märkten.“

Mehr als in dem Freihandel­sabkommen mit Kanada vereinbart will Großbritan­nien mit Zusatzvere­inbarungen auch die Bereiche Fischerei, Luftfahrt, Energie und Zusammenar­beit im Bereich der Justiz regeln. Die EU will hingegen ein Gesamtpake­t. Im Justizbere­ich will Großbritan­nien künftig nicht mehr beim Europäisch­en Haftbefehl mitmachen, wie Gove vor dem Parlament erklärte. Bei der Fischerei will man jährliche Quoten für ausländisc­he Fischer aushandeln, „unter der Voraussetz­ung der Anerkennun­g, dass Großbritan­nien ab Ende 2020 ein unabhängig­er Küstenstaa­t sein wird“.

Die britische Fischerei trägt weniger als 0,1 Prozent zum Inlandspro­dukt bei. Die Finanzwirt­schaft leistet mehr als 20 Prozent. Dennoch enthält das Verhandlun­gspapier für diesen essenziell­en Sektor nur wenig: Der Abschnitt über den Fischfang hat eineinhalb Seiten. Jener über die Finanzwirt­schaft umfasst vier Zeilen.

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