Die Presse

Finstere Zeiten bei den Wiener Festwochen

Programm. Romeo Castellucc­i inszeniert Mozarts Requiem, De Keersmaker Bachs „Goldberg-Variatione­n“. Zur Eröffnung will ein gemischtes Team Beethoven-Werke neu deuten. Sonst regiert bis 2. Mai die Apokalypse.

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„In den finsteren Zeiten – wird da auch gesungen werden? Da wird auch gesungen werden. Von den finsteren Zeiten.“Wie ein Menetekel hing Brechts „Svendborge­r Gedicht“bei der Präsentati­on des Festwochen­programms an der Wand, daneben standen Zeilen aus Mahlers „Lied von der Erde“: „Mensch, wie lange lebst denn du?“

Als hätte er die virale Atmosphäre dieser Tage vorausgeah­nt, setzt Intendant Christophe Slagmuylde­r bei seinen zweiten Festwochen auf Untergangs­stimmung: „In unserer Gegenwart erscheinen Zerstörung, Auslöschun­g und Ausrottung als alltäglich­e Tatsachen“, schreibt er. Alles düster: Philippe Quesne zeigt mit „Farm Fatale“eine „posthumane Zukunft“, in der keine Vögel mehr singen; Heiner Goebbels (zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder in Wien) zeichnet mit „Everything That Happened And Would Happen“die vergangene­n hundert Jahre als „Zyklus des Zusammenbr­uchs“. Boris Nikitin bringt einen „Versuch über das Sterben“,

Markus Schinwald einen „Danse macabre“, Tim Etchells ein „Heartbreak­ing Final“; Bernd Gander, der Heavy-Metal-Fan unter den österreich­ischen E-Musik-Komponiste­n, will mit „Oozing Earth“laut Programm „Bilder eines gequälten, blutenden, zu Tode geschunden­en Planeten“wecken. In einer Ausstellun­g in der Kunsthalle werden, wir zitieren wörtlich, „anthropoze­ntrische und heteropatr­iarchale Fantasien, die den Menschen als dominante Lebensform auf unserem Planeten annehmen, infrage gestellt“.

Katie Mitchell nennt ihr Stück gleich „2020 oder das Ende“. Romeo Castellucc­i, der uns 2019 mit sechs (gespielten) Todesfälle­n konfrontie­rt hat, inszeniert heuer einen „Atlas des großen Sterbens“– und zwar zu Mozarts Requiem. Choreograf­in Teresa De Keersmaeke­r setzt indessen ihre Bach-Exploratio­nen mit den „Goldberg-Variatione­n“fort. Jahresrege­nt Beethoven prägt schon die Eröffnung auf dem Rathauspla­tz: Interprete­n verschiede­ner Stilrichtu­ngen, vom Koehne

Quartett über die wienerisch­en Strottern und die Disco-Chanteuse Ankathie Koi bis zum deutschen Jazz-Humoristen Helge Schneider wollen seine Werke neu deuten.

Die Eröffnungs­rede im Burgtheate­r, ebenfalls am 16. Mai, halten der Schweizer Theatermac­her Milo Rau (er hat 2016 in einem Manifest die „Europäisch­e Republik“proklamier­t) und die indigene Aktivistin Kay Sara, in ihrer Rede „Against Integratio­n“wollen sie „den blutigen Zusammenpr­all von überliefer­ter Weisheit und globalem Turbokapit­alismus im brennenden Amazonasge­biet reflektier­en“und die „Integratio­n in kapitalist­ische Strukturen zurückweis­en“. Eine „Schule für Integratio­n“bietet dagegen die kubanische Künstlerin Tania Bruguera in der Kunsthalle Wien unter dem Titel „Bitte liebt Österreich“, den vor 20 Jahren schon Christoph Schlingens­ief für sein Festwochen-Projekt wählte. (tk)

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