Führerscheinflucht in die Steiermark
Lerncamps. Das Geschäftsmodell lockt Leute aus ganz Österreich in die Fahrschule Thermenland: Wer den Führerschein machen will, wohnt auch für diese Zeit gleich in der Fahrschule. Die Konkurrenz sieht das kritisch.
Im Gang stehen voll behangene Wäscheständer, ein paar junge Leute lehnen an den Türen vor ihren Mehrbettzimmern und unterhalten sich. Nebenan in der Gemeinschaftsküche wird gerade an einem eckigen Tisch gefrühstückt, es gibt Nutella, Toastbrot, Bananen und Müsli. Kaffeegeruch liegt in der Luft. Alles sieht aus wie in einer Jugendherberge – tatsächlich ist es aber die Fahrschule Thermenland im südsteirischen Bairisch Kölldorf.
Alle drei Wochen beginnt hier ein neuer Intensivkurs im Führerscheincamp. Während dieser Zeit wohnen die Fahrschüler in der Fahrschule. Nach nur 17 Tagen und erfolgreich abgelegter Theorie- und Praxisprüfung besitzen sie ihren Führerschein.
Das Geschäftsmodell ist besonders, es lockt sogar Westösterreicher ganz in den Osten. Dafür nehmen die Prüflinge eine zehnstündige Anreise in Kauf. „In Vorarlberg ist der Führerschein um einiges teurer. So ein Angebot wie hier gibt es bei uns nicht“, sagt Nathalie Lins (29) aus Schruns in Vorarlberg.
Bis 700 Euro Ersparnis
Hier in Bairisch Kölldorf liegen die Kosten für den B-Führerschein mit Übernachtung, Frühstück und Mittagessen sowie der Mindestanzahl der gesetzlich vorgeschriebenen 18 Fahrstunden und TheorieEinheiten bei 1685 Euro. In Bludenz sei der Führerschein um ungefähr 600 bis 700 Euro teurer, erklärt Lins.
Zahlen, die Michael Tagwerker von der Wirtschaftskammer (WKO) Vorarlberg im Grunde bestätigt: „Bei unseren Fahrschulen liegen die Preise für den B-Führerschein zwischen 1512 und 1743 Euro.“Allerdings ohne Unterkunft und Verpflegung. Für den geblockten 17-tägigen Unterricht hat sich Pflegeassistentin Lins Urlaub und Zeitausgleich genommen.
Die Führerscheinkosten der 380 Fahrschulen in Österreich variieren stark. Seitens des Verbands der Fahrschulunternehmer Österreichs der WKO verweist man lediglich auf den freien Markt als Grund dafür. Für Michael Tagwerker liegt der preisliche Unterschied vielmehr am West-Ost-Gefälle: „Die Nähe zur Schweiz schraubt die Lebenshaltungskosten in Vorarlberg immens hinauf“, sagt er.
Der Tagesablauf in der Fahrschule ist streng getaktet, trotzdem darf der Spaß nicht zu kurz kommen. Das Frühstück dauert bis neun, gegessen wird stets am Gemeinschaftstisch in der Küche. Danach geht es für die 30 Fahrschüler in die Unterrichtsräume oder auf den Übungsplatz vor der Fahrschule, wo abwechselnd Theorie- und Praxiseinheiten absolviert werden müssen. Jugendliche unter 18 sitzen hier aber kaum in den Reihen, denn oft sind es ältere Fahrschüler, die den Führerschein in ihrer Heimatgemeinde begonnen, aber nie fertig gemacht haben.
Der getaktete Ablauf und die abgeschottete Lage des südsteirischen Tausend-Einwohner-Dorfs hilft dabei, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: „Alle, die es nicht schaffen, allein zu lernen und sich zu motivieren, fahren hierher in die Steiermark“, sagt Maximilian Karl aus Niederösterreich. Für den 21-Jährigen ist die Fahrschule ganz klar „Plan B“– allein hat er es nicht durchgezogen.
Um 18 Uhr ist dann Feierabend, nun wird gemeinsam gekocht. „Es ist eigentlich wie eine große WG“, erklärt Nathalie Lins. Neben dem Motivationsboost und dem Preis-Leistungs-Verhältnis lockt einige nämlich genau das nach Bairisch Kölldorf: „Viele unserer Schüler verbinden den Aufenthalt mit Urlaub, für die 18-Jährigen im Sommer ist es wie eine halbe Maturareise“, sagt die Leiterin der Fahrschule Thermenland, Heidemarie Schöllauf.
Auch ihr ist es wichtig, dass die Fahrschüler Spaß haben. In der Fahrschule sei man vom ersten Tag an mit allen per Du, „das macht alles recht locker“, bestätigt Maximilian Karl.
Andere Fahrschulen klagten
Die Fahrschule Thermenland profitiert jedenfalls von den „Führerscheinflüchtlingen“. Ungefähr die Hälfte ihrer Fahrschüler seien Einheimische, die andere Hälfte komme aus anderen Bundesländern. Josef Kaufmann, der zweite Fahrschulleiter, erklärt: „Von denen, die aus anderen Bundesländern anreisen, machen die Vorarlberger sicher zwei Drittel aus.“Michael Tagwerker von der WKO zufolge hätten die Abgänge der Vorarlberger in die Steiermark jedoch keine gravierenden Folgen auf die zwölf Fahrschulen im Ländle.
Im Jahr 2010 kam es trotzdem zu einer Klage gegen die steirische Fahrschule – und zwar von einem Zusammenschluss Vorarlberger Fahrschulen. Der Grund: Vier Fahrlehrer aus der Steiermark fahren zweimal im Jahr für die Perfektionsfahrten nach Vorarlberg, um ihre Fahrschüler vor Ort zu unterstützen. Ob das rechtlich erlaubt ist, war bis dahin unklar. Die Vorarlberger Fahrschulen befürchteten damals Umsatzeinbußen. Im Jänner 2011 wurde den Steirern jedoch vom Verwaltungsgerichtshof recht gegeben.
Die Fahrschule Thermenland hat mit ihrem Konzept jedenfalls ins Schwarze getroffen – denn auch die Sommercamps für 2020 sind bereits ausgebucht.
Viele Schüler verbinden den Aufenthalt mit Urlaub.
Fahrschulleiterin Heidemarie Schöllauf