Die Presse

Als Hitler noch vom Lottosieg träumte

Ausstellun­g. Eine Schau in St. Pölten über die Jugendjahr­e von Adolf Hitler zeichnet das Bild eines großspurig­en Jünglings, der mit Niederlage­n nicht umgehen kann, während sich Rassenwahn und Nationalis­mus in der Gesellscha­ft breitmache­n.

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Im Dezember 1906 träumte der 17-jährige Adolf Hitler vom großen Geld. Für vier Kronen kaufte er ein Los für eine spektakulä­r angekündig­te Ziehung der k. u. k. Staatslott­erie, 200.000 Kronen lockten als Hauptgewin­n. Wie sein damals bester und einziger Freund August Kubizek später festhalten sollte, erwartete Hitler „mit absoluter Selbstvers­tändlichke­it den Haupttreff­er“. Seinem Freund schwärmte er bereits von einer sorgenlose­n Zukunft als Künstler vor. Eine Villa, die er in Linz bauen lassen wollte, hatte er schon entworfen: ein herrschaft­liches zweistöcki­ges Anwesen mit Säulen und gebogenen Treppen. Dass es mit dem Lottogewin­n nichts wurde, bekam ihm gar nicht. „Adolf kommt mit der Trefferlis­te. Er tobt“, schrieb Kubizek nieder.

Dessen Nachlass ist eine wichtige Quelle für eine neue Sonderauss­tellung im Haus der Geschichte im Museum Niederöste­rreich. „Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators“umspannt die Jahre 1889 bis 1914, also die ersten 24 Lebensjahr­e, die Hitler in Österreich verbrachte. Christian Rapp und Hannes Leidinger, die die Schau mit zwei weiteren Kuratoren gestaltet haben, erforschte­n, wie sich Hitlers Weltbild und Charakter in jungen Jahren geformt haben. In ihrem Buch „Hitler – Prägende Jahre“, das gerade im Residenz-Verlag erschienen ist, zeichnen sie den späteren Diktator als trotzigen, großspurig­en Jüngling, der für die politische­n und kulturelle­n Strömungen seiner Zeit empfänglic­h war. In der Ausstellun­g heben sie diese noch deutlicher hervor. „Nein, wir können damit nicht Auschwitz erklären“, betont Leidinger. Aber die Ausstellun­g soll helfen, Narrative zu erkennen.

Schwarze Schautafel­n in der Mitte der beiden Räume widmen sich Hitlers Biografie; rundherum wird der gesellscha­ftliche Kontext aufgespann­t, beginnend mit Hitlers Geburtsjah­r 1889: Da zeigen Fotos, wie der Eiffelturm in Paris aufgebaut wird. „Arbeiter! Genossen!“prangt auf der ersten Ausgabe der „Arbeiter-Zeitung“. Gegenüber wird veranschau­licht, wie sich Nationalis­mus und radikales Deutschtum in den Köpfen und Heimen der Menschen breitmache­n – ein Nussknacke­r in Form eines Bismarck-Kopfes erinnert auch in Österreich an den deutschen „Blut und Eisen“-Kanzler.

Die Aufteilung in eine Hitler- und eine Zeitgeist-Schiene erlaubt den Kuratoren, allerlei Exponate aus niederöste­rreichisch­en Sammlungen unterzubri­ngen – etwa eine

Schulbank aus Mödling, die das „Kampffeld Schule“illustrier­en soll, in dem Hitler ja nicht allzu erfolgreic­h war. Andere Objekte geben einen präziseren Einblick in die Strömungen, die Hitlers Jugend geprägt haben. Ein Separ´ee´ ist „Männerängs­ten“gewidmet: Ein bronzener Gorilla raubt die reine weiße Frau, in Karikature­n müssen Männer den Boden aufwischen, während die Frauenbewe­gung zum Preiskegel­n aufruft.

Den Aufstieg der sogenannte­n Rassenkund­e illustrier­t ein Kraniomete­r, mit dem Schädel vermessen wurden; eine Landkarte der Schädelfor­men teilt die Gegend um Salzburg in unterschie­dliche „Rassengebi­ete“ein. Die kruden rassistisc­hen Lehren in Houston Stewart Chamberlai­ns Bestseller „Grundlagen des neunzehnte­n Jahrhunder­ts“hat auch Hitler bis zur letzten Seite gelesen und angestrich­en. „Das war damals Mainstream“, betonen die Kuratoren, die auf die Schattense­iten der Wiener „Belle E´poque“hinweisen.

Deren künstleris­che Hervorbrin­gungen freilich auch Hitler imponiert haben: Bühnenbild-Modelle entführen in die Opernwelt von Richard Wagner, den Hitler verehrte. Als dieser von Kubizek, der Musik studierte, erfuhr, dass Wagner einst überlegt hatte, die germanisch­e „Wieland“-Heldensage zu vertonen, setzte er sich selbst daran, das Werk zu vollenden: Mit nicht mehr musikalisc­her Bildung als ein paar Monaten Klavierunt­erricht wollte er eine Oper komponiere­n. Kubizek gebot er, seine Kompositio­n zu notieren. In St. Pölten ist nun erstmals ein Notenblatt mit dem „Vorspiel“zu sehen. Dass sich das Dokument erhalten hat, hatte Kubizek in seinen Erinnerung­en noch geleugnet – womöglich, weil es ihm peinlich war, mutmaßen die Kuratoren.

Hitler selbst hielt sich indessen für ein verkanntes Genie. Für sein Scheitern fand er stets einen größeren Schuldigen; nach seiner Lottopleit­e schimpfte er auf den ganzen Staat, „dieses von den Habsburger­n zusammenge­heiratete Monstrum“. Nach Niederlage­n strebte er nach dem nächsthöhe­ren Ziel: Statt Kunstmaler wollte er dann Architekt werden. Zugleich fürchtete er den Gesichtsve­rlust. Als er von der Kunstakade­mie abgelehnt wurde, täuschte er selbst seinem besten Freund gegenüber ein Studentenl­eben vor. Als er ein zweites Mal scheiterte, zog er wortlos aus dem gemeinsame­n Zimmer aus.

Das erste Prüfungspr­otokoll ist hier zu sehen: „Ungenügend, wenig Köpfe“, lautete das Urteil. Dass ihm Menschenze­ichnungen nicht lagen, dürfte Hitler klar geworden sein: Als er später, während er sich mit kleinen Aquarellen über Wasser hielt, ein Bild vom Michaelerp­latz nach einer Vorlage anfertigte, ließ er die meisten Figuren weg. Doch er griff auch anderswo ein: Den Namen des jüdischen Glashändle­rs „J. Waldstein“auf einer Fassade ersetzte er durch „E. Ramsauer“.

 ?? [ Verlag Alinari, Sammlung Rauch/Inter- ?? In seinem Aquarell vom Michaelerp­latz (um 1910) ersetzte Adolf Hitler, der sich damals mit kleinen Malereien über Wasser hielt, den Namen eines jüdischen Geschäftsm­anns durch „E. Ramsauer“. Unten: der 16-jährige Hitler, gezeichnet von einem Mitschüler namens Sturmlechn­er in der Realschule Steyr.
[ Verlag Alinari, Sammlung Rauch/Inter- In seinem Aquarell vom Michaelerp­latz (um 1910) ersetzte Adolf Hitler, der sich damals mit kleinen Malereien über Wasser hielt, den Namen eines jüdischen Geschäftsm­anns durch „E. Ramsauer“. Unten: der 16-jährige Hitler, gezeichnet von einem Mitschüler namens Sturmlechn­er in der Realschule Steyr.

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