„Es gibt starke Zeichen, dass Putin kommt“
Salzburg. Wie geht die Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler mit Domingo, dem Coronavirus und Putin um? Ein Gespräch.
Es ist eine schwierige Situation, auch für mich persönlich. Als Frau nehme ich die MeToo-Bewegung doppelt ernst. Ich kenne aber Domingo seit 30 Jahren. Er hat mich nicht nur durch seine künstlerische Leistung beeindruckt, auch durch seine menschliche Qualität. Wir haben in Salzburg nicht die geringsten Hinweise auf sexuelles Fehlverhalten. Vor allem gab es auf keinen Fall eine Verlinkung zwischen Sex und Machtausübung. Intendant Markus Hinterhäuser und ich waren uns einig: In dubio pro reo. Solange die Causa nicht bei Gericht sei, würden wir ihn nicht vorverurteilen. Wir sind dabei zu prüfen, was sich durch seine QuasiEntschuldigung am Dienstag geändert hat.
Unsere Vorstellung von „I vespri siciliani“mit Placido´ Domingo ist Ende August. Wir fällen keine vorschnellen Entscheidungen. Es wäre sinnvoll, wenn die betroffenen Kulturinstitutionen miteinander reden. Ich brauche auf jeden Fall keine Zurufe aus der Politik, um zu wissen, was ich tun soll.
Das nicht, aber: Wenn er etwas zu den Vorwürfen sagen wollte, warum nicht schon vor acht Monaten? Wir informieren uns, wie es zu seinen fast kryptischen Äußerungen gekommen ist. Er sagt ja auch, nichts getan zu haben, was inkriminiert werden könnte.
Wir haben heute unsere Mitarbeiter gebeten, Dienstreisen zu limitieren, sich über Reisewarnungen zu informieren, bei Krankheit einen Arzt anzurufen. Wird es eine Epidemie oder Pandemie, müssen wir die Herausforderung bewältigen. Ich denke an unseren früheren Kaufmännischen Direktor Hans Landesmann, der gesagt hat: „Keinen Vorschuss auf Zores geben.“
Man muss sich nicht den Super-GAU vorstellen. Ich kann mich an keine Absagen bei den
Festspielen erinnern. Nur ein Mal hatten wir Angst, 2002, als die Salzach fast überging. Ein Gastorchester wohnte auf der anderen Salzachseite und wollte von mir eine Garantie, dass die Salzach nicht übergeht. Bin ich Gott? Eine solche Überschätzung meiner Person wollte ich bestrafen und gab ihnen die Garantie. Dass die Salzach nicht überging, war trotzdem nicht mein Verdienst.
Ich würde zunächst die „Ouverture Spirituelle“mit dem Titel „Pax – Frieden“empfehlen. Mirga Grazinytˇe-˙Tyla dirigiert zur Eröffnung Brittens „War Requiem“, wir geben damit ein Statement gegen den Krieg ab. Ich habe in meiner Präsidentschaft das Thema Festspiele als Friedensprojekt immer betont. Je mehr ich mich in die Geschichte vertiefte, desto mehr fiel mir auf: Der Gründungsgedanke der Festspiele entstand nicht, obwohl die Zeit so schlecht war, sondern weil sie so schlecht war. Die Gründer träumten von einem Wallfahrtsort, an dem man die Gräuel des Ersten Weltkriegs vergessen kann.
Es gibt starke Anzeichen dafür. 2019 waren schon russische Botschafter und Regierungsmitglieder hier. Ich hatte das Gefühl, die Stadt wird unter die Lupe genommen.
Ich durfte Bundespräsident Van der Bellen im Vorjahr begleiten, als er Putin für 2020 nach Salzburg einlud. Beim Festessen fragte mich Gazprom-Chef Alexej Miller, ob wir Geld brauchen. Da musste ich wahrheitsgemäß antworten: Ja! Die OMV sagte mir zu, sich die Sponsorsumme von 400.000 Euro mit Gazprom zu teilen. Die beiden Konzerne finanzieren Kulturprojekte in St. Petersburg und in Wien, etwa die Rubens-Schau im Kulturhistorischen Museum. Mich hat die Kritik am Gazprom-Sponsoring nicht überrascht, wohl aber, dass die Festspiele mit einem viel härteren Maßstab gemessen werden.
In politisch brisanten Zeiten können nur Kunst, Sport und Handel Brücken bilden. Ich gebe aber zu, dass das angesichts der geopolitischen Lage immer schwieriger wird.
Mich haben zwei Punkte im Regierungsprogramm sehr gefreut: die Valorisierung für die Kunst – und dass für Infrastrukturprojekte in der Kultur Geld fließen soll. Wir brauchen dringend Geld für die Generalsanierung des Großen Festspielhauses. Wenn das nicht klappt, leidet ganz Salzburg. Dann gibt es kein Adventsingen, keine Osterfestspiele, keine gewinnbringenden Landestheaterproduktionen auf unseren großen Bühnen.
Nein. Aber ich würde mich freuen, wenn eine Frau drankommt. Ich freu mich, dass Brigitte Bierlein Bundeskanzlerin der Übergangsregierung war. Ich werde mir von ihr Ratschläge holen, wie das ist, wenn man von 180 auf null hinuntergeht.
Dass ich mich nicht gewehrt habe, als mich Gerard Mortier 1998 ungerechtfertigterweise angegriffen hat. Das hat mich sehr getroffen. Ich habe trotzdem geschwiegen, um den Festspielen nicht durch einen öffentlich ausgetragenen Streit zu schaden.
Vielleicht steht das auch in Zusammenhang mit den häufigen Intendantenwechseln. Immer wieder werde ich gefragt, ob die Festspiele noch ein Modell für die nächsten hundert Jahre sind. Ja! Das Live-Erlebnis ist unersetzlich. Festspiele als Begeisterungsgemeinschaft nennt es der Kulturphilosoph Bazon Brock. Das trifft auf mich zu. Schon als Kind wusste ich um die Bedeutung der Festspiele, weil mein Großvater 1923 ein Modegeschäft gegründet hat, dessen Aufstieg nur durch die Festspiele möglich war. Ich bleibe auch Mitglied dieser Begeisterungsgemeinschaft, wenn ich nicht mehr Präsidentin bin.