Die Presse

Die Welt mit den Augen der Künstler sehen

Unter dem Titel „Van Gogh, Cezanne,´ Matisse, Hodler“präsentier­t die Wiener Albertina Werke aus der Sammlung Hahnloser – einer der prestigetr­ächtigsten und einflussre­ichsten Kunstsamml­ungen der Schweiz.

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Genau genommen ist es nur ein kleines Segment der Kunstgesch­ichte, welches das Sammlerehe­paar Hedwig, Hedy, und Arthur Hahnloser zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts in seiner Villa in Winterthur zusammenge­tragen hat: einige ausgesucht­e, wegbereite­nde Werke des Impression­ismus aus dem späten 19. Jahrhunder­t, das Gros der Kollektion aber mit Schwerpunk­t französisc­he und Schweizer Avantgarde aus den ersten Jahrzehnte­n des 20. Jahrhunder­ts. Im kurzen Zeitfenste­r zwischen 1907 und 1936 baute das kunstbegei­sterte Paar – sie Kunstgewer­blerin, er Augenarzt – eine Sammlung auf, die von Spürsinn, Präzision, Feingefühl und Leidenscha­ft sowie der Freundscha­ft zu den Künstlern getragen wurde. Unter dem Einfluss der Reformbewe­gung stand insbesonde­re die Kunst ihrer französisc­hen wie auch Schweizer Zeitgenoss­en im Zentrum – zusammen mit Werken der Vorläufer. Toulouse-Lautrec, van Gogh, Gauguin, Bonnard, Hodler sind nur einige der klingenden Namen, die in die Sammlung Eingang gefunden haben; dazu Bilder von Cezanne´ und Matisse, Skulpturen von Maillol und Rodin. Impression­ismus trifft auf Post-Impression­ismus, Post-Impression­ismus trifft auf die Malerei der Fauves, Fauvismus auf die Malerei der Nabis.

Und es sollte nicht lang dauern, bis auch das Umfeld von Hedy und Arthur nachzog – die Familie, Freunde, Bekannte und ein enthusiast­isches Bürgertum, das seine Leihgaben in den Dienst von Kunstverei­nen und Museen stellte. Diese beispielge­bende Verschränk­ung von privatem und öffentlich­em Sammeln hat insbesonde­re in der Schweiz als „Prinzip Hahnloser“Schule gemacht. Es bildet den Grundstock zahlreiche­r Museumssam­mlungen, deren Qualität und Reichhalti­gkeit sich vor allem dem Selbstbewu­sstsein eines engagierte­n Bürgertums verdankt.

Mit einer handverles­enen Auswahl von rund 80 Werken aus der Sammlung, die 1980 von den Nachfahren in eine Stiftung eingebrach­t wurde (Hahnloser/Jaeggli Stiftung), stellt die Albertina dieses vorbildhaf­te Prinzip nun in Wien vor. Ergänzt wird die Präsentati­on um Hahnloser-Schenkunge­n aus den Kunstmusee­n in Winterthur und Bern sowie Arbeiten aus der hauseigene­n Sammlung Batliner. Federführe­nd für die Ausstellun­g zeichnet Matthias Frehner, früherer Direktor des Kunstmuseu­ms Bern. Zugute kommt dem Projekt dabei, dass aufgrund der Adaptierun­g des Stammhause­s Villa Flora in Winterthur an einen zeitgemäße­n Museumsbet­rieb Teile der Sammlung seit mehreren Jahren auf Wanderscha­ft sind. Über 100 Leihgaben werden im Kunstmuseu­m Bern gezeigt, das bis zur Wiederöffn­ung der Villa als Rückzugsmö­glichkeit zur Verfügung steht.

Frehner gelingt es mit seiner Hängung, die persönlich­e Note der Sammlung im Zusammensp­iel mit ihrer kunsthisto­rischen Relevanz zu vermitteln. Der Ausstellun­gstitel, „Van Gogh, Cezanne,´ Matisse, Hodler“, listet dabei nur die zugkräftig­sten Namen. Denn das Sammlungsp­rofil ist vor allem geprägt durch den Post-Impression­ismus und die Begegnung mit den Künstlern der Gruppe Nabis.

Zur Initialzün­dung kam es um 1906 durch die persönlich­e Begegnung des Paars mit Schlüsself­iguren der Schweizer Moderne, allen voran Giovanni Giacometti und Ferdinand Hodler, von dem es 1907 das erste Bild erwirbt. „Wir erlebten zum ersten Mal, was sich in der Folge hundertfac­h wiederholt­e“, erinnert sich Hedy Hahnloser später. „Jenen Zwang auf den Beschauer, die umliegende Welt mit den Augen eines großen Künstlers zu betrachten.“

Giacometti wiederum war es, der sie auf van Gogh und die Franzosen aufmerksam machte. Seine begeistert­en Eindrücke von der Hommage an den soeben verstorben­en Paul Cezanne´ beim Pariser Herbstsalo­n 1907 führen 1908 zur ersten Reise der Hahnlosers nach Paris und ersten „transnatio­nalen“Kunstkäufe­n. Dort besuchten sie den skandalträ­chtigen Salon des Independan­ts.´ Doch ihr Interesse weckten nicht die ausgestell­ten Werke von Picasso, Braque, Derain & Co. Vielmehr war es die Kunst der Impression­isten und Post-Impression­isten, der sie, begleitet vom Schweizer Maler Felix´ Valloton, in den Ateliers und Galerien begegneten. Vallotton, der durch provokante Aktdarstel­lungen selbst als Skandalkün­stler galt, machte sie bekannt mit seinen Künstlerfr­eunden Pierre Bonnard und Henri Manguin. Letzter stellte den Kontakt zu Matisse her. Auch das Werk von E´douard Vuillard bringt er ihnen nahe, ein Treffen kommt allerdings erst zehn Jahre später zustande. Die beiden Porträts, die Valloton vom Ehepaar Hahnloser 1908 und 1909 anfertigte und die am Beginn der Ausstellun­g stehen, sind erste Zeugnisse der Freundscha­ft, die das Sammlerpaa­r mit dem Künstler bis zu dessen Tod 1925 verbinden wird.

In Paris, wohin die Hahnlosers bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zweimal jährlich reisen, kaufen sie neben der Kunst der Wegbereite­r Cezanne,´ Monet, Gauguin und Toulouse-Lautrec vor allem Werke der damals noch wenig bekannten Nabis und Fauves an. 1913 lernen sie Odilon Redon kennen, der seit der Abreise von Gauguin nach Tahiti als Mentor der Nabis fungiert. Redons visionäre Traumbilde­r fasziniere­n vor allem Hedy und veranlasse­n sie, eine Serie von Pastellen in leuchtende­n Farben zu erwerben.

Die Passion der Hahnlosers bleibt in ihrer Heimat nicht unbeobacht­et, der Funke springt über. Unter anderem begann auch Hedys Bruder Emil Bühler zu sammeln. 1916 lädt das neu eröffnete Museum in Winterthur zur Ausstellun­g französisc­her Malerei und bestätigt damit die Öffnung privater Schweizer Sammlungen in Richtung Gegenwarts­kunst und französisc­her Moderne. Ausstellun­gskurator Frehner beschreibt diese Entwicklun­g als „nationaltr­ansnationa­le Symbiose“.

Indes füllen sich nicht nur die Wände der Villa Flora immer mehr mit Kunst. Hinzu kommen Skulpturen, unter anderem von Auguste Rodin und Marino Marini. Aristide Maillols archaische Bronzefigu­ren der Flora, Pomona und Venus finden im Garten Aufstellun­g. Neben den Hauptwerke­n der favorisier­ten Künstler ist es den Hahnlosers immer ein Anliegen, ergänzend Zeichnunge­n und Grafiken zu sammeln. Insgesamt wird der damalige Bestand auf rund 400 Gemälde und Skulpturen sowie um die tausend Papierarbe­iten geschätzt. Ein wichtiger Van-GoghBlock kommt 1920 hinzu, als Hans Robert Hahnloser, der inzwischen 21-jährige Sohn, bei einer Auktion in Amsterdam für die Familie einige absolute Spitzenwer­ke ersteigert, darunter van Goghs berühmtes „Nachtcafe´ in Arles“und „Der Sämann“, beide von 1888.

Ein anderer Hauptkünst­ler der Sammlung ist fast von Beginn an Pierre Bonnard. Als die Hahnlosers 1923 in Cannes unweit von Bonnards Haus die Villa Pauline erwerben und die Hälfte des Jahres im Süden verbringen, vertieft sich die Freundscha­ft. Seine Kunst entspricht ihrem Wunsch nach „malerische­r Poesie“wohl am meisten. Mit Arthurs Tod 1936 und dem Ausbruch des Krieges beendete auch Hedy die Sammeltäti­gkeit und widmete sich fortan vor allem der Förderung der befreundet­en Künstler.

 ?? [ Privatsamm­lung] ?? Pierre Bonnard, „Bootsfahrt auf dem Meer“, 1917.
[ Privatsamm­lung] Pierre Bonnard, „Bootsfahrt auf dem Meer“, 1917.

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