Österreich tickt menschlicher. Noch
Gastkommentar. Was uns die aktuelle Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur erlaubten Sterbehilfe lehrt.
Ob die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur geschäftsmäßigen Suizidhilfe vom vergangenen Aschermittwoch tatsächlich Rückenwind für eine Etablierung der Sterbehilfe in Österreich bringt, wie Philipp Aichinger in seinem Artikel („Die Presse“v. 26. 2. 2020) schreibt, wird sich weisen.
Zwingend ist das nicht. Im Gegenteil. Denn entgegen den etwas zu euphorischen Reaktionen interessengebundener Rechtsvertreter ist die Rechtslage in Deutschland und Österreich eben nicht vergleichbar. Dennoch ist das Urteil des deutschen Höchstgerichts auch für Österreich relevant. Weil es in seiner Begründung und Logik gleich mit mehreren Illusionen aufräumt.
Zur ersten Illusion: Eine einmal zugestandene Beihilfe zur Selbsttötung lasse sich eingrenzen. So ist etwa Spanien kurz davor, die Beihilfe zum Suizid wie auch die Tötung auf Verlangen einzuführen. Freilich (erstmals) nur für schwerstkranke, unter unzumutbaren Schmerzen leidende Personen. Belgien und die Niederlande haben auch so begonnen. Mittlerweile sind an Demenz Erkrankte, Minderjährige und psychisch Kranke umfasst. In der Schweiz darf die Sterbehilfe auch Gefangenen angeboten werden. Und in Kanada kann man mit seinem selbstbestimmten Tod gleich etwas „Gutes“tun und den Suizid mit einer Organspende kombinieren.
Nach langer Diskussion
Auch Deutschland wollte nach langer Diskussion die Beihilfe zum Suizid auf die bloß freiwillige kostenlose Hilfe durch nahestehende Personen beschränken. Geht nicht, sagt nun das Höchstgericht.
Das deutsche Grundrecht sieht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht vor, und dieses würde auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfassen. Und zwar völlig bedingungslos. Wer wie das deutsche Höchstgericht davon ausgeht, dass das Recht, sich selbst zu töten, sich unmittelbar von der Menschenwürde ableite, der darf dieses „Recht“natürlich auch an keine Bedingungen knüpfen, sondern muss diese Entscheidung „ohne weitere Begründung oder Rechtfertigung“als einen „Akt autonomer Selbstbestimmung“respektieren. Damit wird jegliche Suizidprävention ad absurdum geführt, worüber selbst vorsorglich geschaltete Hinweise auf Telefonseelsorge und Hilfe bei Suizidgedanken nicht hinwegtäuschen können.
Was für Österreich aber ganz zentral ist: Österreich kennt ein derartiges allgemeines Persönlichkeitsrecht, wie es das Deutsche Bundesverfassungsgericht interpretiert, nicht. Österreich stützt sein verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht direkt auf die entsprechenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und die dazugehörige Judikatur