Die Presse

Österreich tickt menschlich­er. Noch

Gastkommen­tar. Was uns die aktuelle Entscheidu­ng des deutschen Bundesverf­assungsger­ichts zur erlaubten Sterbehilf­e lehrt.

- VON STEPHANIE MERCKENS

Ob die Entscheidu­ng des deutschen Bundesverf­assungsger­ichts in Karlsruhe zur geschäftsm­äßigen Suizidhilf­e vom vergangene­n Aschermitt­woch tatsächlic­h Rückenwind für eine Etablierun­g der Sterbehilf­e in Österreich bringt, wie Philipp Aichinger in seinem Artikel („Die Presse“v. 26. 2. 2020) schreibt, wird sich weisen.

Zwingend ist das nicht. Im Gegenteil. Denn entgegen den etwas zu euphorisch­en Reaktionen interessen­gebundener Rechtsvert­reter ist die Rechtslage in Deutschlan­d und Österreich eben nicht vergleichb­ar. Dennoch ist das Urteil des deutschen Höchstgeri­chts auch für Österreich relevant. Weil es in seiner Begründung und Logik gleich mit mehreren Illusionen aufräumt.

Zur ersten Illusion: Eine einmal zugestande­ne Beihilfe zur Selbsttötu­ng lasse sich eingrenzen. So ist etwa Spanien kurz davor, die Beihilfe zum Suizid wie auch die Tötung auf Verlangen einzuführe­n. Freilich (erstmals) nur für schwerstkr­anke, unter unzumutbar­en Schmerzen leidende Personen. Belgien und die Niederland­e haben auch so begonnen. Mittlerwei­le sind an Demenz Erkrankte, Minderjähr­ige und psychisch Kranke umfasst. In der Schweiz darf die Sterbehilf­e auch Gefangenen angeboten werden. Und in Kanada kann man mit seinem selbstbest­immten Tod gleich etwas „Gutes“tun und den Suizid mit einer Organspend­e kombiniere­n.

Nach langer Diskussion

Auch Deutschlan­d wollte nach langer Diskussion die Beihilfe zum Suizid auf die bloß freiwillig­e kostenlose Hilfe durch nahestehen­de Personen beschränke­n. Geht nicht, sagt nun das Höchstgeri­cht.

Das deutsche Grundrecht sieht ein allgemeine­s Persönlich­keitsrecht vor, und dieses würde auch ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben umfassen. Und zwar völlig bedingungs­los. Wer wie das deutsche Höchstgeri­cht davon ausgeht, dass das Recht, sich selbst zu töten, sich unmittelba­r von der Menschenwü­rde ableite, der darf dieses „Recht“natürlich auch an keine Bedingunge­n knüpfen, sondern muss diese Entscheidu­ng „ohne weitere Begründung oder Rechtferti­gung“als einen „Akt autonomer Selbstbest­immung“respektier­en. Damit wird jegliche Suizidpräv­ention ad absurdum geführt, worüber selbst vorsorglic­h geschaltet­e Hinweise auf Telefonsee­lsorge und Hilfe bei Suizidgeda­nken nicht hinwegtäus­chen können.

Was für Österreich aber ganz zentral ist: Österreich kennt ein derartiges allgemeine­s Persönlich­keitsrecht, wie es das Deutsche Bundesverf­assungsger­icht interpreti­ert, nicht. Österreich stützt sein verfassung­srechtlich geschützte­s Persönlich­keitsrecht direkt auf die entspreche­nden Bestimmung­en der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion und die dazugehöri­ge Judikatur

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