Das Wasser ist sauber, doch die Fische sind rar
Ökologie. Vom Reiher über den Angler bis zum Kraftwerk wurden die Stressfaktoren für Fischpopulationen in Nord- und Südtirol untersucht: Einzelfaktoren sind weniger belastend als die Summe der Einflüsse des Menschen auf die Gewässer.
Wo kann man gut angeln in den Tiroler Bergen? Mit dieser Frage von Erich Tasser, Ökologe am Südtiroler Forschungsinstitut Eurac, an Wolfgang Mark, Zoologe der Uni Innsbruck, entstand bei einem Uni-Fest die Idee für das aktuelle Projekt. Mark antwortete, dass er Gegenden empfehle, die naturbelassen sind, und von Gewässern in der Nähe von Industrie oder intensiver Landwirtschaft abrate.
Nüchtern betrachtet, am Tag nach dem Fest, erkannten die Forscher, dass es im alpinen Raum keine Daten dazu gab, wie sich die Nutzung des Umlandes (Industrie, Landwirtschaft, Siedlungsraum) und der menschliche Einfluss auf den Fischbestand auswirken.
Nach langer Mühe in der Bewilligungsphase konnte das Team der Uni Innsbruck und der Südtiroler Eurac 2018 die erste große Datenerfassung starten: Welche Eingriffe der Menschen wirken sich in welcher Weise auf inneralpine Populationen der Fische aus?
„Erstaunlich war zunächst, dass wir gar keinen Bach ohne menschlichen Einfluss fanden: Sogar der als Referenzpunkt gewählte Rosannabach über 2000 Metern war abschnittsweise verbaut“, sagt Wolfgang Mark. Die 81 Testgebiete erstreckten sich von der alpinen „Forellenregion“, Gebirgsbächen bis zur oberen Waldgrenze, wo Bachforellen die wichtigsten Fische sind, bis zur talwärts liegenden „Äschenregion“, in der die Äsche die tonangebende Fischart sein sollte.
Alle Gewässer, egal ob direkt in einer Siedlung oder weit weg von der „Zivilisation“, wurden entsprechend der Wasserrahmenrichtlinien mit Elektrofischerei beprobt, um das Vorkommen der Arten, deren Anzahl und Biomasse sowie ihre Fortpflanzungsmöglichkeiten zu erfassen. Die Daten zeigen, dass die Biomasse (kg/Hektar) durch den Einfluss der Menschen in den vergangenen Jahren stark abgenommen hat. „Die Wasserchemie wurde an allen Probenstellen erhoben, kein Wert lag über den vorgegebenen Schwellwerten. Bei Klärwerken wurde zusätzlich gezielt auf hormonaktive Substanzen geachtet“, sagt Mark. Bei der Untersuchung der Fische (Koppen) ober- und unterhalb von Klärwerken gab es Hinweise auf das aus der Literatur bekannte Phänomen, dass Fischmännchen durch die Hormonbelastung der Gewässer verweiblichen. Hormonaktive Substanzen können durch Waschmittel oder Arzneien wie die Antibabypille in Gewässer gelangen und bei Fischen die Eiproduktion bzw. Spermienreifung hemmen. „Die von uns eigens entwickelten Untersuchungsmethoden zeigten hier einen geringen Einfluss auf die Fischpopulation“, sagt Mark.
Kraftwerke als Belastung
Eindeutig hingegen war der Einfluss der Wasserkraftwerke. Wenn Wasser aufgestaut und als Schwall durch die Turbinen nach unten entlassen wird, kommt es zu unnatürlichen Pegelschwankungen: „Überall, wo bestimmte Grenzwerte überschritten werden, kommt es zu einer Ausdünnung oder im Extremfall zum Verschwinden von Fischarten. Besonders betroffen ist die Äsche, deren Bestandssituation teilweise sehr besorgniserregend ist.“Auch die Restwasserproblematik war Teil des Projekts, also die Frage, wie viel Restwasser unterhalb eines Kraftwerks erhalten bleiben muss, um die Fauna zu schützen. In Südtirol gibt es beispielsweise Kraftwerke mit null Restwasser.
„Auch hier wurde ein eigenes Modell entwickelt, das Defizite und Überschüsse im Wasserhaushalt erkennbar macht“, sagt Mark. Eine hohe Strukturvielfalt im Gewässerlauf mit wenig Verbauung am Ufer kann die negativen Folgen von Wasserkraft teilweise abpuffern. Das wichtigste Ergebnis, sagt Mark, ist, dass kein Faktor allein die Fischpopulation bestimmt, es ist immer die Summe aller Einflüsse, die ein Gewässer belastet oder entlastet. An manchen Stellen sind Kormorane und Graureiher als natürliche Fressfeinde ein Problem, aber diese wiegen nicht schwerer als der menschliche Fressfeind, der mit der Angelrute kommt.
Da fällt die Bewirtschaftung des Gewässers mehr ins Gewicht: Um Mitglieder mit einer Angelkarte zufriedenzustellen, werden Gewässer oft mit großen Mengen Fischen „besetzt“, was die natürliche Fauna durcheinanderbringt.
Immerhin fanden die Forscher keine Hinweise auf sinkende Zahlen an Insekten: An allen Teststellen gab es für die Fische noch genug Insektenlarven als Nahrung.
Die Ergebnisse sollen nun Behörden helfen zu erkennen, welche Maßnahmen im Gewässerund Umweltmanagement an welcher Stelle sinnvoll sein können.