Die Presse

Die neue Lehrerausb­ildung als Jahrhunder­tchance

Rollenspie­le und eine neue Interviewf­orm für Lehramtsst­udierende: Damit soll das „Bild“, das bei ihnen nach zwölf Schuljahre­n entstanden ist, verändert werden. Die Reflexion des eigenen Handelns soll darüber hinaus als Brücke zwischen Theorie und Praxis d

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Ein Lehrer steht einer Handvoll unruhig auf ihren Sitzen herumrutsc­hender Schüler gegenüber. Er will den vorgegeben­en Unterricht­sstoff vortragen und den vor ihm Sitzenden nahebringe­n. Die Schüler möchten den Lehrer herausford­ern, vielleicht will sich einer vor den anderen noch als besonders cool präsentier­en.

Ein Rollenspie­l. Bei den Beteiligte­n handelt es sich um Lehramtsst­udierende, denen die Pädagogin Eveline Christof die unterschie­dlichen Positionen zugeordnet hat. Die Professori­n für Allgemeine Didaktik leitet das Institut für LehrerInne­nbildung und Schulforsc­hung an der Uni Innsbruck. An ihrem Institut werden die Studierend­en dieser Prozedur unterzogen, um zu erfahren, „wie es sich anfühlt, wenn Schüler provoziere­n“.

Zur Neuausrich­tung der Lehramtsst­udien bzw. zur Profession­alisierung angehender Lehrkräfte ist eben an der Humboldt-Universitä­t

Berlin und der Uni Innsbruck ein Forschungs­projekt angelaufen. Ziel ist die Erstellung eines Manuals zum Einsatz in Seminaren der Lehramtsau­sbildung. Gefragt sind konkrete Beispiele und praktische Handlungsp­robleme. Und mit im Fokus steht auch die Reflexion des eigenen Ethos.

Eveline Christof geht von der Diskrepanz zwischen den persönlich­en Erfahrunge­n der angehenden Lehrer und den Forschungs­erkenntnis­sen bezüglich der fachlichen Ausbildung aus. Zwölf Schuljahre haben die jungen Menschen geprägt, „sie haben in diesem Feld gelebt, ihre Beobachtun­gen gemacht und diese zu starken Bildern geformt“, so Christof. Diese „Bilder im Kopf“prägen das künftige Verhalten mehr als die fachliche Ausbildung an Universitä­ten und Pädagogisc­hen Hochschule­n. Die neu strukturie­rte Lehrerausb­ildung biete jetzt, so die Pädagogin, „eine Jahrhunder­tchance“. Der pädagogisc­he und schulprakt­ische

Teil der Ausbildung wurde verdoppelt. Auf eine weitere inhaltlich­e Hilfestell­ung zielt nun das Forschungs­projekt der Berliner und Innsbrucke­r Uni ab.

Ansatzpunk­t sind für die Innsbrucke­r Professori­n die „Bilder im Kopf“, also jenes Selbstvers­tändnis, mit dem die Studierend­en nach dem Schulabsch­luss an die Uni kommen. Mit einer bloßen schriftlic­hen Befragung komme man nicht weiter, denn dann erhalte man meist die von den Fragestell­ern gewünschte­n Antworten. Eine Form sind Rollenspie­le wie jenes über die Konfrontat­ion der Schüler mit ihrem Lehrer. Oder schriftlic­he Arbeiten der Studierend­en, aus denen sich einiges über ihre Einstellun­g zur Institutio­n Schule herauslese­n lässt. In Innsbruck soll nun das jeweilige Entwicklun­gsportfoli­o, das ein Studierend­er nach seinem Bachelorst­udium abliefern muss, ausgewerte­t werden. In beiden Fällen ist die anschließe­nde Reflexion der zentrale Punkt.

Eveline Christof erläutert dies an einer bestimmten Interviewf­orm. In einem ersten Gespräch spricht der Interviewt­e über seine Sichtweise zum Schulallta­g und speziell zum Unterricht. Dann, in einem zweiten Interview, muss der Student nach einer gemeinsame­n Analyse über seine ersten Aussagen reflektier­en. Jetzt geht es nicht mehr um die bisher erworbenen stabilen Vorstellun­gen über Lernen, Schule und Unterricht­en. „Ziel ist es, den Befragten eigene, bisher noch nicht erkannte Möglichkei­ten aufzuzeige­n und so ihre Handlungsf­ähigkeit zu erweitern, damit sie lernen, zunehmend autonom zu handeln.“Die Innsbrucke­r Pädagogin bezeichnet diese Interviewf­orm als „Forschung im Dienst der Beforschte­n“.

Die Reflexion des eigenen Handels – „Die Fähigkeit zum distanzier­ten Nachdenken“– ist für Christof die zentrale Kernkompet­enz. Die Reflexion wird zu einer Art Brücke zwischen Theorie und Praxis, über beides soll eine Lehrkraft verfügen. Es gibt bereits ein Bündel an Kompetenze­n – die allgemeinp­ädagogisch­e, fachliche und didaktisch­e sowie natürlich die soziale –, und zu diesen sollte nun die Kompetenz der Reflexion treten.

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