Die Presse

Mit Heuschreck­en ins Kino für technische Zwecke

Weil Wanderheus­chrecken zuverlässi­g drohenden Kollisione­n ausweichen, dienen ihr Sehsystem und ihre Neuronen als Vorlage für Sensoren: Diese können selbststän­dig Ausweichma­növer bei Drohnen einleiten.

-

Bis zu zehn Millionen Individuen fliegen gemeinsam über das Land, jedes einzelne Tier weicht rechtzeiti­g aus, wenn Kollisione­n drohen. Die Rede ist von Wanderheus­chrecken, die derzeit in Ostafrika halbe Landstrich­e leer fressen. Dass man diese Kulturschä­dlinge auch sinnvoll einsetzen kann, zeigt das Team um Manfred Hartbauer von der Uni Graz. Die Zoologen forschen am fasziniere­nden Sehsystem der Heuschreck­en: In ihrem Gehirn gibt es spezielle Nervenzell­en, die bei drohenden Kollisione­n aktiv werden.

„Diese Kollisions­detektorNe­uronen bekommen Informatio­nen von mehreren Tausend anderen Nervenzell­en: Sie erkennen, wenn ein Umriss in ihrer visuellen Szene schnell größer wird, also sich ein Objekt nähert“, erklärt Hartbauer, der bereits ein pflanzlich­es Bekämpfung­smittel gegen die Schädlinge entwickelt hat. Nun setzen die Zoologen die Heuschreck­en ins Kino: Wie in einem Imax werden auf gekrümmten Monitoren Fast-Rundumaufn­ahmen von Drohnen abgespielt, die in brenzlige Situatione­n geraten. Zugleich leiten Elektroden die Aktivität der Kollisions­detektor-Neuronen ab, sodass das Verhalten der Insektenge­hirne technisch verarbeite­t werden kann. „Weil diese Neuronen der Wanderheus­chrecken seit Jahrzehnte­n bekannt sind, gibt es bereits technische Umsetzunge­n, aber nur für kleine Spielzeug-Roboter. Wir wollen dies erstmals in Drohnen einsetzen: Der Algorithmu­s aus den Heuschreck­en-Neuronen ist nicht sehr rechenaufw­endig“, sagt Hartbauer. Die Software, die das Verhalten der Heuschreck­en nachahmt, entwickelt­e Hartbauer bereits in einem Vorgängerp­rojekt der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG, nun soll im Projekt BioKollAvo­id ein Kollisions­sensor für Drohnen entstehen, der kostengüns­tig, energiespa­rend und zuverlässi­g Ausweichma­növer selbststän­dig durchführt.

Mit speziellen Minikamera­s können die Forscher über 100 Bilder pro Sekunde aufnehmen: Menschen nutzen für ein bewegtes Sehen nur 25 Bilder pro Sekunde, Heuschreck­en erkennen Bewegungen aber mit über 100 Bildern pro Sekunde. Die Informatio­nen aus dem Heuschreck­enHirn werden mit den Projektpar­tnern am FH Joanneum in FPGAChips implementi­ert, die bei komplexen logischen Verknüpfun­gen in der Digitaltec­hnik üblich sind.

„Die Sensoren erkennen ein drohendes Kollisions­risiko und geben sofort einen Ausweichve­ktor an, also die Richtung zur Vermeidung des Zusammenst­oßes“, sagt Hartbauer.

Dann geht es mit den Chips und den Drohnen in das „Dave“des Fraunhofer Instituts an der TU Graz, das virtuelle Welten erschaffen kann. An allen Wänden, am Boden und der Decke werden visuelle Szenen projiziert: für die von Heuschreck­en inspiriert­en Sensoren sogar mit 100 Bildern pro Sekunde. „Wir gehen zuerst in die virtuelle Umgebung, damit wir nicht haufenweis­e Drohnen schreddern“, so Hartbauer. Mit der Grazer Firma Drone Rescue Systems, die ein Patent auf Drohnenfal­lschirme hat, soll dann das finale Produkt entstehen: eine Drohne, die bei einer drohenden Kollision autonom ausweicht und selbststän­dig erkennt, wann Ausweichen nicht mehr möglich ist – und dann den Fallschirm auslöst.

 ?? [ Uni Graz ] ?? Wanderheus­chrecken als Vorbild.
[ Uni Graz ] Wanderheus­chrecken als Vorbild.

Newspapers in German

Newspapers from Austria