Die Presse

Kein Halbdezi nirgends

Expedition Europa: Alojz Hlina will die Christdemo­kraten zurück ins slowakisch­e Parlament bringen.

- Von Martin Leidenfros­t

Die Christdemo­kraten der KDH flogen 2016 aus dem slowakisch­en Parlament, bei der Wahl am 29. Februar will sie ihr unkonventi­oneller neuer Chef Alojz Hlina zurückbrin­gen. Da Hlina aus der Nordregion Orava stammt, ist das eine Reise in den Herrgottsw­inkel der Slowakei, und da Hlina mehrere große Gastwirtsc­haften innehat, zu den Nationalgü­tern der Slowakei. Diese sind: 1. schwarze Holzhäuser („zruby“), 2. aus walachisch­er Hirtentrad­ition herrührend­e Almwirtsch­aften („sala´s“),ˇ 3. das Nationalge­richt Brimsennoc­ken („halusky“),ˇ 4. der reiche Schatz an Volksliede­rn („ludovky“), von denen allein Bela´ Bartok´ 3200 gesammelt hat und 5. das Ausschenke­n von Schnaps a` 50 Milliliter. Im westlichst­en Schnapstri­nkerland Europas kommt diesem „Halbdezi“(„poldecak“)´ nationalmy­thische Bedeutung zu. Es ist jedoch kaum zu kriegen, um den EU-Beitritt herum reduzierte­n fast alle Lokale auf 40 Milliliter.

Wer das alles will, wird wie ich Hlinas Stammgast im Wald bei der Bratislava. Das Wirtshaus seiner „Biofarm“befindet sich 1. in einem aus Orava transferie­rten Holzhaus, bildet 2. eine Almwirtsch­aft mit Weiden, serviert 3. die besten Brimsennoc­ken, spielt 4. ausschließ­lich Volksliede­r und ist 5. dem Halbdezi unverbrüch­lich treu. Neulich verhakte sich dort eine freilaufen­de Geiß in unserem leeren Kinderwage­n. Meine halbslowak­ische Tochter rief noch lange: „Geiß!“

„Kreuzigt mich, verbrennt mich!“

Während die Linie des Wirten Hlina klar ist, wirkt der Politiker desorienti­ert. Die kleptokrat­ische „Smer-Sozialdemo­kratie“wird am Samstag wohl abgewählt, kompromitt­iert durch ihre Nähe zum Auftraggeb­er des Journalist­enmords von 2018. In der nächsten Regierung wird mit der KDH gerechnet, doch ist das Nehmen der Fünf-Prozent-Hürde erneut ungewiss. Interviewe­r machen sich einen Spaß draus, Hlina die zehn Gebote aufsagen zu lassen, die er nicht beherrscht. Der wüste Ex-Aktivist ruft dann entnervt aus: „Kreuzigt mich, verbrennt mich!“

Hlina wuchs im Orava-Städtchen Na-´ mestovo auf. Der zugehörige Bezirk schlägt Rekorde, wenn es um Messbesuch, KDH-Wählen und das Vermeiden von Scheidunge­n geht. Das typische Orava-Haus ist riesig, schnörkell­os und sieht aus wie das vom Nachbarn. Schön ist Na-´ mestovo nicht, zwei Drittel wurden bei der Errichtung des Orava-Stausees überflutet, dafür hat es etwas Badetouris­mus im Sommer und von der Hohen Tatra abfallende­n Wintertour­ismus. Ehrenrühri­ges über den KDH-Obmann höre ich nicht. Er frequentie­rt die Beisl seiner Heimatstad­t.

Die Gastronomi­e von Namestovo´ überragt er überhaupt um Köpfe: 1. Gibt es keine Holzhäuser in der überflutet­en Stadt, 2. setzt die Almwirtsch­aft außerhalb auf das wahre slowakisch­e Nationalge­richt, auf fünf Varianten von Hühnerbrus­t, 3. sind die Haluskyˇ im zweiten empfohlene­n Restaurant ein auf schmalzget­ränktem Wasser schwimmend­er Sterz, 4. werden keine Volksliede­r gespielt und 5. kein Halbdezi nirgends.

Obwohl dieser Winter warm ist, ist der Stausee zugefroren, und das trägt zu einer fast schon mondänen Atmosphäre in den Bars am Stausee bei. Dass dies eine der frommsten Gegenden Europas ist, fiele einem hier nicht ein; hingegen fallen mir – bei Tag und bei Nacht, manchmal mit Kind, immer ohne Mann – unabhängig­e Slowakinne­n auf, die Jahre mit der Pflege ihres Äußeren zugebracht haben müssen. Spät am Abend dann ein Schnapsmas­saker wie in alten Zeiten, drei Deutsche im „Port Club“mit der slowakisch­en Kollegin. Damit der Chef begreift wie schwer sie es im Büro

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