Lust und Leid Schreibender
Volker Hages Autorenporträts von Samuel Beckett über Peter Handke bis Christa Wolf.
Nach vielen Jahren als Literaturkritiker bei der „FAZ“, der „Zeit“und – zuletzt vor allem – beim „Spiegel“trat der gebürtige Hamburger Volker Hage vor fünf Jahren mit einem Roman über die freie Liebe (2015) sowie einem einfühlsamen, romanhaften Altersporträt Arthur Schnitzlers („Des Lebens fünfter Akt“, 2018) an die Öffentlichkeit. Nun setzt der Autor seine Karriere mit einer essayistischen Sammlung mit 21 Schriftstellerporträts fort. Wer sich für Biografien interessiert, die nicht nur Neues bringen, sondern auch Lesegenuss vermitteln, liegt mit Hages blassblauem Notizbuch richtig.
Bei den Porträts von zwei Autorinnen und 19 Autoren handelt es sich keineswegs um aufgewärmte Artikel, sondern um eine homogene Werk- und Lebensschau. Angesichts dieses ungleichen Geschlechterverhältnisses wird ihm niemand „Mansclaiming“vorwerfen. Aber zum einen bleibt die Auswahl der Schreibenden das exklusive Recht des Autors, zum anderen kann es auch sein, dass Schriftstellerinnen sich seltener für persönliche Treffen zur Verfügung stellen wollten als jene Zeitgenossen (Handke, Koeppen, Walser), die sich Hage von Angesicht zu Angesicht vornehmen konnte. Im Falle von Franz Kafka, Thomas Mann und Samuel Beckett ging sich das nicht mehr aus, hier folgte Hage Sekundärquellen oder traf seinerseits Biografen wie Reiner Stach zu Interviews.
Halten wir kurz bei jenen Autoren inne, die Hage persönlich interviewte, und von denen er Intimes erfuhr. Der Leser erfährt Amüsantes über Wolfgang Koeppens Schreibhemmung, dessen Luftschloss-Projekte, mit denen er Verleger Unseld täuschte und den Versuch des 81-Jährigen, sich durch eine verlagsseitig bezahlte Kreuzfahrt nach Ostasien inspirieren zu lassen.
Handkes Modefehlgriff
Hage entlarvt auch die „Legenden“, etwa Koeppens Opferrolle im Zweiten Weltkrieg. Ebenso aufschlussreich sind seine Ausführungen zu Handke, deren Authentizität klar zutage liegen. Als er den Autor das erste Mal zu einem Interview traf, trug der Griffener ein rotes Hemd unter dem obligaten blauen Sakko. Was man als Modefehlgriff brandmarken könnte, gefiel dem gebürtigen Kärntner besonders, als ihm Hage einen Fotoabzug sandte, der ihn samt Nachwuchs zeigte. Damals war Handkes erste Tochter Amina (geboren 1969) noch ein Kleinkind, später sagte sie über den Vater: „Er hat es trainiert!“– und meinte damit die Kränkung anderer Menschen. Hage verschweigt die dunklen Seiten des Nobelpreisträgers nicht, aber er nähert sich dessen Werk differenziert und kundig. Er listet auch die beachtliche Dichte und Quantität der Handke’schen „Versuche“auf und rezensiert nebenbei die Biografien von Pichler, Herwig und Höller.
Die Vielfalt der Darstellungsweise und der -ebenen ist typisch für den Reich-Ranicki-Schüler, wobei Hage den verstorbenen Doyen in einem Interview für den bayerischen Rundfunk seinen „Chef“nannte. Seither ist er selbst in dessen Fußstapfen weitergeschritten und hat sich einen guten Namen gemacht. Hage meidet Sensationshascherei und ist stets bemüht, ein faires und gerechtes Gesamturteil abzugeben, das sich nicht an einzelnen Wutbriefen, harmonischen Restaurant-Erlebnissen, offenkundigen Charaktermängeln oder einmaligen Ausrutschern orientiert. Seine Porträts haben eines gemein: Sie sind amüsant zu lesen, und es handelt sich dabei um Texte voller Leichtigkeit, die Lust und Leid der Schreibenden ausloten.