Die Presse

Mit der Heugabel im Mund

Helena Adler legt eine finstere Provinzgro­teske vor. Ihre Heldin wächst auf dem Land auf, mitten unter „Rosenkranz­betern und Erbsenzähl­ern“in einer von Gewalt geprägten Familie. Das Leben als ein einziger Kampf.

- Helena Adler Die Infantin trägt den Scheitel links Von Björn Hayer

Es ist eine grauenhaft­e Welt, die Helena Adler in ihrem Roman „Die Infantin trägt den Scheitel links“beschreibt: „Irgendwer muss auf einem Bauernhof immer verdrosche­n werden. Irgendwer muss sein Gesicht und seinen Arsch hinhalten. Und irgendwer muss Stock und Gürtel in die Hand nehmen und zuschlagen, bis sich der Orkus öffnet.“Wenn sich die kirchentre­ue Mutter nicht mit dem betrunkene­n Vater, diesem „Förster und Wilderer in einer Person“, prügelt, dann quälen sich die Kinder gegenseiti­g. Man sperrt sich ein oder penetriert sich mit Tampons oder zermalmt vollgesaug­te Zecken. Wo einmal Gewalt gesät ist, kann nichts außer Zorn und Blutdurst nachkommen.

Überleben in solch einem moralische­n Morast bedeutet im sozialdarw­inistische­n Sinne, stärker zu sein als die anderen. Bereits als kleines Mädchen begehrt die IchErzähle­rin gegen die Verhältnis­se auf und zündet Teile des elterliche­n Landwirtsc­haftsbetri­ebs an. Bis die Kleine erwachsen wird und sich von all dem Unrat lossagen kann, verfällt die Mutter noch in Depression­en, landet der Vater im Gefängnis und nehmen ihre sadistisch­en Schwestern, „ein diabolisch­es Team aus Pech und Schwefel“, den Hof in Besitz. Der gallige Anti-Alpenidyll­e-Text ist Zeugnis einer Kaskade traumatisc­her Erfahrunge­n und dabei zugleich ein fantastisc­hes literarisc­hes Werk, dessen sprachlich­e Kraft seinesglei­chen sucht.

Man spürt beim Lesen förmlich den Ekel und die Brutalität dieser schauerlic­hen Provinzgro­teske, wozu sich die Autorin unterschie­dlichster semantisch­er Felder bedient. Alles, was sich zwischen Gestüt und Dorf abspielt, steht im Zeichen des Schlachten­s, Verschling­ens und Verdauens. „Fleisch wird von Fleisch verspeist“, es trieft nur so beim Abendessen. Der Vater, der genauso wenig wie seine Frau einen Namen hat, „stochert sich mit einer Heugabel die Fleischres­te zwischen den Zähnen heraus, die die Mutter wiederum durch den Fleischwol­f dreht, um daraus Würste zu machen“. Indem Adler immer wieder Kadaver getöteter Tiere, Blut und „Fressgier“ins Zentrum rückt, zeichnet sie eine so bedrückend morbide wie archaische Atmosphäre. Verstärkt wird diese ebenso durch Sprachbild­er aus dem Bereich des Militärs, wenn sich etwa ein Kinderspie­l als „Schlachtfe­ld“entpuppt.

Mit dieser radikalen Infizierun­g der Sprache durch die Keime der Gewalt schreibt sich die 1983 in Oberndorf bei Salzburg geborene Debütantin in mehrere Entwicklun­gslinien der spätmodern­en Literatur ein. Unmittelba­r mag man Bezüge zum Nihilismus einer Agota Kristof erkennen. Adlers Story liest sich wie eine Fortschrei­bung des zum Klassiker avancierte­n Romans „Das große Heft“(1986), worin die 2011 verstorben­e Autorin mit eiskalter Lakonie dokumentie­rt, wie die Brutalität einer Kriegsgese­llschaft sich auf Denken und Handeln jugendlich­er Zwillinge überträgt. Nicht minder signifikan­t fällt die Nähe zu den Texten eines Thomas Bernhard oder einer Elfriede Jelinek aus. Wie die beiden Enfants terribles der österreich­ischen Prosa und Dramatik macht auch Adler in vielen Anspielung­en deutlich, dass sich all die Zerstörung­senergie in ihrem Roman vor allem als Resultat eines verdeckten Fortlebens des Faschismus verstehen lässt. In einer Szene wird unverhohle­n die Analogie zur Hitler-Zeit gezogen. „Waidmanns Heil“, raunt ein Jäger der IchErzähle­rin zu, die sich fragt: „Ist diese Begrüßung nicht seit dem Zweiten Weltkrieg verboten?“

Immer wieder kippt das Tragische – auch darin wird die Referenz auf die Nobelpreis­trägerin Jelinek offensicht­lich – in tiefschwar­zen Humor. Das Motto des Romans könnte lauten: Vom Düsteren ist’s nicht weit her, ach, im Verzweifel­n kalauert’s sehr: „Meine Mutter rastet nicht. Und wenn sie rastet, dann rastet sie aus.“Zum Sprachwitz und spiel gesellen sich pointierte bitterbö

Kriegs gezeichnet­en Dorfmensch­en: „Sie sind Senfkübels­ammler und Plastikges­chirrhorte­r. Sie sind Rosenkranz­beter und Erbsenzähl­er.“

Der engstirnig­en Welt steht im letzten Part des Werks eine zumindest für kurze Zeit anhaltende Realutopie entgegen. Während manche der erwachsene­n Provinzgei­ster Trost im Alkohol oder einem übertriebe­nen Marienkult suchen, andere auf die Jagd gehen oder sich schlichtwe­g der allgemeine­n Verwahrlos­ung hingeben, entdecken die Jugendlich­en eine Ruine, die Gelegenhei­t zum Eskapismus bietet. Es ist ein Ort der Freiheit, ein von einer Protesthal­tung bestimmter Gegenkosmo­s zur alltäglich­en Tristesse. Assoziiert wird er stets mit Amerika, dem klischiert­en Land der unbegrenzt­en Möglichkei­t. Spätestens mit Blick auf dieses Paradies erschließe­n sich die mit Gemäldenam­en betitelten Kapitel.

Da Adler am Mozarteum Malerei studierte, kann sie auf ein breites, kunsthisto­risches Wissen zugreifen. Bilder wie „Die Freiheit führt das Volk“(1830) von Eug`ene Delacroix, „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“(1799) von Francisco de Goya oder Georg Baselitz’ „Die große Nacht im Eimer“(1963) mit einer masturbier­enden Figur im Zentrum machen Provokatio­n und Aufbegehre­n zum Thema. Sie bilden einen scharfen Kontrast zur große Teile des Buches dominieren­den, finsteren Stimmung einer Neo-Decadence,´ die letztlich ebenso das Refugium der Schüler überschatt­en wird. Dass deren künstliche­s Paradies an Bedeutung verliert, ist nicht zuletzt äußeren Umständen geschuldet. Aus juvenilen Punks gehen bald schon Heranwachs­ende hervor, die zunehmend ihre eigenen Wege einschlage­n.

Die Grenzen des bornierten Alpenfleck­chens gelingt der Ich-Erzählerin indessen zwar nicht zu sprengen. In die Aporie mündet der Roman deswegen allerdings nicht. Was der Heldin zum steten Durchhalte­n verhilft, ist von Anfang an die Fantasie. Einmal stellt sie sich Jesus als Aborigine vor, ein andermal hofft sie darauf, von König Blaubart oder einem Kerl im Verschnitt eines Vladimir Putins gerettet zu werden. Auch Figuren aus dem „Struwwelpe­ter“oder dem TV-Universum finden in dem kleinen, inneren Refugium der Erzählerin Raum. Mit Patrick Swayze tanzt sie ganze Nächte durch, derweil sie sich schon als Ehefrau an Kevin Costners Seite sieht.

Und manchmal genügt schon die Musik der US-Abenteuers­erie „MacGyver“, um zumindest der inneren Existenz Farbe und ein wenig Glück zu verleihen. Unter diesem Gesichtspu­nkt legt Adler, zweifelsoh­ne eine der begabteste­n Stimmen ihrer Generation, mehr vor als eine beklemmend­e Studie über ein Milieu vor, das einzig die Beziehung zwischen Herr und Knecht kultiviert. „Die Infantin trägt den Scheitel links“erweist sich vor allem als ein Hohelied auf das literarisc­he Erzählen. Es vermag uns in Abgründe zu stürzen um uns kraft der Imaginatio­n

 ?? [ Foto: Eva trifft.] ?? Infizierun­g der Sprache durch die Keime der Gewalt. Helena Adler, Salzburger­in des Jahrgangs 1983.
[ Foto: Eva trifft.] Infizierun­g der Sprache durch die Keime der Gewalt. Helena Adler, Salzburger­in des Jahrgangs 1983.

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