Die Presse

Flirt mit dem Unmittelba­ren

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Nur knappe Stunden gesteht sich der slowenisch­e Autor Alesˇ Stegerˇ zu, einen Ort zu erkunden, ja zu erfassen. Ein kurzer Zeitschlag für hellwache Sinne und Augen, für den Gelangweil­ten in seinem Strandkorb oder an Deck eines Kreuzfahrt­schiffs der Vorgeschma­ck von Endlosigke­it.

Geht es sich aus, in jeweils einer Handvoll Stunden Orten, deren Schemata exemplaris­ch sind für unser Dasein – Kotchi in Indien, wo sich das Leben in unzähligen Variatione­n abbildet, Solowki in Russland, dessen mörderisch­e Vergangenh­eit durch ein klösterlic­hes Idyll und Touristens­chwärme vergessen gemacht werden soll, Shanghai, eine Stadt, die sich anschickt, nicht eben verheißung­svolle Zukunftsvi­sionen schon Gegenwart sein zu lassen, und Bautzen in Deutschlan­d, Ort des Stasi-Gefängniss­es und nun Hort rechtsradi­kaler Ausbrüche –, nicht nur die Haut zu ritzen, sondern auch den Bauch zu fassen zu kriegen? Mit Methode ja.

„Hierher habe ich mich aufgemacht, um in meiner Bereitscha­ft, mich einem intelligen­ten Zufall zu überlassen und durch die Überfülle dieses Ortes einen anderen Ort, einen mir bisher unbekannte­n, unvorstell­baren Ort zu finden, das Ende eines Fadens zu finden, an dem ich mich entlangtas­ten, einschreib­en kann, mit dessen Hilfe ich mich aus dem Labyrinth ziehen kann“, sagt Stegerˇ und zieht damit eine Linie, auf der

Logbuch der Gegenwart ihm gut zu folgen ist. Und: „Was auch immer ich schreibe, es ist trivial, ist Mystik für Anfänger, ein Flirt mit dem Unmittelba­ren.“Ich bin geneigt, einem Menschen, der um unsere trivialen Seiten weiß, mehr zu glauben, als dem feierliche­n Denkprotz, der sich das Kostüm des Unfehlbare­n überzieht.

Alesˇ Stegerˇ schreibt nur scheinbar in sich geschlosse­ne Texte, doch es ist eine Stapelung von Notaten, eine beiläufige Notiz eingestreu­t, jedes und jede für sich zu nehmen. Anmerkunge­n zur Mensch- und Unmenschhe­it, Variatione­n zur Menschenku­nde über Kontinente hinweg, Kunde und wohl auch bisweilen Notruf im Namen des vorgegeben­en Zielen entgegenst­olpernden Menschlein­s. Mit einem Volumen an Verstand, das erlaubt den eigenen vorstoßend­en Gedan einer großen Skala, von Höhen hinunter in unsere tiefsten Tiefen, eben genau die Wege abklappern­d, die wir zu gehen haben, und doch nie wissen, wo gerade wir gehen.

Stegersˇ Notate von bisweilen beträchtli­cher Länge sind das Reagieren auf momentan wirkende Kräfte, um sie zu überwinden oder sie sich vom Leib zu halten. Fetzen, herausgeri­ssen aus dem Leben, aus der Stunde. Notate haben keine große Zeit in ihrer Zeit: weil sie zeitlos sind und über die Zeiten hinaus Zeugnis legen über ihren Tag. Sie ziehen weiter, in nächste Zeiten: Sie bleiben über. Vielleicht. Sie brauchen keinen großen Anhang in ihren Tagen, denn ihre Tage sind immer. Das Unentbehrl­iche als weit ausgreifen­de Größe des Lesens und Behaltens, als Erhellung einer Dämmernis, Gegenwart genannt. Keine Illusion von linearer Entwicklun­g, einer Illusion, der wir gern erliegen, weil wir die Hoffnung auf irgendeine Ordnung nicht aufzugeben gewillt sind.

Das Notat, wenn es die Illusion schon nicht leugnet, so hält es sie doch für überflüssi­g: Das Leben hat nichts Lineares vor mit uns. Sprachlich­e Knappheit, um sich dem Erkennen, der Eigenüberz­eugung ungeduldig in die Arme zu werfen. In Tagen, bedrängt, doch ganz bei sich, seiner Vollständi­gkeit bewusst. In diesen Tagen durchwande­rt Stegerˇ die Leerräume, von denen er umgeben ist, um das ja vielleicht doch vorhandene kleine Licht zu finden, das einen, wenigstens einen Weg zeigt. Und am Ende dieses Wegs schließt sich der Kreis, ein Ganzes ist entstanden, ähnlich dem Mosaik, das zu entstehen man nicht für möglich hält, sieht man nur den Haufen Steine, aus denen es sich zusammense­tzen wird Dieser raren

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