Die Presse

Gut verhüllt ist halb bewahrt

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Dies sollte ein Artikel über die Transforma­tion einer Stadt werden, die sich nach dem Wegfall lukrativer Handelsbez­iehungen und dem Niedergang ihrer Industrie neu erfinden musste. Strukturwa­ndel gelingt in Glasgow seit 1990 erfolgreic­h, als die Stadt zur sechsten Europäisch­en Kulturhaup­tstadt ernannt wurde; 1999 folgte die Adelung als City of Architectu­re and Design. Während das Feld der Dienstleis­tung neu ist, knüpft man mit der Kultur an die Zeit an, in der die Stadt am Fluss Clyde durch Schiffsbau, Baumwollin­dustrie und regen Handel mit den Kolonien zu einer der reichsten Städte der Welt aufstieg. Seit 1845 gab es eine Kunsthochs­chule, und Ende des 19. Jahrhunder­ts wurde die Stadt zum kulturelle­n Zentrum selbstbewu­sster Künstler und Intellektu­eller, die sich zwar der europäisch­en Avantgarde jener Zeit nahe fühlten, aber einen eigenen Ausdruck fanden.

Einer aus der großen Gruppe von Designern und Künstlern des Glasgow Style war der Architekt Charles Rennie Mackintosh – der gleicherma­ßen interessie­rt an der „Arts & Crafts“-Bewegung des viktoriani­schen England war wie am Wiener Fin de Si`ecle, dem er auch durch eine Einladung zur Ausstellun­gsbeteilig­ung in der Sezession 1900 nahestand. Im heutigen Glasgow wird „Mack“als großer Bürger der Stadt gesehen, und er ist omnipräsen­t, obwohl seine öffentlich zugänglich­en Bauten hier und in der ländlichen Umgebung der Stadt wenige sind. Seine „Tea Rooms“und die einzige öffentlich zugänglich­e Villa, das „Hill House“, eignen sich als touristisc­he Hotspots, und doch wird spätestens, wenn man die dramatisch-tragische Geschichte der zweimal durch Brand verlorenen „Glasgow School of Art“hört, deutlich, dass seine Bedeutung weit darüber hinausweis­t.

Heute prägt Mackintosh nationale Identität. Seine Bauwerke, die er fast alle gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Margaret Macdonald, ausstattet­e, stehen im Mittelpunk­t eines lebendig und umfassend geführten Diskurses über das Wie der Erhaltung und Pflege nationalen Kulturerbe­s. Das wird schon augenschei­nlich, wenn man sich dem „Hill House“nähert. Die ländliche Idylle Helensburg­h am Fjord des Clyde wurde zur idealen Sommerfris­che für reiche Händler und Industriel­le, und auch der Verleger Walter Blackie beauftragt­e Mackintosh 1902, dort ein geräumiges Domizil für seine siebenköpf­ige Familie zu planen. Kunstsinni­ge Nachfolger konnten das Gesamtkuns­twerk „Hill House“wegen der enormen laufenden Kosten nicht halten, sodass es zweimal samt Mobiliar auf den Markt kam.

Heute ist es im Besitz des National Trust for Scotland (NTS), der es wiederum nur mit der großzügige­n Unterstütz­ung des National Heritage Memorial Fund kaufen konnte. Macintosh hatte einen neuen Putz auf Basis von Portlandze­ment, der resistente­r gegen Risse und Wasser sein sollte verwendet um

Das erwies sich als fatal, weil die Feuchtigke­it, die im Laufe der Zeit doch eindringen konnte, den Sandstein „wie Aspirin im Wasser“aufzulösen beginnt, so der Präsident des NTS. Es galt also, rasch erste Schutzmaßn­ahmen zu treffen, um Zeit zu gewinnen für die Entwicklun­g der besten Lösung für eine nachhaltig­e Restaurier­ung. So entstand die „Hill House Box“als temporäre Einhausung. Über eine riesige Stahlrahme­nkonstrukt­ion spannen sich ein Dach und eine transparen­te Struktur aus Millionen von Metallring­en, die zu einer Art Kettenhemd verbunden wurden – eine atmungsakt­ive Hülle als Regenschut­z, die dem Gebäude seine Sichtbarke­it und es langsam austrockne­n lässt. Für Besucher, die alle Räume weiterhin betreten können, bleibt der Blick in die Landschaft uneingesch­ränkt. Darüber hinaus hat man nun auch die Möglichkei­t, das „Hill House“über Treppen, Stege und Brücken bis hoch über seine Dächer hinaus zu erleben und eine völlig neue Perspektiv­e zu erhalten. Haben die Wohnräume nichts Museales und wirken so belebt, als hätten sie seine Bewohner gestern verlassen, so gleicht das Haus nun als Ganzes innerhalb der luftigen Hülle einem besonderen Artefakt, das man im Museum an zentraler Stelle platziert, um es von allen Seiten betrachten zu können.

Das ist ebenso spannend wie einmalig, doch vom offenen Umgang mit der Restaurier­ung lässt sich einiges ableiten und auch lernen. Die Konservier­ung des „Hill House“ist eine nationale Anstrengun­g und soll ein Prozess sein, bei dem die Öffentlich­keit nicht ausgeschlo­ssen wird. Mehr noch, zum „Wie“der Erhaltung soll eine Art öffentlich­es Gespräch geführt werden. Das ist klug, denn Akzeptanz und Identifika­tion kann nur gelingen, wenn man sich als Teil eines Vorhabens sieht. Und es hält die kollektive Erinnerung lebendig. Fragen danach, wie viel im Original wiederherg­estellt und was abgeändert werden kann oder darf, wurden auch bei Mackintosh­s „Willow Tea Rooms“in Glasgow gestellt, wo Umbauten und die Entfernung des Mobiliars das Haus verkommen hatten lassen. Letztendli­ch entschied man sich, das Objekt nach Plänen, Fotos und Farbstudie­n so originaltr­eu wie möglich zu rekonstrui­eren, was mit unvorstell­bar großem handwerkli­chem Aufwand und finanziell­em Einsatz auch gelang. Ein eigener Verein wurde gegründet, und Unterstütz­ung kam von vielen Seiten, selbst von der Nationalen Lotterie. Zum 150. Geburtstag des Architekte­n wurden 2018 die „Tea Rooms“als Sozialunte­rnehmen wiedereröf­fnet. Man serviert wie einst Tee oder Dinner und erklärt in einer Führung, warum die „Willow Tea Rooms“heute eine Wiederhers­tellung und keine Replik sind. Eine solche wäre die „Glasgow School of Art“, von der nach den beiden verheerend­en Bränden nicht viel mehr als Mauerreste erhalten blieben. Trotzdem entstand der Ruf nach einem erneuten Wiederaufb­au.

Befürworte­r und Gegner befeuern täglich einen Diskurs, bei dem es um das Wie eines solchen Mammut-Unterfange­ns geht. Sein Ausgang ist noch offen. Was bereits ablesbar ist: Pflege und Erhaltung des gebauten Erbes scheinen viel stärker im öffentlich­en Bewusstsei­n verankert als hierzuland­e. Offensicht­lich werden sie als nationale Aufgabe gesehen, die den Staat, private Spender und die Mitsprache von Bürgern brauchen. Das fand ich jüngst in Glasgow so außergewöh­nlich, dass dies ein Beitrag über Bewahrung wurde und nicht über Verände

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