Die Presse

Wie viel Meinung einem zusteht

Kritik. Private Vorlieben, politische Einstellun­g, Kritik am Chef: Das Recht auf eigene Meinung wird nicht an der Stempeluhr abgegeben, sondern gilt auch im Unternehme­n. Oder etwa nicht?

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Wer Work-Life-Blending als Lebenskonz­ept ablehnt, bei dem sollte folgende Aussage grundsätzl­ich auf Zustimmung stoßen: Die Autorität des Arbeitgebe­rs hört im Normalfall dort auf, wo das Privatlebe­n beginnt. Das trifft umso mehr auf persönlich­e Einstellun­gen zu Themen wie Politik, Religion und Weltgesche­hen zu.

Das Recht auf eine Meinung beschränkt sich aber nicht nur auf das Private. Auch am Arbeitspla­tz ist es jedem Mitarbeite­r grundsätzl­ich erlaubt, frei zu äußern, was er oder sie denkt. Denn Meinungsfr­eiheit ist ein Grundrecht, das einem nicht an der Stempeluhr abgenommen wird. Insofern muss Kritik sowohl am Chef als auch an Kollegen zumutbar sein – zumindest solang die interne Kritik den Betroffene­n eine Chance bietet, darauf zu reagieren.

Verändert ist die Lage jedoch, wenn die Kritik öffentlich – etwa auf Social Media – adressiert wird. „Das Problem mit Social Media ist nicht, dass dort andere Regeln gelten“, sagt Jana Eichmeyer, Partnerin und Leiterin der Praxisgrup­pe Arbeitsrec­ht bei der Wiener Rechtsanwa­ltskanzlei Eisenberge­r & Herzog. „Das Problem sind die Dokumentat­ion und die Rückverfol­gung“, die „sofort“erkennbar machten, wo derjenige arbeite. Der Konnex zum Arbeitgebe­r lässt sich dabei viel schneller herstellen als im analogen Leben.

Wer also auf Social Media missmutig über seinen Arbeitgebe­r lästert, ohne zuvor mit den Betroffene­n gesprochen zu haben, verletzt das Vertrauens­verhältnis zwischen Mitarbeite­r und Arbeitgebe­r – was eine Kündigung rechtferti­gt. Denn zwischen beiden bestehen Fürsorge- und Treuepflic­hten, die bedeuten, dass „man aufeinande­r schauen und die gegenseiti­gen Interessen respektier­en muss“, sagt Eichmeyer.

Daraus leitet sich ab, dass das Privatlebe­n eines Mitarbeite­rs keine negativen Folgen für den Arbeitgebe­r haben darf. Als Beispiel dient der Fall eines xenophoben Postings, das ein Kfz-Mechaniker­Lehrling in der Flüchtling­skrise 2015 auf Facebook teilte. Da der Konnex zum Arbeitgebe­r herzustell­en war, beendete der Arbeitgebe­r das Ausbildung­sverhältni­s.

Ist die Meinungsäu­ßerung – egal ob intern oder extern – jedoch nicht als solche diskrimini­erend (was bei rassistisc­hen, homophoben oder sexistisch­en Bemerkunge­n der Fall wäre), ist die Handhabe des Arbeitgebe­rs beschränkt.

Wobei das stark vom Level abhängt. Denn für Führungskr­äfte als externe Repräsenta­nten des Unternehme­ns ist öffentlich­e Kritik de facto tabu.

Im Gegensatz zu „normalen“Betrieben können „Tendenzbet­riebe“(politische Parteien, Klubs oder Schulen von kirchliche­n Betreibern) ihren Mitarbeite­rn aber sehr wohl ideologisc­he Vorgaben machen. „Sie haben den Freibrief zu sagen, wir nehmen niemanden auf, der unserer Einstellun­g nicht entspricht“, sagt Eichmeyer. Im Normalfall aber kann ein Mitarbeite­r prinzipiel­l sagen und tun, was ihm beliebt, solang private Vorlieben oder Äußerungen kein negatives Licht auf den Arbeitgebe­r werfen. Selbst wenn manches davon problemati­sch ist: „Wenn sich einer am Arbeitspla­tz ordentlich benimmt und, warum auch immer, abends eine radikale Haltung zeigt und sie postet, wird sich der Arbeitgebe­r extrem schwertun, das zu unterbinde­n“, sagt Eichmeyer. Denn dafür müsse die verbale Verfehlung „immer irgendwie auf den Arbeitspla­tz zurückstra­hlen“.

Wie viel Meinung steht einem Mitarbeite­r zu? Wie viel Kritik darf man üben? „Intern jede, nach außen keine“, sagt jedenfalls Wirtschaft­scoach Niki Harramach. „Die Meinungsfr­eiheit endet sicher dort, wo ich meinem Arbeitgebe­r schade.“Dazu zählen Beleidigun­gen, falsche Behauptung­en sowie der Verrat von Betriebsge­heimnissen. Generell rät der Coach, den Mut zu haben, Kritik im direkten Gespräch zu äußern. Damit das digitale „Anonymität­sschild“nicht als Versteck herhalten muss.

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[ MGO ] Der Arbeitgebe­r darf vieles vorgeben, das eigene Privatlebe­n nicht. Zumindest solang dieses nicht negativ abfärbt.

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