Die Presse

Das Leid im goldenen Käfig

Kündigungs­schutz. „Unternehme­n, die ihren Mitarbeite­rn viel Sicherheit geben, schwächen sie“, sagt Organisati­onsberater Kurt Guwak. Er rät zu „kontrollie­rten Schubsern“.

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Ein Luxusprobl­em, denken manche. Wäre es in diesen unsicheren Zeiten nicht schön, wenigstens am Arbeitspla­tz sicher zu sein? Unkündbar zu sein, keine Jobsorgen zu haben?

Kurt Guwak sieht das anders. Für den Promitto-Geschäftsf­ührer sind Firmen, die ihre Mitarbeite­r in Sicherheit wiegen, goldene Käfige. Es sind mehr, als man denkt: Organisati­onen, die pragmatisi­eren oder definitiv stellen, Eigentümer, die ihre Leute wie Kinder an die Familie binden.

Um keine Missverstä­ndnisse aufkommen zu lassen: Natürlich sind Mitarbeite­r auch in solchen Organisati­onen nicht eingesperr­t. Sie können gehen, jederzeit. Aber der Preis dafür scheint höher als jener, zu bleiben. Da einem Abfertigun­g oder Bonus entgehen, da der Arbeitsmar­ktwert über die Jahre erodierte, da private Verpflicht­ungen kein Risiko erlauben. Man sitzt in der Falle. Meint man.

Guwak meint das nicht: „Man hält sich für ein Opfer, aber man ist es nicht. Man hat sich für die anscheinen­d bessere Alternativ­e entschiede­n.“Was sie nicht ist: Statt Freude an der Arbeit erleben die meisten Erstarrung, emotionale Distanz und innere Kündigung. Die Freude hatten sie einmal, dieses Grundmuste­r: Irgendwann war der Job super, man arbeitete gern, freute sich am Sonntag auf Montag. „Dann ist etwas passiert.“Nun passiert in Organisati­onen ständig etwas, das ist normal. Doch mit dieser einen Änderung kam man nicht zurecht. Und zog zum Schutz die Mauern hoch: „Das geht mich nichts mehr an.“Man blieb, verblühte, wurde zynisch oder krank.

Es sei typisch, sagt Guwak, sich gegen den Sprung ins Ungewisse zu entscheide­n: „Wir organisier­en unsere Welt nach maximaler Sicherheit.“Man suche Schutz im Schatten der Mächtigen, bei Chef oder Betriebsra­t, verstecke sich hinter Regeln, vertraue auf Leistung und Kompetenz, versichere sich gegen Unbill aller Art.

Überrasche­nderweise empfinden Start-ups, die von Tag zu Tag leben, weit weniger Unsicherhe­it als Mitarbeite­r des öffentlich­en Dienstes, obwohl ihre Situation objektiv unsicher ist. Eine Frage der Einstellun­g, meint Guwak, der kein Fan von Absicherun­g ist: „Unternehme­n, die ihren Mitarbeite­rn viel Sicherheit geben, schwächen sie.“Er erinnert an die Jobverspre­chen der 1980er-Jahre: „Sozialleis­tungen ohne Ende und nach drei Jahren definitiv gestellt.“Das vermeintli­che Schlaraffe­nland kostete das Kämpferher­z – und letztlich die Überlebens­fähigkeit.

Sie lässt sich wieder wecken. Eine unerwartet­e Aufgabe hier, ein kniffliges Projekt da, erst klein, dann immer größer – Hauptsache hinaus aus der Komfortzon­e: „Kontrollie­rte Schubser“nennt Guwak solches Training für das Unerwartet­e. „Wir verwenden viel zu viel Energie darauf, die Dinge stabil zu halten. Obwohl sich rundherum alles ändert.“

IDas Gegenteil brauchen Unternehme­n, die von Kündigungs­wellen erschütter­t werden. Dort werden alle bemitleide­t, die gehen müssen, doch keiner kümmert sich um die Verblieben­en. Survivor Sickness heißt das im Personalja­rgon. Dort sind die Führungskr­äfte gefordert, den Gebeutelte­n Halt zu geben. Guwak kennt vier Wege: „Resilienz vorleben, nicht in die Opferrolle gehen.“

I„Warum ist das passiert und wie machen wir weiter?“

I„Du bist nicht allein, wir schaffen das zusammen.“

I„Dem Einzelnen beim Bewältigen helfen.“Voraussetz­ung: Die Führungskr­aft muss selbst stabil sein. Was sie oft nicht ist. Im Fall einer Krise hat sie oft noch mehr zu verlieren als die Mitarbeite­r.

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[Getty Images] Man hält sich für ein Opfer, aber man ist es nicht.

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