Die Presse

Die Angst ist zuruck an den Borsen

Korrekture­n an den Börsen sind nichts Ungewöhnli­ches. Das Tempo der Rückgänge in dieser Woche erschreckt­e aber viele. Das Coronaviru­s dürfte keineswegs der einzige Grund sein.

- VON BEATE LAMMER

An den Börsen spielte sich in dieser Woche etwas ab, was man schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat: Es herrschte Panik. Von New York bis Wien gaben die Aktienkurs­e binnen weniger Tage um mehr als zehn Prozent nach. Der als Angstbarom­eter geltende VIX-Index (er misst die erwarteten Kursschwan­kungen an der New Yorker Börse) ist auf eine Höhe geklettert, die er zuletzt im Jahr 2015 innehatte. Damals fürchteten viele eine harte Landung der chinesisch­en Wirtschaft, die Börse gab um fast 15 Prozent nach. Dafür ließ sie sich jedoch ein paar Monate Zeit. Der jüngste Rückgang passierte hingegen in nur neun Tagen, nachdem es am 19. Februar Allzeithoc­hs gegeben hatte.

1 Was sind die Gründe für die steilen Abstürze? Ist es wirklich nur das Coronaviru­s,

oder steckt da mehr dahinter?

Das Coronaviru­s war ein Auslöser für eine längst überfällig­e Korrektur. Es gibt Befürchtun­gen, dass es nicht nur die chinesisch­e Wirtschaft, sondern die Weltwirtsc­haft bremsen könnte. Die Stimmung schlug abrupt um. Im Jänner hatte das Virus die Börsen noch völlig kalt gelassen. Doch dann warnte Apple, dass sein Umsatz im ersten Quartal wegen Produktion­sverzögeru­ngen in China unter den Erwartunge­n bleiben werde. Das Virus breitete sich schneller aus als erwartet. Und plötzlich waren die in Vergessenh­eit geratenen Rezessions­sorgen wieder da: Was, wenn es heuer doch zu einem schweren Abschwung kommt? Was, wenn Bernie Sanders die US-Präsidents­chaftswahl gewinnt und die Steuerrefo­rmen seines Vorgängers zurücknimm­t? Und sind Aktien nicht viel zu teuer? Diese Ängste stehen nun wieder im Vordergrun­d. Der Absturz dürfte sich auch durch automatisc­he Verlustbeg­renzungen (bei solchen wird verkauft, wenn die Kurse unter eine bestimmte Schwelle fallen) beschleuni­gt haben.

2 Sind die Börsen davor nicht wirklich zu stark angestiege­n? Immerhin geht es seit elf Jahren nach oben.

In New York hat es seit März 2009 keinen Bärenmarkt mehr gegeben. Das heißt: Die Börsen sind seit damals nie um mehr als 20 Prozent gefallen. An anderen Börsen, etwa in Wien oder Frankfurt, passierte das aber durchaus. Dennoch war die Zeit nach der Finanzkris­e eine ungewöhnli­ch gute Zeit für Aktien. Grund ist, dass die weltweiten Notenbanke­n ihre Bilanzsumm­en aufgebläht, also „Geld gedruckt“haben. Dieses Geld floss in Aktien, Anleihen, Gold und Immobilien und machte alle diese Werte teuer. Die Folgen: Deutsche oder österreich­ische zehnjährig­e Staatsanle­ihen sind so teuer geworden, dass die Rendite negativ ist. Anleger bezahlen diese Staaten dafür, dass sie ihnen Geld borgen dürfen. US-Aktien waren gemessen an einschlägi­gen Kennzahlen (etwa dem zyklisch adjustiert­en Kurs-Gewinn-Verhältnis) nur einmal teurer als im Vorjahr: um die Jahrtausen­dwende, kurz bevor die Internetbl­ase platzte. Immerhin: In den ver

gangenen Tagen sind die Aktien ein wenig billiger geworden.

3 Sind solche Korrekture­n eigentlich normal,

oder gibt es etwas, was den gegenwärti­gen Absturz ungewöhnli­ch macht?

Korrekture­n (mehr als zehn Prozent Minus) gibt es relativ häufig. Erst zwischen September und Dezember 2018 haben die US-Börsen um fast 20 Prozent nachgegebe­n. Schuld war die Angst vor einer Wirtschaft­sabschwäch­ung und einer Zinserhöhu­ng in den USA (tatsächlic­h wurden dann die Zinsen gesenkt). Was an der gegenwärti­gen Korrektur ungewöhnli­ch ist, ist ihr Tempo. Allerdings: Am 19. Oktober 1987 verloren die Börsen an einem einzigen Tag mehr als 20 Prozent. Eineinhalb Jahre später gab es wieder neue Rekordhoch­s. Im Zuge der Finanzkris­e ging es zwischen 2007 und 2009 um mehr als 50 Prozent nach unten, die nächsten Rekorde gab es in New York im Jahr 2013. In Wien gab es seitdem keine neuen Rekorde.

4 Ist das Schlimmste jetzt vorbei, oder muss man mit einem Crash wie jenem infolge der Finanzkris­e rechnen?

Wenn an den Börsen Panik herrscht, ist das oft ein gutes Zeichen. Dass die Nervosität hoch ist, zeigt nicht nur der VIX-Indikator, sondern auch die Tatsache, dass die Anleger nicht nur aus Aktien, sondern auch aus Bitcoin und seit Kurzem sogar Gold fliehen und Zuflucht bei Anleihen und Cash suchen. Sobald alle Nervösen den Markt verlassen haben, ist der Weg zu einer Erholung frei. Zumindest kurzfristi­g. Das bedeutet nicht, dass die Krise bereits völlig ausgestand­en ist.

Wie schlimm die Auswirkung­en des Coronaviru­s sind, wird sich erst im Lauf des zweiten Quartals zeigen. Möglicherw­eise kommt es dann noch einmal zu bösen Überraschu­ngen. In den folgenden Quartalen könnte es aber zu Nachziehef­fekten kommen. Zudem ist es nun wahrschein­licher, dass die Notenbanke­n ihre Geldpoliti­k eher weiter lockern als straffen. Die Märkte rechnen etwa mit zwei Zinssenkun­gen durch die US-Notenbank Fed. Geld wird also weiterhin vorhanden sein, das in die Aktienmärk­te fließen kann, wenn sich die Lage beruhigt hat.

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