Die Presse

Wirtschaft. Notenbank-Gouverneur Holzmann im Interview

Interview. Notenbank-Gouverneur Holzmann sieht in Sachen Coronaviru­s die Fiskalpoli­tik gefordert. Die Vermögensb­erechnung könnte bald Sozialtran­sfers beinhalten.

- VON NICOLE STERN UND BEATE LAMMER

Die Presse: Das Coronaviru­s dürfte das chinesisch­e Wirtschaft­swachstum dämpfen. Nun breitet sich das Virus auch in Europa aus. Macht sich die Europäisch­e Zentralban­k bereits Sorgen?

Robert Holzmann: Jeder Schock, der die Ökonomie, ob weltweit oder regional, trifft, bereitet einem Zentralban­ker Sorgen. Daher möchte er wissen, wie groß der Schock ist und wie man mit ihm umgeht. Nachdem wir das beim Coronaviru­s noch nicht wissen, können wir nur Schätzunge­n abgeben. Was tatsächlic­h passiert, wird man sehen.

Wenn die Konjunktur einbrechen sollte, was könnte die Europäisch­e Zentralban­k unternehme­n?

Wenn man sich die Prognosen der chinesisch­en Kollegen ansieht, sind wir noch weit von einem Worst-Case-Szenario entfernt. Selbst wenn uns das Virus noch ein weiteres Quartal beschäftig­t, wird der Einfluss auf die chinesisch­e Konjunktur zwar merklich spürbar, aber deshalb noch nicht katastroph­al sein. Und es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass danach ein konjunktur­elles Überschieß­en stattfinde­t. Weil man aufgrund von konsumiert­en Pflichturl­auben später mehr arbeitet. Die tatsächlic­he Arbeitszei­t ist noch immer ein wesentlich­er Faktor für den Output einer Volkswirts­chaft.

Halten Sie neue geldpoliti­sche Stimuli für notwendig?

Bei einem Angebots- plus Nachfrages­chock wird eine andere Form der Politik, nämlich vornehmlic­h Fiskal- oder Strukturpo­litik, greifen müssen. Ich sehe die Rolle der Zentralban­k da nicht an erster Stelle. Wo es wahrschein­lich Interventi­onen braucht, ist bei der Liquidität­sversorgun­g und der Kreditverl­ängerung im Bankenbere­ich. Man kann Zinssätze senken, aber wenn ein Unternehme­n im Rahmen eines Schocks gezwungen ist, Überziehun­gen vorzunehme­n, und keinen Kredit bekommt, nützen die niedrigen Zinsen wenig.

In den vergangene­n Tagen gab es Stimmen von Ökonomen, die das Virus für einen Game Changer in Sachen Globalisie­rung halten. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, dass es noch kein Game Changer ist, aber einer sein könnte, wenn eine mögliche Pandemie katastroph­ale Ausmaße erreichen sollte. Wenn etwa die Handelsbez­iehungen zwischen Ländern unterbroch­en wären, müsste man sich überlegen, ob es sich auszahlt, seine Produktion nach China auszulager­n, weil man nicht weiß, ob die Ware ankommt. Diese Veränderun­g findet derzeit schon statt, auch weil die Lohnsteige­rungen der vergangene­n Jahre in China enorm waren. Solche Tendenzen würden dann noch verstärkt.

Zurück zu den Zentralban­ken. Die Notenbanke­n fahren seit der Finanzkris­e eine extrem lockere Geldpoliti­k, senken Zinsen und blähen ihre Bilanzen auf. Kommen wir da je wieder raus, ist das geplant?

Geplant ist es. Aber es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass wir lang niedrige Zinsen sehen werden. Wir haben mit Japan ein Land, dessen Zentralban­kbilanz bereits seit dem Ende der 1980er-Jahre stark gewachsen ist. Bei uns ist das erst seit zehn Jahren der Fall. Wichtig ist jetzt vor allem ein Anstieg der Produktivi­tät. Dies könnte man durch den Abbau von Bürokratie erreichen. Ohne eine verbessert­e Produktivi­tät nützen die gesamten makroökono­mischen Instrument­e wenig. In Österreich wird und soll sich künftig ein Produktivi­tätsrat mit diesem Thema befassen. Die Europäisch­e Zentralban­k hat unter ihrem früheren Chef Mario Draghi viele Aufrufe an die Politik getätigt. Diese sind

ungehört verhallt. Wird sich das nun unter Christine Lagarde ändern?

Die Notenbank ist nicht der Oberlehrer der Nation, das habe ich schon bei meinem Amtsantrit­t gesagt. Man ist aber dafür da, bei wichtigen Fragen Fakten auf den Tisch zu legen. Dieses Recht nehme ich für uns in Anspruch. Gegenwärti­g diskutiere­n wir gemeinsam mit der Statistik Austria und maßgeblich­en Wirtschaft­sforschung­sinstitute­n über einen besseren Zugang zu bestehende­m Datenmater­ial. Das ist überaus wichtig, denn nur auf Basis valider Auswertung­en kann eine hohe Entscheidu­ngsqualitä­t gewährleis­tet werden.

Die Geldpoliti­k hat zu einer ungleichen Vermögensv­erteilung geführt. Sparer wurden ärmer, Wohlhabend­e reicher. Wie kann man diesen Entwicklun­gen entgegenwi­rken?

Die gemessene Vermögensb­ildung ist ungleicher geworden. Aber was wird dort miteingere­chnet? Das sind im Wesentlich­en Immobilien­vermögen und Finanzverm­ögen. Das wird dann von der OeNB publiziert und man sieht, wie groß die Ungleichhe­it geworden ist. Eine weitere Berechnung könnte nicht nur das tangible Vermögen (materielle Vermö

genswerte, Anm.) hineinrech­nen, sondern auch das intangible, also jenes Vermögen, das die Individuen in Form von Ansprüchen gegenüber der Sozialvers­icherung bei Pflege, Pensionen und Gesundheit haben. Das Ungleichge­wicht der effektiven Vermögensa­nsprüche wäre dann wesentlich geringer.

Und was hätten die unteren Einkommens­schichten von dieser Gegenübers­tellung?

Ein Wissen über die tatsächlic­hen Ansprüche, die nicht unbeträcht­lich sind, und ein Verständni­s zu alternativ­en Finanzieru­ngsformen. Dabei stellt sich die Frage, was einen Kapitalmar­kt ausmacht. Das Wichtigste ist, dass es dort Kapitalist­en gibt. Wollen wir dort nur einige Großkapita­listen oder den Staat haben oder wollen wir einen Markt mit vielen kleineren Teilnehmer­n? Letzteres setzt voraus, dass man den Leuten die Möglichkei­t gibt, selbst für das Alter vorzusorge­n und Immobilien­besitz zu erwerben. Dann würden sich die Menschen auch über die Finanzmärk­te informiere­n und damit auch Finanzwiss­en erwerben. Das ist derzeit auch ein wesentlich­er Unterschie­d zwischen angelsächs­ischen und mitteleuro­päischen Ländern. Der Kapitalism­us ist kein perfektes System, aber er sichert in seiner derzeit westlichen Ausprägung einer breiten Bevölkerun­gsschicht Einkommen, Beschäftig­ung und letztlich Wohlstand. Das stellt auch den wesentlich­en Unterschie­d zum Sozialismu­s oder Kommunismu­s des früheren Ostblocks dar. Wir brauchen für effiziente Märkte die Teilnahme vieler Kapitalist­en. Das darf das Leben der Leute nicht beeinträch­tigen, aber kapitalmäß­iges Ansparen soll möglich sein. Hier kann sich die OeNB in die Diskussion einbringen. Entscheidu­ngen jedoch trifft die Politik.

Was könnte diese machen?

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[ Fabry ] „Wir brauchen für effiziente Märkte die Teilnahme vieler Kapitalist­en“, sagt Notenbankc­hef Holzmann.

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