Wirtschaft. Notenbank-Gouverneur Holzmann im Interview
Interview. Notenbank-Gouverneur Holzmann sieht in Sachen Coronavirus die Fiskalpolitik gefordert. Die Vermögensberechnung könnte bald Sozialtransfers beinhalten.
Die Presse: Das Coronavirus dürfte das chinesische Wirtschaftswachstum dämpfen. Nun breitet sich das Virus auch in Europa aus. Macht sich die Europäische Zentralbank bereits Sorgen?
Robert Holzmann: Jeder Schock, der die Ökonomie, ob weltweit oder regional, trifft, bereitet einem Zentralbanker Sorgen. Daher möchte er wissen, wie groß der Schock ist und wie man mit ihm umgeht. Nachdem wir das beim Coronavirus noch nicht wissen, können wir nur Schätzungen abgeben. Was tatsächlich passiert, wird man sehen.
Wenn die Konjunktur einbrechen sollte, was könnte die Europäische Zentralbank unternehmen?
Wenn man sich die Prognosen der chinesischen Kollegen ansieht, sind wir noch weit von einem Worst-Case-Szenario entfernt. Selbst wenn uns das Virus noch ein weiteres Quartal beschäftigt, wird der Einfluss auf die chinesische Konjunktur zwar merklich spürbar, aber deshalb noch nicht katastrophal sein. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass danach ein konjunkturelles Überschießen stattfindet. Weil man aufgrund von konsumierten Pflichturlauben später mehr arbeitet. Die tatsächliche Arbeitszeit ist noch immer ein wesentlicher Faktor für den Output einer Volkswirtschaft.
Halten Sie neue geldpolitische Stimuli für notwendig?
Bei einem Angebots- plus Nachfrageschock wird eine andere Form der Politik, nämlich vornehmlich Fiskal- oder Strukturpolitik, greifen müssen. Ich sehe die Rolle der Zentralbank da nicht an erster Stelle. Wo es wahrscheinlich Interventionen braucht, ist bei der Liquiditätsversorgung und der Kreditverlängerung im Bankenbereich. Man kann Zinssätze senken, aber wenn ein Unternehmen im Rahmen eines Schocks gezwungen ist, Überziehungen vorzunehmen, und keinen Kredit bekommt, nützen die niedrigen Zinsen wenig.
In den vergangenen Tagen gab es Stimmen von Ökonomen, die das Virus für einen Game Changer in Sachen Globalisierung halten. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, dass es noch kein Game Changer ist, aber einer sein könnte, wenn eine mögliche Pandemie katastrophale Ausmaße erreichen sollte. Wenn etwa die Handelsbeziehungen zwischen Ländern unterbrochen wären, müsste man sich überlegen, ob es sich auszahlt, seine Produktion nach China auszulagern, weil man nicht weiß, ob die Ware ankommt. Diese Veränderung findet derzeit schon statt, auch weil die Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre in China enorm waren. Solche Tendenzen würden dann noch verstärkt.
Zurück zu den Zentralbanken. Die Notenbanken fahren seit der Finanzkrise eine extrem lockere Geldpolitik, senken Zinsen und blähen ihre Bilanzen auf. Kommen wir da je wieder raus, ist das geplant?
Geplant ist es. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir lang niedrige Zinsen sehen werden. Wir haben mit Japan ein Land, dessen Zentralbankbilanz bereits seit dem Ende der 1980er-Jahre stark gewachsen ist. Bei uns ist das erst seit zehn Jahren der Fall. Wichtig ist jetzt vor allem ein Anstieg der Produktivität. Dies könnte man durch den Abbau von Bürokratie erreichen. Ohne eine verbesserte Produktivität nützen die gesamten makroökonomischen Instrumente wenig. In Österreich wird und soll sich künftig ein Produktivitätsrat mit diesem Thema befassen. Die Europäische Zentralbank hat unter ihrem früheren Chef Mario Draghi viele Aufrufe an die Politik getätigt. Diese sind
ungehört verhallt. Wird sich das nun unter Christine Lagarde ändern?
Die Notenbank ist nicht der Oberlehrer der Nation, das habe ich schon bei meinem Amtsantritt gesagt. Man ist aber dafür da, bei wichtigen Fragen Fakten auf den Tisch zu legen. Dieses Recht nehme ich für uns in Anspruch. Gegenwärtig diskutieren wir gemeinsam mit der Statistik Austria und maßgeblichen Wirtschaftsforschungsinstituten über einen besseren Zugang zu bestehendem Datenmaterial. Das ist überaus wichtig, denn nur auf Basis valider Auswertungen kann eine hohe Entscheidungsqualität gewährleistet werden.
Die Geldpolitik hat zu einer ungleichen Vermögensverteilung geführt. Sparer wurden ärmer, Wohlhabende reicher. Wie kann man diesen Entwicklungen entgegenwirken?
Die gemessene Vermögensbildung ist ungleicher geworden. Aber was wird dort miteingerechnet? Das sind im Wesentlichen Immobilienvermögen und Finanzvermögen. Das wird dann von der OeNB publiziert und man sieht, wie groß die Ungleichheit geworden ist. Eine weitere Berechnung könnte nicht nur das tangible Vermögen (materielle Vermö
genswerte, Anm.) hineinrechnen, sondern auch das intangible, also jenes Vermögen, das die Individuen in Form von Ansprüchen gegenüber der Sozialversicherung bei Pflege, Pensionen und Gesundheit haben. Das Ungleichgewicht der effektiven Vermögensansprüche wäre dann wesentlich geringer.
Und was hätten die unteren Einkommensschichten von dieser Gegenüberstellung?
Ein Wissen über die tatsächlichen Ansprüche, die nicht unbeträchtlich sind, und ein Verständnis zu alternativen Finanzierungsformen. Dabei stellt sich die Frage, was einen Kapitalmarkt ausmacht. Das Wichtigste ist, dass es dort Kapitalisten gibt. Wollen wir dort nur einige Großkapitalisten oder den Staat haben oder wollen wir einen Markt mit vielen kleineren Teilnehmern? Letzteres setzt voraus, dass man den Leuten die Möglichkeit gibt, selbst für das Alter vorzusorgen und Immobilienbesitz zu erwerben. Dann würden sich die Menschen auch über die Finanzmärkte informieren und damit auch Finanzwissen erwerben. Das ist derzeit auch ein wesentlicher Unterschied zwischen angelsächsischen und mitteleuropäischen Ländern. Der Kapitalismus ist kein perfektes System, aber er sichert in seiner derzeit westlichen Ausprägung einer breiten Bevölkerungsschicht Einkommen, Beschäftigung und letztlich Wohlstand. Das stellt auch den wesentlichen Unterschied zum Sozialismus oder Kommunismus des früheren Ostblocks dar. Wir brauchen für effiziente Märkte die Teilnahme vieler Kapitalisten. Das darf das Leben der Leute nicht beeinträchtigen, aber kapitalmäßiges Ansparen soll möglich sein. Hier kann sich die OeNB in die Diskussion einbringen. Entscheidungen jedoch trifft die Politik.
Was könnte diese machen?