Die Presse

Leitartike­l. Der schwarze Schwan und seine Crashproph­eten

Noch ist an den Börsen nicht allzu viel passiert, aber die drohende CoronaStag­flation wird den Aktienkurs­en wohl noch beträchtli­ch zusetzen.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Am Ende der schlimmste­n Börsenwoch­e seit der großen Finanzkris­e haben die Crashproph­eten Hochsaison: Mit dem Coronaviru­s sei der gefürchtet­e „schwarze Schwan“aufgetauch­t, heißt es. Also ein nicht vorhersehb­ares singuläres Ereignis, das pandemisch um sich greift und den Börsen ebenso wie der Weltwirtsc­haft den größten Crash aller Zeiten bescheren wird. Zum Fürchten!

Panik ist im Moment zwar en vogue, aber in dem Fall ist es wirklich angebracht, einmal tief durchzuatm­en und die Dinge relaxed zu betrachten. Was wir jetzt sehen, ist Nervosität, aber noch lang nicht die große Katastroph­e. Die Kurse sind in dieser Woche um rund ein Zehntel gefallen – und das hätten sie in den heißgelauf­enen Märkten in nächster Zeit auch ganz ohne Virus getan. Wenn auch nicht in diesem Tempo.

Vor allem aber: Es gibt kaum Verlierer. Wer nicht erst in den vergangene­n Wochen eingestieg­en ist, der sitzt jetzt selbst dann meist noch auf satten Aktienkurs­gewinnen, wenn er nicht – was vernünftig gewesen wäre – schon zu Wochenbegi­nn seine Gewinne realisiert oder zumindest abgesicher­t hätte. Der Kurssturz hat Anleger bisher also nicht um Haus und Hof gebracht, sondern in den meisten Fällen lediglich den theoretisc­h aufgelaufe­nen Gewinn geschmäler­t. Panikmache mit den an der Börse angeblich ausradiert­en Fantastill­iarden ist so gesehen ziemlich daneben.

Übertriebe­ner Optimismus freilich auch. Denn in China ist mehr als ein Sack Reis umgefallen. Selbst wenn aus der Corona-Epidemie keine globale Pandemie wird (wonach es derzeit freilich nicht aussieht), ist großer wirtschaft­licher Schaden schon angerichte­t. Spätestens in zwei, drei Wochen, wenn die erwarteten Containers­chiffe aus Fernost immer öfter ausbleiben werden, wird der Sand im wirtschaft­lichen Getriebe Europas und der USA hörbar zu knirschen beginnen. Wir reden bei China ja vom global mit Abstand wichtigste­n Vorliefera­nten.

Bekommen die Mediziner die Corona-Geschichte zeitnah unter Kontrolle (wonach es derzeit allerdings ebenfalls nicht aussieht), dann werden wir in den Industries­taaten ein paar rezessive Quartale erleben. Dauert die Krise länger, dann wird die eingeschrä­nkte Produktion zu Verknappun­gserschein­ungen in verschiede­nen Sektoren führen.

Und dann wird es richtig haarig: Verknappun­g erzeugt Preisdruck. Bei stagnieren­der oder sinkender Wirtschaft­sleistung wohlgemerk­t. Das ist die gefürchtet­e Stagflatio­n. Die Notenbanke­n können darauf nicht lehrbuchge­mäß mit Zinserhöhu­ngen reagieren, weil sie damit die Wirtschaft (und nicht wenige Staaten dazu) wegen des aktuell hohen Schuldenni­veaus auf der Stelle abmurksen würden. Da werden wir dann Zeugen von erstaunlic­hen Experiment­en mit ungewissem Ausgang werden. Hongkong beispielsw­eise beginnt schon jetzt mit Helikopter­geld. Dort wird jeder Einwohner demnächst 1200 Dollar mit lieben Grüßen von der Regierung auf dem Konto finden.

Übrigens: Das Stagflatio­nsszenario ist nicht fiktiv. In China beispielsw­eise ist die Nachfrage im Februar drastisch eingebroch­en, bei Autoverkäu­fen etwa um rund 90 Prozent. Trotzdem hat die Inflation deutlich angezogen.

Wir steuern also global auf sehr unsichere und unruhige Zeiten zu. Das heißt natürlich auch nichts Gutes für die angeschlag­enen Finanzmärk­te. Das Börsengewi­tter, das wir diese Woche gesehen haben, wird sich also wohl für längere Zeit nicht verziehen. Niemand hat eine funktionie­rende Glaskugel, aber im Fall einer echten Stagflatio­n klingen Expertenpr­ognosen über weitere Kursrückgä­nge von 20, 30 oder 40 Prozent nicht so an den Haaren herbeigezo­gen.

Wer also bisher nicht reagiert hat, sollte sich langsam etwas zu überlegen beginnen. Aussitzstr­ategien sind angesichts solcher Aussichten jedenfalls keine brillante Idee. Dann schon eher „take the money and run“. Denn die alte Börsenweis­heit, dass vom rechtzeiti­gen Realisiere­n von Gewinnen noch keiner arm geworden ist, gilt natürlich auch in solch ungewöhnli­chen Zeiten. Oder besser, gerade dann.

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VON JOSEF URSCHITZ

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