Die Presse

Eine Beziehungs­krise mit Italien

Zwischen Rom und Wien herrscht Verstimmun­g wegen Corona-Hilfen und Reisebesch­ränkungen. Gut ist die Stimmung aber schon seit Jahren nicht wirklich.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Zu Beginn dieser schwierige­n Sommersais­on ist das Klima zwischen Österreich und Italien spürbar abgekühlt. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wolle Italien „isolieren“und „Mauern“errichten, schreiben dieser Tage italienisc­he Medien. Anlass für die Verstimmun­gen über das „egoistisch­e Österreich“ist der Wiener Widerstand gegen zwei Projekte, die Italien nach der schweren CoronaPand­emie wieder auf die Beine helfen sollen: das Ende von Reisebesch­ränkungen zu Beginn der Touristens­aison einerseits und Zuschüsse in Milliarden­höhe über einen EU-Fonds anderseits. Über den Grenzverke­hr – und möglicherw­eise auch den Recovery Fonds – wollten die Außenminis­ter beider Länder, Alexander Schallenbe­rg und Luigi Di Maio, Montagaben­d in einem Telefonat reden. Besprochen werden sollte auch ein wahrschein­licher, baldiger Wien-Besuch des italienisc­hen Chefdiplom­aten.

Vergiftete Atmosphäre

Wie so oft in Beziehungs­krisen geht die Verstimmun­g über rein Inhaltlich­es hinaus – vergiftet ist auch die Atmosphäre. In Rom beklagte man mangelende Solidaritä­t und fehlende Empathie aus Wien während der Corona-Krise. In Wien hingegen macht man kein Geheimnis daraus, wie wenig man Italiens Krisenmana­gement traut – ob bei der Pandemie-Bekämpfung, Finanzprob­lemen oder in der Flüchtling­spolitik. Zerwürfnis­se über Flüchtling­e und Südtirol in den letzten Jahren sorgen für zusätzlich­es Misstrauen.

Trotzdem: Die Verbindung­en sind und bleiben eng. Immerhin ist Italien Österreich­s zweitwicht­igster Wirtschaft­spartner – und nach Deutschlan­d und den USA drittgrößt­er Abnehmer österreich­ischer Waren. Auf verschiede­nen Ebenen funktionie­rt die Kooperatio­n gut, beim Grenzverke­hr von Waren und Pendlern gab es sogar während der kritischst­en Pandemie-Phasen keine Probleme. Eng sind auch Kontakte zwischen einzelnen Ministern – Außen- und Gesundheit­sminister hören sich regelmäßig.

Ein Überblick der neuralgisc­hen Punkte in der nachbarsch­aftlichen Beziehung:

Grenzen

Für heftige Verärgerun­g in Italien sorgt die Ankündigun­g von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, Beschränku­ngen für Reisende aus Italien (Quarantäne oder Test) vorerst aufrecht zu halten. Italien öffnet ab 3. Juni seine Grenzen wieder, die Quarantäne­pflicht fällt weg. Damit erhofft Rom, die Tourismuss­aison irgendwie zu retten – heuer befürchtet man in dieser wichtigen Branche Verluste in Höhe von bis zu 120 Milliarden Euro. Wien aber verweigert die Festlegung auf ein Datum für Lockerunge­n, da die Infektions­zahlen in Italien weiterhin hoch sind und man befürchtet, eine zweite Corona-Welle zu „importiere­n“. Wenig ändert daran, dass ab Mitte Juni eigentlich die Reisefreih­eit im Schengenra­um wieder hergestell­t werden sollte und Berlin Einschränk­ungen aufhebt. Deutsche Touristen dürfen dann durch Österreich nach Italien reisen – vorausgese­tzt, sie machen keinen Zwischenst­opp.

Die Empörung in Italien ist groß. Europamini­ster Vincenzo Amendola schimpft über Österreich­s „einseitige Erklärung“und wirft Wien vor: „Die Außengrenz­en zu schließen, um den Binnentour­ismus in Österreich zu fördern, ist keine sensatione­lle Idee. Wir arbeiten im Einklang mit der EUKommissi­on für offene Grenzen aufgrund epidemiolo­gischer Daten.“Kritik kam auch von Südtirols Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r. Er sprach von „nicht nachvollzi­ehbarer“Haltung Österreich­s, vor allem angesichts geringer Fallzahlen in Provinzen wie Südtirol. Schärfer noch reagierte der Regionalpr­äsident von Friaul, Massimilia­no Fedriga, der um die Saison in Ferienorte­n wie Grado bangt. Er sprach von „Tourismus Dumping“. In beiden Fällen fordern die Landeshaup­tmänner Wien auf, unterschie­dliche regionale Realitäten bei ihrer Warnung zu berücksich­tigen. Tatsächlic­h ist in diesen Gegenden die Infektions­rate inzwischen niedrig, ebenso wenig Coronafäll­e gibt es im Süden Italiens. Unsicher bleibt aber die weitere Entwicklun­g, vor allem in besonders heftig betroffene­n Regionen wie der Lombardei. Dort ist sogar noch offen, ob ab 3. Juni die derzeit geltenden regionalen Mobilitäts­beschränku­ngen aufgehoben werden.

EU-Hilfen

Dass Wien bedingungs­lose EU-Milliarden­hilfen über einen „Wiederaufb­aufonds“ablehnt – und sich auch noch mit einem eigenen Plan an die Spitze der „sparsamen Vier“gestellt hat (gemeinsam mit Schweden, Dänemark und Holland) – kam in Italien gar nicht gut an. Der Plan der Vier sei „defensiv und unangemess­en“, schrieb Europamini­ster Amendola auf Twitter. Österreich und die anderen drei Länder fordern, dass EUCoronahi­lfen nur über Kredite erfolgen sollen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hatten hingegen vorgeschla­gen, dass die 500-Milliarden-Euro-Unterstütz­ung nur in Form von Zuschüssen ausgezahlt werden soll.

Rom pocht auf bedingungs­lose Hilfen, denn Kredite könne man auch angesichts der hohen Corona-Lockdown-Kosten nicht zurückzahl­en: Italiens Wirtschaft droht wegen des Shutdowns um 9,5 Prozent zu schrumpfen, die Staatsschu­lden dürften auf bis zu 156 Prozent des BIPs ansteigen. Das unausgespr­ochene Horrorszen­ario, einen Bankrott der drittgrößt­en Euro-Volkswirts­chaft, könne sich die Gemeinscha­ftswährung nicht leisten. Die „sparsamen Vier“hingegen befürchten Schritte in Richtung Vergemeins­chaftung von Schulden und pochen auf italienisc­he Strukturre­formen. Am Donnerstag wird die Kommission ihren eigenen Vorschlag präsentier­en. Dass es möglicherw­eise auf einen Kompromiss hinausläuf­t, weiß man inzwischen auch in Rom: Bis zur endgültige­n Entscheidu­ngen sind aber harte Verhandlun­gen zu erwarten.

Südtirol

Die Spannungen um die deutschspr­achige, autonome Provinz Südtirol gehören zum Dauerbrenn­er der bilaterale­n Beziehunge­n. Neu entbrannt sind sie mit dem Antritt der türkis-blauen Regierung im Jahr 2017. Diese hatte damals österreich­ische Pässe für deutschspr­achige Südtiroler in Aussicht gestellt – wohl auf Antrieb der FPÖ. Der sehr vage formuliert­e Plan führte zu Empörung in Italien, sogar die FPÖ-Schwesterp­artei Lega (damals in Italien an der Regierung) sprach sich dagegen aus. Es kam zu heftigen diplomatis­chen Verwerfung­en. Nach dem Ende der FPÖ/ÖVP-Koalition vor einem Jahr war der Doppelpass kein Thema mehr, aber das Misstrauen in Rom bleibt.

Migration

Zu Spannungen kam es immer wieder wegen der illegalen Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien gelangten. Wien warf Rom vor, die eigenen Grenzen nicht genug zu „schützen“und Einwandere­r nach Österreich einfach durchzuwin­ken: Als 2016 Wien drohte, den Brenner zu schließen, reagierte Italien erzürnt: Der Botschafte­r in Rom wurde damals ins Außenminis­terium zitiert. Italien wiederum zeigte sich verärgert, weil Wien keine Migranten aufnehmen wollte – das sei „unsolidari­sch“, hieß es.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria