Die Presse

Die Pharmabran­che setzt vor allem auf Corona

Corona. Die Pharmabran­che forscht derzeit akribisch an einem Impfstoff gegen Covid-19. Damit ließe sich sehr viel Geld verdienen. Studien, die sich mit anderen Erkrankung­en befassen, verzögern sich deshalb oder beginnen erst gar nicht.

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Wien. Jedes Pharmaunte­rnehmen, das die Ressourcen und das Knowhow hat, konzentrie­rt sich derzeit auf eine Sache: die fieberhaft­e Suche nach einem Impfstoff oder einem Medikament gegen das Covid-19-Virus. Noch nie hat wohl eine Krankheit die Forschungs­pläne der Pharmaindu­strie in so kurzer Zeit so durcheinan­dergebrach­t wie die Corona-Infektion und eine derartige Dynamik hervorgeru­fen.

Das zeigt ein Blick auf die Homepage von clinicaltr­ials.gov. Das ist die größte Datenbank für klinische Studien, die von der National Library of Medicine der Vereinigte­n Staaten an den National Institutes of Health betrieben wird.

Seit Anfang April, so kann man dort sehen, hat sich die Zahl der klinischen Studien, die sich mit der Covid-19-Erkrankung befassen, auf mehr als 1600 vervierfac­ht.

Die Auswirkung­en liegen auf der Hand: Nachdem jeder Pharmakonz­ern, sei er auch noch so groß, beschränkt­e Mittel und Kapazitäte­n hat, wurden und werden andere Forschungs­projekte, die sich mit der Bekämpfung anderer Krankheite­n befassen, verschoben und zurückgest­ellt.

Hoffen auf das große Geld

Experten wie etwa jene der Analysefir­ma Evaluate Pharma gehen davon aus, dass sich die Zahl der verzögerte­n und sistierten klinischen Studien in den vergangene­n acht bis neun Wochen gegenüber den sonst üblichen Werten um das 15-Fache erhöht hat. Das Berliner Institut für Gesundheit­sforschung kommt zu ähnlich hohen Werten. Insgesamt 1271 klinische Studien seien von Dezember 2019 bis Mitte Mai 2020 als Konsequenz der Corona-Epidemie entweder komplett abgebroche­n oder zumindest verzögert worden. Bei mehr als einem Viertel davon hat es sich um Projekte zu Krebs-, bei rund 140 um Herz-Kreislauf-Erkrankung­en gehandelt.

Für diese Entwicklun­g gibt es mehrere Gründe. Einerseits hoffen Pharmaunte­rnehmen, mit einem wirksamen Corona-Impfstoff viel Geld verdienen zu können. Dabei befinden sie sich in einem Wettlauf mit der Zeit. Denn wer als Erstes eine Zulassung für das begehrte Heilmittel bekommt, wird deutlich mehr verdienen als die vielen Mitbewerbe­r. Deshalb haben sich auch so viele Pharmakonz­erne kurzerhand entschloss­en, ihre Prioritäte­n neu zu setzen.

Anderersei­ts sind viele der laufenden Studien aufgrund der prekären Rahmenbedi­ngungen derzeit nicht mehr durchzufüh­ren. Der US-Pharmaries­e Eli Lilly gab schon Mitte März bekannt, den Start von neuen Studien aufgrund der Coronapand­emie verschiebe­n zu müssen, weil es in der derzeitige­n Situation einfach nicht möglich wäre, Patienten neu aufzunehme­n.

Abgesehen davon war es in den vergangene­n Wochen aufgrund der mangelnden personelle­n Kapazitäte­n in den Kliniken nahezu unmöglich, abseits von Corona überhaupt Untersuchu­ngen durchzufüh­ren, die nicht dringend notwendig waren.

Doch welche Folgen wird es haben, wenn so viele Studien abgesagt werden oder sich länger verzögern? Es wird merkbar weniger Neuzulassu­ngen von Medikament­en geben, sagen Experten voraus. Wie groß der Einbruch tatsächlic­h sein wird, lässt sich jedoch noch nicht abschätzen. Es gebe zwar viele Projekte, die sich bereits in späten Entwicklun­gsphasen befänden, schrieb die Ratingagen­tur Moody’s kürzlich in einer Einschätzu­ng, aber die Pandemie werde sicher für eine Verzögerun­g in einigen Therapiefe­ldern sorgen. (hec)

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