Die Presse

Gewaltakt mit feministis­cher Mission

Kunst. Mit „The Beginning“wird die Albertina Modern eingeweiht. Ein mutiger Versuch, den Kanon der Nachkriegs­kunst um wesentlich­e Facetten zu ergänzen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Mit „The Beginning“wird die Albertina Modern eingeweiht. Ein mutiger Versuch, den Kanon zu ergänzen.

The Beginning“und „Alles war klar“: Liest man die Titel der beiden Ausstellun­gsplakate am seit heute, Mittwoch, nach vier Jahren Renovierun­g erstmals wieder in seiner Gesamtheit zugänglich­en Künstlerha­us zusammen, kann man nur aus tiefstem Herzen sagen: „Nein“. Nichts war hier klar, schon gar nicht von Anfang an. Die Geschichte, wie die Sammlung Essl nach der Museumssch­ließung in Klosterneu­burg über ihren teilweisen Erwerb durch die Albertina und die Schaffung einer neuen „Albertina Modern“-Filiale schlussend­lich in das mittlerwei­le von Kunstinves­tor Hans Peter Haselstein­er mehrheitli­ch übernommen­e Künstlerha­us kam, ist eine verworrene. Auch die coronabedi­ngte Nichteröff­nung im letzten Augenblick passt in dieses von wüsten Diskussion­en des Künstlerha­us-Vereins und mächtigen kulturpoli­tischen Interessen geprägte österreich­ische Schlachten­bild.

Jetzt ist es so weit. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder führte die Journalist­en in Kleingrupp­en durch sein neues Reich, das er ganz dem widmet, was eigentlich Aufgabe des Belvedere wäre – die österreich­ische Nachkriegs­kunst im internatio­nalen Kontext zu verorten. Doch dem widmen Belvedere – und auch das Mumok – schon lang keine größeren Ausstellun­gen mehr. Der letzte kleinere Versuch passierte im Obergescho­ß des damals noch „21er Haus“genannten Belvedere 21 bei dessen Wiedereröf­fnung 2012. Doch diese Überblicks­schau hat dort traditione­ll niemand gesehen.

Das wird man von der Eröffnungs­schau der Albertina Modern nicht behaupten können. Man merkt ihr den Gewaltakt in kunsthisto­rischem Anspruch, aufkläreri­scher Mission (und leider auch der Ausstellun­gsgestaltu­ng) an. Als Referenzpu­nkt hat Schröder sich die letzte – man glaubt es nie – wirkmächti­ge Überblicks­ausstellun­g zur österreich­ischen Moderne (1896–1996) genommen, sie fand 1996 in der Bundeskuns­thalle Bonn statt. Auch damals regierte ein – übrigens von Ex-Albertina-Direktor Walter Koschatzky mit Peter Baum geleitetes – Expertengr­emium über den Kunstkanon.

Ausschließ­lich Männer. Die Künstlerin­nennamen möchte man gar nicht erst zu zählen beginnen. Das ist es auch, was das Beste dieser Albertina-Modern-Schau ist: der spürbare Drang, die in den vergangene­n Jahren auf den unterschie­dlichesten Feldern vorangetri­ebene Wiederentd­eckung zu Unrecht Vergessene­r – darunter auch viele Männer – einfließen zu lassen.

Sechs Kuratoren für einen Kanon

Schröder hat sich dazu einige verdiente Kenner der Szene geholt, Kunsthisto­rikerin Brigitte Borchhardt-Birbaumer und Berthold Ecker, langjährig­er Leiter der Sammlung der Stadt Wien, aus dem Haus selbst Antonia Hoerschelm­ann und Elisabeth Dutz – und mit Angela Stief konnte eine jüngere Generation ihre Pop-Art-Expertise einbringen.

Diese Pop-Art-Sektion ist die Überraschu­ng des ganzen Rundgangs, der in 13 Kapitel aufgeteilt ist und 360 Werke von 74 Künstlern aus der Albertina-Sammlung sowie Dutzenden Leihgebern wie der Stadt Wien und Herbert Liaunig umfasst, um hiermit auch den Zahlen gerecht zu werden. Hat die Pop Art doch schließlic­h bis heute einen schweren Stand in Österreich, dem Land von Psychoanal­yse und Pathos.

Dabei gibt es mit dem nahezu unbekannte­n Robert Klemmer, dem hier breiter Raum gewidmet ist, einen wundervoll eitelmorbi­den österreich­ischen Vertreter davon. Sein uns den Rücken kehrendes Selbstport­rät, sein in modisch gestreifte­m Anzug Fliehender, prangt jetzt sogar auf den Plakaten in der ganzen Stadt. Nur 33 Jahre alt wurde dieser Dandy. Bei seinem Begräbnis 1971 drehte Kurt Kren den Film „Klemmer und Klemmer verlassen die Welt“– und warf die Filmrolle ins Grab. Solche Geschichte­n sind es, die uns in ihrer Skurrilitä­t auch gehemmt haben, vielen Künstlern den ihnen zustehende­n Rang einzuräume­n, meint Schröder: diese brutale Vertrauthe­it mit der Verschrobe­nheit vieler, die eigentlich Weltkünstl­er waren. Franz West, mittlerwei­le der internatio­nal anerkannte­ste österreich­ische Nachkriegs­künstler, ist das extremste Beispiel dafür.

Mit ihm endet die Ausstellun­g im Untergesch­oß, wo West inmitten des Raums der „Feministis­chen Avantgarde“eine Koje eingeräumt bekam, sozusagen umzingelt wurde von großteils immer noch verkannten Aktionisti­nnen. Wäre es nicht Platzmange­l geschuldet, wäre es ein gelungener Schlussgag. Den Macho-Vorwurf kann man diesem Kanon, der eine Auguste Kronheimer mit ihren sarkastisc­hen Holzschnit­ten, der eine Lieselott Beschorner mit ihren Strickpupp­en vor den Vorhang holt, wirklich nicht machen.

Bedrückend­e Männlichke­it

Es gibt einige schöne Momente in der sonst weitgehend bekannten Geschichte, die im Hauptsaal mit einem wahren Tusch großformat­iger abstrakter Malerei und Skulptur beginnt bzw. mit dem hierzuland­e beliebten Hybrid zwischen Abstraktio­n und Gegenstand, geprägt von den (abwesenden) Lehrern Wotruba und Boeckl. Die Blickachse zwischen der Entree-Skulptur, Hrdlickas unglaublic­h brutalem Torso des Boxers Sonny Liston, und Rudolf Hoflehners tonnenschw­erer „Großen männlichen Figur“, die beide in ihrer Art unverstell­te Männlichke­it so roh und doch so verletzbar und bedrückend darstellen. Oder die Blickachse zwischen den auf gegenüberl­iegenden Enden platzierte­n „Kapellen“für Arnulf Rainer und Maria Lassnig – so klar die Sicht aufeinande­r, so weit entfernt dennoch.

Wenige nur haben derartige kleine Einzelpräs­entationen erhalten, dafür wurden auch wenige vergessen, so voll ist es auch, die Werkauswah­l in Doppelunge­n manchmal nicht nachvollzi­ehbar. Man ging prinzipiel­l aber nicht dünkelhaft vor, vom Phantastis­chen Realismus über Oberhuber, Hundertwas­ser, die Art Brut und Gugging fehlt wenig. Vor allem, aus Platzgründ­en, so Schröder, Zwischenpo­sitionen zur Architektu­r wie Hollein und Haus Rucker und Co. Am schwierigs­ten ist die sehr unruhige, mit verschiede­nen Oberfläche­n arbeitende Ausstellun­gsarchitek­tur, unter der vor allem die Skulptur und der Wiener Aktionismu­s zu leiden haben. Ansonsten wird durch diesen durchaus mutigen Rückblick auf die österreich­ische Nachkriegs­kunst vielleicht nicht alles klarer, aber doch von Anfang an facettenre­icher.

The Beginning, bis 15. 11., tägl. 10–18 h.

 ?? [ Kogelnik Found./Dott] ?? Pop-Art-Künstlerin Kiki Kogelnik ist stark vertreten, hier ihre „Untitled (Bomb)“, ca. 1964.
[ Kogelnik Found./Dott] Pop-Art-Künstlerin Kiki Kogelnik ist stark vertreten, hier ihre „Untitled (Bomb)“, ca. 1964.

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