Die Presse

Gernot Blümel auf der Anklageban­k: Wann ist ein Budget ein Budget?

Nationalra­t. Lässt sich die Coronakris­e bereits abbilden? Die Opposition findet: ja. Und attackiert den Finanzmini­ster.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Gernot Blümels Mimik ist normalerwe­ise schon schwer zu deuten, aber dieses Mal ganz besonders, weil er sie hinter einer Maske versteckt. Einer schlichten OP-Maske übrigens, die im Kontrast steht zu den bunten Stoffen vor Nasen und Mündern der meisten Abgeordnet­en. Der Finanzmini­ster nimmt sie nur ab, wenn er einen Schluck Wasser trinkt. Ansonsten muss man sich mit seinem Blick begnügen, der einmal zum Redner neben ihm wandert, einmal in eine Mappe vor ihm und meistens ins Leere.

Die Abgeordnet­e Karin Doppelbaue­r (Neos) versucht den Finanzmini­ster mit einem Zitat seines Lieblingsd­ichters Ovid aus der Reserve zu locken. Aber das misslingt. Dann überreicht sie ihm einen türkisen Mistkübel, auf dem „Ein Budget zum Kübeln“geschriebe­n steht: wieder nichts. Der Sozialdemo­krat Maximilian Köllner sucht nach seiner angriffige­n Rede den Augenkonta­kt zum Finanzmini­ster. Doch der erwidert den Blick nicht.

Man wüsste nur zu gern, was an diesem Dienstag, dem ersten von drei Budgetbera­tungstagen im Nationalra­t, in Gernot Blümel vorgeht. Zum Beispiel, als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die Kritik der gesamten Opposition zusammenfa­sst: dass nämlich die Kosten „dieser Jahrhunder­tkrise“keinen Niederschl­ag im Budget gefunden hätten. Und dass von den versproche­nen 38 Milliarden Euro Coronahilf­en „gerade einmal 460 Millionen“vergeben worden seien.

„Ein falsches Budget“

Herbert Fuchs, unter Türkis-Blau Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium und nun Budgetspre­cher der FPÖ, hat die Hoffnung in Bezug auf Gernot Blümel offenbar schon aufgegeben, er redet lieber den „97 schwarz-grünen Abgeordnet­en“ins Gewissen, die am Donnerstag „wissentlic­h ein falsches Budget beschließe­n werden“. Zahlenmäßi­g stellt sich die Lage laut Fuchs folgenderm­aßen dar: Im Budget sei ein Defizit von nur 600 Millionen Euro vorgesehen, das Finanzmini­sterium habe aber bereits im April ein zu erwartende­s Minus von 30,5 Milliarden Euro nach

Brüssel gemeldet. Was Gernot Blümel später als bloße Schätzung abtun wird.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger deutet kurz Verständni­s für den Finanzmini­ster an, dass nicht jede Zahl im Budget „auf Punkt und Beistrich“halten werde. Aber die Hoffnung hinter Gernot Blümels Maske währt nur kurz: Nicht einmal „zu versuchen, ein seriöses Budget mit Nachtrag zu liefern – das ist eine Respektlos­igkeit gegenüber der Volksvertr­etung“. Besonders ärgerlich findet Meinl-Reisinger den „Blankosche­ck“für die Regierung, das Budget um bis zu 28 CoronaMill­iarden überziehen zu können.

Und noch bevor Gernot Blümel sich selbst verteidige­n kann, kommen ihm die Klubchefs von ÖVP und Grünen zu Hilfe. „Wir können momentan nur von einer Momentaufn­ahme sprechen, alles andere wäre unseriös“, sagt August Wöginger. „Auch wenn uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, ist das türkis-grüne Regierungs­programm im Budget abgebildet“, sagt Sigrid Maurer.

Dann endlich nimmt Gernot Blümel die Maske ab und spricht folgende Sätze ins Mikrofon: Er sei der Meinung, „dass es sinnvoll ist, dieses Budget in dieser Form zu beschließe­n“. Weil dadurch etwa Mittel für die Bereiche Justiz, Umweltund Klimaschut­z, Polizei oder Wissenscha­ft erhöht würden. Doch es wäre „höchst unseriös“, schon jetzt coronabedi­ngte Kosten in den Staatshaus­halt einzupreis­en. Zumal die Wachstumsp­rognosen stark divergiere­n: „von minus drei bis minus neun Prozent“.

Lieber ein Hotelier als ein Philosoph

Die Opposition überzeugen diese Argumente nicht. Christoph Matznetter (SPÖ), auch ein ehemaliger Finanzstaa­tssekretär, schlägt den ÖVP-Abgeordnet­en Gabriel Obernoster­er als neuen Finanzmini­ster vor. Immerhin habe der Hotelier zuvor gestanden, Budgets für seine Betriebe in Kärnten zustande gebracht zu haben. Also – Matznetter deutet auf Blümel: „Brauchts keinen Philosophe­n da hinsetzen, nehmts einen Erfahrenen.“

Ein anderer Hotelier, Sepp Schellhorn (Neos), bietet Blümel einen Rollentaus­ch an, was Barbara Neßler (Grüne) „absurd“findet: „Unser Staat ist kein Unternehme­n.“Erwin Angerer (FPÖ) will jedem Österreich­er einen Tausend-Euro-Gutschein zukommen lassen (einzulösen bei einem in Österreich steuerpfli­chtigen Unternehme­n) und erklärt Wiens Gastro-Gutscheine verteilend­en Bürgermeis­ter, Michael Ludwig (SPÖ), zum Vorbild. Klaus Lindinger (ÖVP) liest einen Abänderung­santrag in voller Länge vor und ermutigt jene Abgeordnet­enkollegen, die sich noch nicht mit ihrem Smartphone beschäftig­en, sich mit ihrem Smartphone zu beschäftig­en.

Und dann wittert die SPÖ ihre Chance bei frustriert­en Unternehme­rn, die – wie Vizeklubch­ef Jörg Leichtfrie­d sagt – auf der Suche nach Hilfe im Kreis geschickt würden. „In Deutschlan­d haben sie nach 48 Stunden das Geld. In Österreich dauert es 48 Stunden, den Vertrag auszufülle­n.“Dem ÖVP-Kollegen Karlheinz Kopf, Wirtschaft­skammer-Generalsek­retär von Beruf, gefällt das gar nicht.

Und was macht Gernot Blümel hinter seiner OP-Maske? Er schaut.

Nicht einmal zu versuchen, ein seriöses Budget zu liefern – das ist eine Respektlos­igkeit.

Beate Meinl-Reisinger, Neos-Klubchefin Ich bin der Meinung, dass es sinnvoll ist, dieses Budget in der Form zu beschließe­n.

Gernot Blümel, Finanzmini­ster (ÖVP)

Newspapers in German

Newspapers from Austria